Diese Woche über den Lötschenpass (BE/VS)
Am Bahnhof Kandersteg füllte sich der Kleinbus mit Wanderern. Ich las derweil noch einmal die Beschreibung der Lötschenpass-Route im Rother Wanderführer. Laut Autor Daniel Anker bietet der Übergang «die landschaftlich wuchtigste und geschichtlich interessanteste Passwanderung über die Hauptkette der Berner Alpen».
Ein Zu-Fuss-Abenteuer also. Aber zuerst erlebte ich ein Bus-Abenteuer: die Fahrt hinauf ins Gasterntal auf einer Strasse am Abgrund und durch Fels-Galerien. Dann waren wir an der jungen Kander. Beim Gasthof «Steinbock» stieg ich aus, trank auf der Terrasse einen Kaffee. Jener Alte fiel mir ein, den ich hier einmal getroffen hatte. Er erzählte, wie er als Jüngling am Lötschenpass neue Schuhe eingelaufen hatte. Sie hätten so schlimm gescheuert, dass am Abend die Achillessehnen frei gelegen seien.
Froh über mein passendes Paar Lowa, querte ich die Kander, der Aufstieg begann in Form unzähliger Kehren. Auf der Gfellalp beschaute ich mir das Doldenhorn. Es besteht aus einem Hauptgipfel und gefühlten 100 Untergipfelchen in der Steilflanke. Gotik am Berg mit floralem Einschlag.
Karl Mays «Winnetou»
Dann wieder ein Aufstieg zum Schönbüel, einem tatsächlich sehr schönen Boden mit einem eiskalten Bergbach. Nun nahm ich die rotweisse Variante via Balm. Die blauweisse ist älter, aber schwieriger – und vielleicht ist hier der Moment, etwas über Historie des Lötschenpasses zu sagen: Man fand an ihm drei Pfeilbogen, 5500 Jahre alt. Und ganz oben entdeckte man Römermünzen. Zu sehen sind auch Reste der Berner «Grafenriedschen Strasse» aus dem Ancien Régime, die nicht fertiggestellt werden konnte, weil die Walliser sich verweigerten. Ich gestehe allerdings, die alte Trasse im groben Gelände nicht ausgemacht zu haben.
Nach Balm, einem Ort unter hohen Felsen, geriet ich in eine hochalpine Geröllwüste nach Art des Mondes. Vom Clou des Tages merkte ich in der nächsten halben Stunde nicht viel. Der Weg führte über den Lötschengletscher. Doch war dieser mit Steinen und schmutzigem Kies bedeckt, nur an wenigen Stellen lag das Eis blank. Das Gletschergehen war problemlos, rote Pfähle halfen, die Richtung zu halten. Mir fiel Karl Mays «Winnetou» ein. In New Mexico in den USA gibt es eine Hochfläche namens Llano Estacado, «Ebene mit Pfählen». May beschreibt, wie Verbrecher die Pfähle umstecken und Reisende in die Einöde lenken, um sie auszurauben und zu ermorden.
Ein Ehrenplatz im Gedächtnis
Meine Pfähle waren offensichtlich von gutmeinenden Menschen ausgesteckt worden. Sicher erreichte ich eine Moräne, gewann weiter Höhe, meisterte eine Passage mit Stahlseilen, kam zum Pass: Flachgelände mit eingelagerten Seelein, in der Mitte die Hütte. Hinter ihr flatterte Wäsche an einer Leine, vor ihr lagerten englische Pfadfinder ums Gipfelkreuz. Ich genoss die Viertausender des Wallis und ging dann in die Hütte. Eine Rösti und ein Glas Goron belohnten mich für die Strapaze.
Der Abstieg war wieder Freude. Hinab zur Kummenalp kurvte ich auf Serpentinen inmitten von Felsen, die durch Eisen-Ausschwitzungen rostrot gefärbt waren. Auf der Kummenalp kehrte ich wieder und amüsierte mich darüber, wie eine Gruppe Einheimischer dem Rotwein zusprach; sie hatten allesamt Autoschlüssel auf dem Tisch. Ganz unten, in Ferden im Lötschental, war ich dann müde – diese Wanderung ist ein Steiss. Aber ich war auch stolz, dass der Passklassiker nun mein war. In meinem Gedächtnis hält er einen Ehrenplatz.
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Route: Selden, Steinbock (Bus ab Kandersteg ins Gasterntal) – Gfellalp (auch «Gfelalp» geschrieben) – Schönbüel – Balm – Lötschengletscher – Lötschenpass/Hütte – Kummenalp – Ferden (Bus nach Goppenstein SBB).
Gehzeit: 6 Stunden.
Höhendifferenz: 1170 Meter aufwärts, 1340 abwärts.
Variante: Von der Passhöhe hinüber zur Lauchernalp. Von dort mit der Seilbahn hinab ins Lötschental (zum Bus nach Goppenstein). So erspart man sich die Hälfte der Höhendifferenz im Abstieg.
Wanderkarte: 264T «Jungfrau», 1: 50 000.
Charakter: Klassische Passwanderung unter hochalpinen Bedingungen im Oberteil – nur bei gutem Wetter! Ungeheuer aussichtsreich. Trittsicherheit und Kondition nötig, keine wirklich ausgesetzten Stellen. Anstrengend.
Höhepunkte: Die junge Kander im Gasterntal. Das Doldenhorn von der Gfellalp aus. Die Viertausender des Wallis. Die Einkehr auf dem Pass. Die rostroten Felsen hinab zur Kummenalp.
Kinder: Allenfalls als Zweitäger mit Übernachtung auf dem Pass.
Hund: Machbar, aber sehr anstrengend.
Einkehr: Gfellalp, Passhöhe, Kummenalp.
Wanderblog: widmerwandertweiter.blogspot.com