Durchs Land der Turpägüsler (SZ/ZG)
Der Frühling ist an unserem Tag so präsent, dass wir des Gehens nicht müde werden und die fast sechs Stunden Wanderzeit problemlos durchhalten. Gross ist die Freude über all die Schlüsselblumen und Butterblumen, die Natur trägt Farbe, bald wird sie auch wieder duften.
Wir starten am Bahnhof Biberbrugg, nehmen das moderne grauweisse Kubusgebäude zur Kenntnis; auf dem Areal ist ein Teil der Kantonspolizei untergebracht samt etwas Justiz. «Arme Kerle», denken wir, «die können nicht wandern.» Wir meinen nicht die Polizisten, sondern die Inhaftierten; fast 30 Zellen gehören ebenfalls zur Anlage.
Turpägüsler im Bibäränäbel
Bald sind wir in der typischen Landschaft des Hochtals der Biber, während wir mal am Waldrand, mal durch Wiesen ziehen. Sumpfig ist der Boden und rötlich-braun mit Stegen, Entwässerungsgräben, Holzschnitzeln an besonders feuchten Wegstellen. Kleine Scheunen fallen auf, es sind Torfhütten. Im Hochmoor um Rothenthurm stach man einst Torf, weswegen dessen Menschen «Turpägüsler» hiessen. Gleich noch ein hübsches Dialektwort: Den häufig über der Ebene wabernden Dunst nennt man «Bibäränäbel».
Grüne Hügel vor Augen wandern wir vorwärts, queren den Bibersteg, passieren die Bauernwirtschaft Steinstoss-Stubli; für eine Einkehr sind wir noch zu wenig bedürftig. Kurz vor Rothenthurm wandelt sich die Unternehmung, bei der Möslibrugg beginnt der Aufstieg nach Chli Morgarten und zum Morgartenberg. Steile Sache! Als sich oben urplötzlich unter uns der Ägerisee zeigt und dahinter die Waldkuppe des Chaiserstocks, wissen wir: Die Keucherei hat sich gelohnt.
Wir steigen ab zum Ägerisee, die Laune könnte nicht besser sein, es tut gut, endlich die 1000-Meter-über-Meer-Grenze überschritten zu haben, bald ist wieder Bergsaison. Unten am See halten wir ein wenig rechts. Zwei Dinge haben wir im Visier. Erstens das Zuger Morgarten-Denkmal, das ein wenig erhöht über dem See steht und uns düster vorkommt, dafür aber eine totale Sicht über das Wasser offeriert. Und zweitens das Restaurant Grunder’s Buechwäldli. Ich war dort schon ein paar Mal, wurde nie enttäuscht, die Grunders wissen aus langer Erfahrung, wie man Fisch zubereitet und Gäste umsorgt.
Nach dem Essen beginnt es fein zu regnen, kein Problem, wir wollen den Plan durchziehen, auf der stillen Südwestseite des Sees nach Unterägeri zu laufen. Der Weg bereitet Vergnügen, tatsächlich sind keine Leute unterwegs, wir mögen die Einsamkeit des Pfades.
Aus dem Flugzeug gefallen
In der Gegend nördlich von Wilbrunnen halten wir ein letztes Mal inne, bevor wir vollends dem Unterägeri-Zentrum zustreben, der Bushaltestelle hinab nach Zug. Eine verwitterte Säule mit nur teilweise noch lesbarer Inschrift hat uns gestoppt. Eine Tafel erklärt, was an der Stelle 1926 passierte. Der Pilot eines militärischen Doppeldeckers musste wegen eines kleinen Defektes landen. Er reparierte den Schaden, startete auf der Wilbrunnenstrasse wieder, kam von der Geraden ab, streifte ein Bäumchen, touchierte zuerst einen, dann zwei weitere Buben. Alle drei Buben starben. Derselbe Pilot war zwei Jahre später wieder an einem tödlichen Unfall beteiligt. Über dem Aletschgletscher fiel ihm eine Passagierin aus dem Flugzeug.
Eine dunkle Sache. Aber das war vor 90 Jahren, der Kummer von damals ist entschwunden mit den Menschen, die er plagte. Unsere Wanderung hingegen, voll und ganz Gegenwart, möge noch lange heiter in unserer Erinnerung wohnen.
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Route: Biberbrugg, Bahnhof – Choleren – Bibersteg – Steinstoss – Ägeriried – Bubrugg – Falzbrunnen – Möslibrugg – Müllerenboden – Chli Morgarten – Mattli – Teufi – Buechwäldli/Morgarten-Denkmal – Sagen – Naas – Bergmatt – Wilbrunnen – Unterägeri, Zentrum.
Wanderzeit: 5 3/4 Stunden.
Höhendifferenz: 424 Meter auf-, 527 abwärts.
Wanderkarte: 236 T Lachen und 235 T Rotkreuz, 1:50’000.
GPX-Datei: Hier downloaden.
Retour: Bus von Unterägeri-Zentrum nach Zug SBB.
Kürzer: Die Route ist gut kürzbar, man kann zum Beispiel den zweiten Teil weglassen und beim Buechwäldli aufhören. Dort (Haltestelle Morgarten, Denkmal) gibt es Busse nach Oberägeri oder in die andere Richtung nach Sattel.
Charakter: Die perfekte Frühlingswanderung, oft geradeaus, in der Mitte stotzig mit einem kleinen Pass. Einige Stücke auf Hartbelag. Aussichtsreich.
Höhepunkte: Die Torfhäuschen zwischen Biberbrugg und Rothenthurm. Der erste Anblick des Ägerisees von den Höhen des Morgartenberges. Das trutzige Schlachtdenkmal beim Buechwäldli. Die stillere Seite des Ägerisees.
Kinder: Etwas weit.
Hund: Keine Probleme.
Einkehr: «Steinstoss-Stubli» auf der Höhe der Bahnstation Dritte Altmatt in der Ebene von Rothenthurm. Di Ruhetag, Betriebsferien in der Woche nach Ostern. «Grunder’s Buechwäldli» beim Buechwäldli/Morgarten-Denkmal am Ägerisee; Gilde-Koch, feine Fischküche, angenehmes Lokal auch für Wanderer. Mo/Di geschlossen.
Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.
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Der Beitrag Frühlingserwachen beim Ägerisee erschien zuerst auf Outdoor.