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Channel: Thomas Widmer – Outdoor
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Auf den Spuren des Josua Zinsli

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Diese Woche von Thusis über den Glaspass ins Safiental.

Über Thusis hängen dicke Wolken. Am Bahnhof wartet Freund Peter, der in der Nähe in den Ferien weilt. Das Wetter wird besser, haben wir im Radio gehört; zuversichtlich ziehen wir los.

Wir wollen über den Glaspass ins Safiental – eine historische Route. Im Mittelalter und lange danach gab es aus dem von Walsern besiedelten Safiental keine Strasse hinab zum Vorderrhein wie heutzutage. Die wichtigste Verbindung zur Aussenwelt war jahrhundertelang die nach Thusis, über den Glaspass. Mit Glas hat dessen Name nichts zu tun. Er verweist auf eine Umfriedung, einen Zaun oder eine Mauer, lateinisch «clausum».

Wir entscheiden uns für die Variante via das Nollatobel. Dessen unterer Teil, der «Nollasand», ist eine Urwelt. Am Rand des breiten Geschiebefeldes gehen wir durch Pestwurzfelder. So hoch stehen einige Königskerzen, dass wir die Bienen auf Augenhöhe haben. Der Weg ist dreckig und rutschig; der Heinzenberg, wie der ganze Hang über Thusis heisst, hat Schiefer als Untergrund, ein instabiles Gestein.

Angekommen im «Motorradhotel»

In Urmein sind wir wieder in der Zivilisation. Wir halten weiter den Heinzenberg hinauf, queren Untertschappina und Obertschappina, freuen uns an der freistehenden Kirche, die unter Denkmalschutz steht. Links dominiert der Piz Beverin den Horizont, dem nur zwei Meter zur 3000er-Marke fehlen. Dann wieder Wald. Und bald das freie Gelände des Passes. Wir passieren eine Postautohaltestelle; jawohl, die ersten vier Stunden und gut 1200 Höhenmeter im Aufstieg kann man sich ersparen. Aber will man all das Schöne am Weg verpasst haben?

Die Sonne hat inzwischen die Wolken gefressen. Auf dem Pass, 1846 Meter über Meer, sind nicht viele Leute. Ein paar Velofahrer, ein paar Wanderer. Wir setzen uns auf der Terrasse des Berggasthauses Beverin, das laut Homepage auch ein «Motorradhotel» ist. Wir sind froh, dass an unserem Tag keine Motorradfahrer unterwegs sind. Das Essen – ich habe deftige Käsespätzli – schmeckt. In der Terrassenecke steht auf einem Stativ ein Fernrohr, mit dem man die Gipfel rundum studieren kann.

Wie war das zu schaffen?

Adieu, Heinzenberg. Im Abstieg Richtung Safiental geraten wir in eine jähe Wildnis: steil geht es nach dem Weiler Inner Glas abwärts. Kehren helfen. Ein kurzes Wegstück ist genial in eine senkrechte Felswand gezwängt, für das Geländer sind wir dankbar. Tief unter uns sehen wir ein Staubecken.

Einige Zeit darauf sind wir an der Rabiusa, der Wütenden, wie sie auf Deutsch hiesse. Aber oh weh, der Fluss, den wir auf einer Fussgängerbrücke queren, führt kein Wasser, er darf nicht toben. So ist das in unserer Neuzeit, die aus der Kraft des Wassers Elektrizität gewinnt. Im Restaurant Rathaus in Safien-Platz kehren wir gleich anschliessend ein, trinken hausgemachte Rhabarberlimonade. Zum Zeitvertreib google ich unsere Route, während Peter die Zeitung durchblättert. Dabei entdecke ich ein altes Foto.

Das Foto zeigt Josua Zinsli, den letzten Säumer vom Glaspass. Es stammt aus der Zeit vor 1880. Zinsli trägt einen Melonen-artigen Hut und einen groben Kittel. Mit seinem weissen Bart und dem Packpferd zur Seite sieht er aus wie ein Trapper auf Fotos vom Goldrausch am Klondike. Auch winters überquerte er berufeshalber den Pass; kaum vorstellbar für uns Heutige, wie das zu schaffen war.

***

Route: Thusis Bahnhof - Nollatobel - Urmein - Untertschappina - Obertschappina - Usser Glas/Glaspass - Inner Glas - Staubecken - Safien-Platz (Bus hinab zum Bahnhof Versam-Safien).

Gehzeit: 5 1/2 Stunden.

Höhendifferenz: 1220 Meter auf–, 600 abwärts.

Wanderkarte: 257 T «Safiental», 1: 50'000.

Kürzer: Wer mit dem Bus auf den Glaspass fährt, geht hernach praktisch nur noch abwärts. 600 Höhenmeter im Abstieg bis Safien-Platz, 1 1/2 Stunden Gehzeit.

Charakter: Zuerst ein Tobel. Dann ein weiter, aussichtsreicher Berghang zum Pass. Und als dritte Etappe ein steiler, aber gefahrloser Abstieg. Beeindruckende Rundsicht auf dem Pass und der Piz Beverin als dominanter Berg der Wanderung. Mittlere Anstrengung.

Höhepunkte: Der Nollasand. Die herzige Kirche von Tschappina. Ankunft und Einkehr auf dem Glaspass auf der Terrasse des Gasthauses Beverin. Der genial angelegte Saumpfad hinab nach Safien-Platz.

Kinder: Gut machbar. Auf der Schlusspassage im Steilhang vor Safien-Platz Vorsicht! Der Weg ist aber breit und hat ein Geländer.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: In Thusis, Tschappina und Safien-Platz. Und vor allem auf dem Glaspass. www.berggasthaus-beverin.ch. Di Ruhetag. Hier kann man auch übernachten.

Wanderblog: widmerwandertweiter.blogspot.com


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