Diese Woche zwei Juragipfel, Dent de Vaulion und Mont Tendre (VD)
Der Lac de Joux passte nicht auf das Landeskartenblatt La Sarraz 1:50’000. Die Gegend wurde separat auf die Hinterseite der Karte gedruckt, was ihre Randlage bestens illustriert. Genau deshalb lohnt sich die Reise in dieses Waadtländer Grenz- und Hochtal. Sie beschert die Empfindung, in einer anderen Welt zu sein, abgetrennt von allem, völlig losgelöst.
An einem grauen Herbsttag fuhr ich nach Vallorbe. Ich hatte zwei freie Tage zur Verfügung, wollte mir zwei Gipfel erobern und dazwischen den Lac de Joux geniessen. Der Plan, um es vorwegzunehmen, ging auf und bescherte mir eine grosse Erholung.
Tag eins: Dent de Vaulion
Tag eins widmete ich der Dent de Vaulion. Ich startete am Bahnhof Vallorbe, hielt hinunter ins Dorf. Vallorbe hat seinen Namen von der Orbe, einem breiten, verschlickten Fluss. Es begann der Aufstieg durch steilen Wald nach Sur le Voué. Menschen sah ich nicht. Ich kam aber, als ich auf dem breiten Bergkamm bereits Richtung Gipfel eingespurt war, an schwelenden Restfeuern vorbei; Waldarbeiter hatten eine Menge Holz verbrannt. Wo waren sie? Und wo war die Sonne? Sie spielte mit mir, tauchte kurz als matte Scheibe im grauen Himmel auf, entzog sich wieder.
Dann doch der Durchbruch ins Helle. Das Glück war immens, im Herbst werden Licht und Wärme Luxusgüter. Und schon war ich oben auf der Dent de Vaulion. Aus dem Nebelmeer ragten nah und fern Berge: der Mont d’Or, der Suchet, der Chasseron, die Hasenmatt. Aber auch die Rigi. Und, quel honneur, der Mont Blanc. Unter mir lag der Lac de Joux als milchig milde blaue Fläche. Mit mir waren auf dem Gipfel ein paar Leute, die meisten davon Autowanderer, die gut 20 Minuten weiter unten bei der Bergbuvette parkiert hatten.
Ich stieg ab auf guten Wegen, erreichte in Le Pont den See, den ich für mich Silbersee nannte, weil er so grandios glitzerte. Letzte-Tage-Stimmung waltete oder auch Kurstimmung: kein Kinderlachen, stattdessen ältere Leute in Mantel und Schal. Die Sonne glomm schwach, der Dunst setzte ihr zu. Ich kehrte ein, trank Tee, ass Kuchen. Ging hernach zum Bahnhof, fuhr elf Minuten Zuckelzug, stieg wieder aus in Le Rocheray. Unten am See hatte ich im Hotel Bellevue ein Zimmer reserviert. Als ich im schwindenden Tageslicht über das Wasser schaute, war die Unwirklichkeit wieder da. Wo war ich? War ich wirklich?
Tag zwei: Mont Tendre
Am nächsten Morgen fuhr ich wieder nach Le Pont, nahm den Bus nach Les Bioux, Ecole. Ein Dörfchen mit Kirche, der Nebel verlieh ihr noch mehr Stil. Der Aufstieg zum Mont Tendre fiel etwas strenger aus, als ich gedacht hatte, die Querung des sumpfig-waldigen Geländes Grand Essert de Bise zog sich hin. Endlich das Chalet de Yens. Einige Zeit später stand ich, diesmal ganz allein, auf meinem Berg des Tages, der seines Zeichens der höchste Schweizer Juraberg ist.
Ich ruhte. Die Sicht war schlechter als am Vortag, allzu weit sah ich nicht. Und die Sonne hatte diesmal bloss halbbatzige Präsenz, sie versprach viel, hielt es aber nicht. Kein Problem, so ist der Herbst, er ist geprägt vom Sehnen, vom Wissen um das Ende des Sommers, von der Spannung zwischen warm und kalt. Bald darauf, nach dem Abstieg in das fleissig-industrielle Le Sentier, fuhr ich heim. Im lauten Lausanne schien mir all das Erlebte schon unendlich weit weg.
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Route Tag eins: Vallorbe Bahnhof – Vallorbe, Dorf – Les Revinnoz – Sur le Voué – La Mâche – Dent de Vaulion – Buvette Dent de Vaulion – La Petite Dent – La Dent – Sagne-Vuagnard – Le Pont – Le Pont, Station.
Wanderzeit: 4 1/4 Stunden.
Höhendifferenz: 763 Meter auf-, 562 abwärts.
Route Tag zwei: Les Bioux, Ecole ( an der Buslinie Le Pont – Le Sentier/Le Brassus) – Pièce à Ferdinand – Grand Essert de Bise – Bois de la Rippe – Chalet de Yens – Mont Tendre – Cabane du Servan – Croset au Boucher – Couvert du Chef – Chalet du Chef – Sur le Crêt – Le Sentier-Orient, Bahnhof.
Wanderzeit: 5 Stunden.
Höhendifferenz: 707 Meter auf-, 721 abwärts.
Wanderkarte: 251 T La Sarraz, 1:50 000.
GPX-Dateien Tag eins und Tag zwei: Hier und hier downloaden.
Retour: Per Zug nach Lausanne.
Charakter: Zwei Tage mit zwei nicht allzu anstrengenden, dabei aussichtsreichen Juragipfeln. Bei Nässe ist das Kalkgelände glitschig. Dazwischen Erholung an einem der schönsten Schweizer Seen, dem Lac de Joux.
Höhepunkte: Der Ort Vallorbe irgendwo im Nirgendwo. Der Blick von der Dent de Vaulion auf den Lac de Joux. Die Schmalseite des Lac de Joux bei Le Pont im melancholischen Herbstlicht mit der Engelsstatue im See. Die Trockenmäuerchen am Mont Tendre.
Kinder: keine grossen Probleme. Im Gipfelbereich der Dent de Vaulion muss man sie beaufsichtigen, senkrechte Fluh zur einen Seite!
Hund: bestens.
Einkehr unterwegs: Am ersten Tag die Buvette de la Dent de Vaulion nach dem Gipfel, circa 20 Minuten unterhalb. Bis Ende Oktober offen.
Hotel: Am Lac de Joux gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel das Bellevue in Le Rocheray, 11 Bahnminuten ab Le Pont; es liegt schön am See, gute Küche. Allgemein empfiehlt es sich am Lac de Joux, früh zu reservieren. Allenfalls weicht man nach Vallorbe aus.
Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.
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Der Beitrag Entzückende Randlage erschien zuerst auf Outdoor.