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Franz Weber, die Surbeks und der Brienzlig

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Diese Woche von Brienz zu den Giessbachfällen und nach Iseltwald (BE)

Was für eine angenehme Wanderung das war! Der Tag begann mit viel Sonne, einer ruhigen Zugfahrt über den Brünig und einem Startkaffee beim Bahnhof Brienz. Die Dampfbahn aufs Brienzer Rothorn heizte gerade ein.

Kurz nach neun erhob ich mich und zog los: über die Bahngeleise zur Schifflände und die Seepromenade entlang ostwärts. Ein Gedenkstein erinnerte an die zwei Toten vom August 2005. Damals kam der Glyssibach gewaltig; jener grausige Tag ist bis heute unvergessen.

Menschliche Wasserfälle

Von der Ostspitze des Sees sah ich schön hinüber zum Ballenberg, querte alsbald die schnurgerade gefasste Aare, ging nun Richtung Westen. Auf der Axalpstrasse gewann ich Höhe und Abstand zum See und kam dabei ins Keuchen. Eine alte Frau schleppte zwei schwere Abfallsäcke zur nahen Deponierstelle, ich nahm ihr die Säcke ab, sie erzählte, sie habe drum einen Herzinfarkt gehabt.

Das Restaurant Engi gleich anschliessend hatte leider Ruhetag. Kurz nach ihm bog ich ab nach rechts. Dann die Giessbachfälle. Über gut 450 Meter stürzen sie in die Tiefe. Der Pfarrer Daniel Wyss, der sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für ihre touristische Erschliessung einsetzte, verlieh ihnen in jener Gründerzeit Namen. «Schulthess von Steiger» hiess der unterste Fall, «Hans Franz Nägeli» der nächste gegen oben, «Adrian von Bubenberg» der dritte – eine Parade mächtiger Berner.

Beim nahen Grand Hotel freute ich mich noch einmal – nämlich darüber, wie es vor Jahrzehnten gerettet wurde. Das damals schon über hundertjährige Haus war 1983 stillgelegt, als es der Umweltschützer Franz Weber, man erlaube mir die Poesie, wachküsste. Ich nahm mir auf der Terrasse beim Kaffee vor, endlich mal ein Zimmer zu buchen.

Den Uferweg nach Iseltwald fand ich hernach einen der schönsten Wanderwege der Schweiz. Auch in seinem Fall gelang es, ein Desaster abzuwenden; man verbannte die entstehende A 8 im betreffenden Abschnitt in einen Tunnel. Der vor bald 40 Jahren eröffnete Weg führt die meiste Zeit ein paar Meter über dem Brienzersee geradeaus durch den still gebliebenen Wald. Gegen sein Ende nimmt das Gelände an Dramatik zu: Der Boden ist plötzlich buckelig mit Felsbrocken alter Bergstürze. Es gibt Passagen unter steilen Felswänden. Und einmal ging ich durch eine hohle Gasse.

Ganzkörperfelchen

Auch Iseltwald begeisterte mich. Das alte Fischerdorf, das ich zuvor nie besucht hatte, steht auf einem Bachdelta, das sich als gekrümmter Fortsatz weit ins Wasser schiebt; in dem geschlossenen Ensemble wohnt Geborgenheit. Das Chalet du Lac servierte mir hervorragenden Fisch: Brienzlig – das sind Minifelchen aus dem See, die man von Kopf bis Schwanz vertilgt.

Ein Letztes: Mein alter Journalistenkollege Markus Schneider hat eben ein Buch über Victor (1885 bis 1975) und Marguerite (1886 bis 1981) Surbek publiziert. Das in Bern ansässige Paar verbrachte in Iseltwald einen guten Teil seiner Zeit. Und wie das so ist, wenn zwei zusammenleben und beide malen – ihr Verhältnis war nicht immer einfach. Marguerite Surbek wich bisweilen gern wochenweise auf das Iseltwald überragende Faulhorn aus. Ihr Mann wird, darf man rückblickend sagen, als Maler wohl länger in Erinnerung bleiben. 1930 bemalte er Berns Zytglogge-Turm mit allegorischen Fresken. Sein Werk hat so den Alltag erobert.

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Route: Bahnhof Brienz - Seepromenade - Strandbad - Camping - Aarebrücke - Axalpstrasse - Engi - Giessbachfälle, Hotel - Uferweg nach Iseltwald - Iseltwald - Iseltwald, Dorfplatz.

Wanderzeit: 3 Stunden.

Höhendifferenz: 255 Meter auf-, 252 abwärts.

Wanderkarte: 254 T Interlaken, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Von Iseltwald, Dorfplatz, mit dem Bus zum Bahnhof Interlaken Ost. Oder per Schiff nach Interlaken oder Brienz.

Charakter: Leichte Wanderung. Leider asphaltiert zwischen See und Hotel Giessbach. Aussichtsreich. Lauschig im zweiten Teil.

Höhepunkte: Die ersten Wanderminuten den Brienzersee entlang. Der Blick vom Hotel Giessbach auf die Giessbachfälle. Der wildromantische Bergsturzwald vor Iseltwald mit Engstellen, Felswänden, Blöcken überall. Fisch essen in Iseltwald.

Kinder: Dies ist eine Familienwanderung. Auf dem Weg über dem Brienzersee muss man Kinder aber beaufsichtigen.

Hund: Perfekt inklusive ein Bad im See.

Einkehr: Restaurant Engi. Hotel Giessbach. Viele Restaurants in Iseltwald, darunter das Chalet du Lac.

Buch: Markus Schneider, «Die Surbeks – Victor & Marguerite. Ein Berner Künstlerpaar». Scheidegger & Spiess, 144 Seiten, 32 farbige Abbildungen. 29 Franken.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmer privatem Journal.

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