Diese Woche von Habkern auf dem offiziellen Winterwanderweg nach Waldegg (BE)
Habkern ist das Dorf, wo es viele Habichte gibt, sagt die Ortsnamenkunde. Der Raubvogel im Gemeindewappen nimmt das Motiv auf, prachtvoll. Aber wo liegt Habkern? Die Bernerinnen und Berner wissen das, allen anderen sei es erklärt: Habkern liegt gleich hinter dem Berggrat nördlich Interlakens und des Brienzersees.
Nebel in Interlaken. Ich nehme den Bus nach Habkern und weiss theoretisch, was gleich passieren wird, die Wetterprognose früher am Morgen war eindeutig. Aber so richtig glauben kann ich es nicht. Nebel ist eine Substanz, die nicht nur des Menschen Gemüt bedrückt, sondern auch dessen Fantasie.
Dann, auf halbem Weg, geschieht es. Die Sonne erscheint. Die Mienen der Leute im Bus erhellen sich.
Ist das der Suggiture?
In Habkern-Post steige ich aus, das Dorf liegt knapp noch im Schatten. Im Laden kaufe ich mir einen Hefenussgipfel. Dann laufe ich los, oberhalb der Post führt eine steile Treppe hinauf in den Hang. Mein Ziel ist Waldegg, ein Ortsteil von Beatenberg, ich nehme den offiziellen, pink signalisierten Winterwanderweg – und um etwas Prinzipielles zur Route gleich vorwegzunehmen: Sie verläuft meist auf Strässchen. Diese sind zum Teil aper, es gibt vereiste Stellen, aber meist liegt Schnee, der wiederum planiert ist.
Zehn Minuten nach dem Start bin ich in der Sonne. Ich blicke zurück, aus dem erwähnten Berggrat über dem Brienzersee schwingt sich ein markanter Gipfel, ist das nun das Augstmatthorn oder der Suggiture? Meine Erinnerungen an eine Sommerbergtour vor vielen Jahren sind verschattet.
Die zwei folgenden Stunden sind einfach nur schön. Es geht vorerst moderat aufwärts, die Sonne wärmt mich und ich denke, dass ich bei aller Eincremerei vermutlich im Alter ein Gesicht haben werde wie ein in der Hurde vergessener Boskop. Via Hellboden, Bühlbach, Holzflüe komme ich stetig vorwärts an meinem Hang, der durchsetzt ist von einzeln liegenden Bauernhöfen und Ställen. Im Wald oberhalb einer steilen Felsfluh, um deren Existenz ich nur aufgrund meiner Wanderkarte weiss, steht ein Bänkli. Tief unten deckt der Nebel wie eine alte graue Wolldecke das Bödeli, die Ebene von Interlaken. Ich setze mich und denke, dass dieser Ruheplatz «Schadenfreudebänkli» heissen sollte. Was für ein Gefühl, sich in der Sonne zu wissen und so viele andere im Grau; ich schicke gleich ein SMS ins Büro.
Apfelstrudel! Ofenfrisch!
Um Mittelhag komme ich in das Reich der Skipisten und Skifahrer. Freilich sind da nur wenige Leute. Vor der Schneebar «Enzian» steht eine Reihe von Liegestühlen mit Blick auf die Berner Eis- und Schneeriesen, man sieht aber auch ins Kandertal hinein und kann den Niesen geniessen. Ich kaufe mir eine Cola, hieve mich in einen der Liegestühle, schliesse die Augen, Faulheit waltet. Kurz zuvor kam ich an einem Schild vorbei, das den Winterwanderweg zum Niederhorn anzeigte, dreieinhalb Stunden. Wäre was! Aber nicht heute!
Nach Waldegg hinab gibt es, scheint mir angesichts der verwirrlichen Signalisation, Varianten. Ich selber halte via Brundli zur Strasse, auf der mein Bus retour nach Interlaken verkehrt. Ein Schild lenkt mich kurz vor der Haltestelle ab und lockt mich: das Beausite annonciert feine Dinge. Ich trete ein, setze mich ans Fenster, wieder betäubender Bergblick. Der Apfelstrudel ist ofenfrisch und führt direkt zur Bilanz: So soll, so muss Winterwandern sein.
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Route: Habkern, Post (Bus vom Bahnhof Interlaken West) – Wang – Hellboden – Bühlbach – Holzflüe – Mittelhag – Brundli – Waldegg (Bushaltestelle Beatenberg, Waldegg).
Wanderzeit: 2 1/2 bis 3 Stunden je nach Verhältnissen.
Höhendifferenz: 407 Meter auf-, 273 abwärts.
Wanderkarte: 254 T Interlaken, 1:50000.
GPX-Datei: Hier downloaden.
Retour: Von Waldegg mit dem Bus retour nach Interlaken.
Charakter: Leichtes Winterwandern auf offiziellen Wegen. Die meiste Zeit geht man auf Strässchen. Sie sind je nach Abschnitt aper oder vereist oder schneebedeckt (in diesem Fall gepfadet oder gepistet). Pinke Signaturen.
Höhepunkte: Die idyllische Lage des Bergdorfes Habkern. Der Anblick der Berner Oberländer Eisriesen gegen die zweite Hälfte der Wanderung. Die Entspannung auf einem Liegestuhl der Schneebar Enzian bei Mittelhag.
Kinder: Perfekt.
Hund: Die Route wird ihn glücklich machen.
Einkehr: Mittelhag, Schneebar Enzian, bei gutem Wetter. In Habkern und in Waldegg.
Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.
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Der Beitrag Die Schadenfreude-Aussicht erschien zuerst auf Outdoor.