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Best of Outdoor: Scala für Wanderer

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Liebe Leserinnen und Leser, in den Sommerferien erlauben wir uns einen Blick zurück und präsentieren Ihnen einige unserer Highlights aus dem vergangenen Jahr. Viel Vergnügen! Die Redaktion.

Folgender Beitrag, eine Wanderung zum Fil de Cassons über Flims GR, ist von Thomas Widmer, Erstpublikation: 23. August 2013.

Wir sind dem Flimserstein dankbar, dass er vor mehr als 10'000 Jahren einen Teil seiner selbst preisgab. Es war ein Riesenbergsturz. Der Vorderrhein wurde zugeschüttet, musste sich freikämpfen und schuf dabei die Ruinaulta-Schlucht – wer mit der Bahn von Chur nach Ilanz reist, freut sich jedesmal über das Schauspiel mürben Kalks, die Pfeilerchen in den Erosionshängen, den Schlängelfluss mit den Kanuten.

Der Bergsturz vom Flimserstein

Der Flimserstein selber ist auch ein grosses Wanderziel. Wie eine gestauchte Schachtel hockt er im Gelände, die Oberfläche schräg abfallend und auf allen Seiten begrenzt durch jähe Wände. Zuoberst gibt es den Grat Fil de Cassons und auf diesem eine Seilbahn. Ihr strebte ich eines schönen Tages zu.

Die Sache begann mit einer Busfahrt: von Flims Post hinauf nach Bargis. Zum Weilerchen Fidaz, das wir passierten, ist eine traurige Begebenheit am Ostermontag 1939 zu nennen. Damals ereignet sich auch ein Bergsturz vom Flimserstein her; ein Kinderheim wurde verschüttet, 13 Kinder und fünf Erwachsene starben.

In «Fidaz, Pinut» stiegen junge, alpin gerüstete Leute aus. «Pinut» heisst eine Terrasse in der Flanke des Flimsersteins samt dem zugehörigen alten Klettersteig. Unsereins blieb sitzen und freute sich, als Bargis erreicht war. Vom Berghaus gleichen Namens erstreckt sich ein Hochtal weit und paradiesisch.

Wo der Abgrund lauert

Ich sah gleich sofort, was mich erwartete: Eine lange Linie zog sich vor meinen Augen durch die abweisende Wand des Flimsersteins. Die Einheimischen nennen es «scala», Treppe. Aus der Nähe erwies sich der Weg als breiter, mit Steinen ausgepflasterter Komfortsteig. Rechterhand lauerte zwar der Abgrund, doch machten ihn Büsche grossteils unsichtbar, auch war ein Drahthag angebracht. Nein, Angst muss man auf der Scala nicht haben und kann den Blick ins immer tiefer zurückbleibende Bargis-Tal geniessen. Irgendwann sah ich auch den Ringelspitz, den höchsten St. Galler.

Auf Tegia Gronda wechselte das Szenario: Alpweiden statt Fels. Ich passierte die Milchseilbahn, die demnächst hundert Jahre alt wird und, wie ihr Name es sagt, für die Abfuhr der Alpmilch eingerichtet wurde. Vor mir hatte ich nun die schräge Ebene zum Cassonsgrat. Irgendwann musste ich entscheiden: via Mutta Bella hinauf zur Seilbahn oder in der Direttissima? Ich entschied mich für die Direktvariante, gewann genüsslich Höhe, querte Schneefelder, grinste über die paranoiden Murmelipfiffe, kam an eine Kante, hatte direkt zu meinen Füssen die Alpen von und um Naraus. Und die kleine rote Seilbahn schwebte vorbei.

Dann war ich oben. Freilich ist oben in diesem Fall nicht oben. Von der Seilbahn-Bergstation muss man unbedingt zehn Minuten weitergehen. Ich kam auf einen flachen Rücken von schütterem Gras und Geröll, spazierte auf der alpinen Promenade vorwärts und hatte nun eine gewaltige Sicht. Die Gipfel der Surselva drängelten am Horizont um einen Platz für die Ewigkeit. Besonderen Eindruck machten ganz nah die Tschingelhörner, die ich in dieser Kolumne schon mit Hexenhüten verglich. Ich verharrte, schaute, fotografierte. Endlich ging ich doch zurück zur Seilbahn, gondelte hinab nach Naraus, ass ein Cordonbleu der Sonderklasse und fuhr mit der Sesselbahn weiter via Foppa nach Flims. Dessen Stein muss man bestiegen haben. Und die Scala ist eine unvergessliche Sache.

***

Route: Berghaus Bargis (Bus ab Flims Post) - Scala - Tegia Gronda - Abzweiger mit zwei Varianten: zur Cassons-Bergbahn via Mutta Bella oder direkt - Cassons-Bergbahn/Fil de Cassons.

Gehzeit: 3 1/2 Stunden. Plus circa 20 Minuten für den Abstecher von der Bergbahn zum höchsten Punkt und retour mit grosser Aussicht.

Höhendifferenz: 1100 Meter aufwärts.

Wanderkarte: 247 T «Sardona», 1: 50 000.

Charakter: Zweigeteilt. Von Bargis Aufstieg durch die Scala auf einem breiten Steig, einem alten Kulturpfad. Er ist gut gesichert, man hat aber Tiefblick auf das Tal von Bargis. Hernach ab Tegia Gronda eine leichte Bergwanderung über Alpböden zum Fil de Cassons.

Höhepunkte: Das Hochtal von Bargis. Die grandiose Scala durch die Steilwand. Der Rundblick von der Promenade oberhalb der Cassons-Seilbahn. Die skurrilen Tschingelhörner.

Kinder: Machbar, da nicht zu lang. Auf der Scala muss man die Kinder beaufsichtigen.

Hund: Gut machbar.

Einkehr: Auf dem Cassonsgrat gibt es ein einfaches Restaurant. Mehr Auswahl hat man eine Ebene tiefer auf Naraus, wo man von der Seilbahn auf den Sessellift wechselt.

Wanderblog: widmerwandertweiter.blogspot.com


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