Quantcast
Channel: Thomas Widmer – Outdoor
Viewing all articles
Browse latest Browse all 250

Die Softeis-Alp

$
0
0

Diese Woche auf einen der Churfirsten, den Brisi (SG)

Eines Sommertages gondeln wir von Alt St. Johann hinauf zur Alp Sellamatt. Unterwegs rufen wir uns die Namen der sieben Churfirsten in Erinnerung, von denen gleich vier zackig über die Tannen vor uns ragen. Selun, Frümsel, Brisi, Zuestoll, Schibenstoll, Hinderrugg, Chäserrugg!

Den Brisi haben wir uns diesmal vorgenommen. Er hat an mir in den letzten Jahren auf eigenartige Weise gezupft und gezogen. «Komm zu mir», schien er mir jedes Mal zu sagen, wenn ich ihn auf irgendeiner Toggenburgtour von weitem sah. «Komm endlich zu mir!»

Was für eine Rampe! Das wird hart.

Heute muss, heute soll es sein. Auch wenn es eigentlich zu heiss zum Wandern ist. Das Bergrestaurant auf Sellamatt ignorieren wir; wir wollen vorwärtsmachen. In dem angenehmen, mässig coupierten Alpgelände kommen wir gut voran, sind bald bei der Lochhütte. Der Brisi, 2279 Meter hoch, rückt näher und schockiert immer mehr: Was für ein Klotz! Was für eine Rampe! Das wird hart.

Dann das Brisizimmer. Ich bin enttäuscht. Ich weiss gar nicht, was ich mir vorgestellt habe – irgendwie, dass das Gelände ein Zimmer bildet. Also eine Kammer. Da sind aber nur ein Wegweiser und ein paar Alphütten.

Nun beginnt der Aufstieg. Teil eins führt durch eigenartig verkrautetes Gelände, die Wedel und Farne und Nesseln stehen hüfthoch und verdecken die Löcher im Kalkboden, dies ist Karstgelände, man muss auf seine Tritte achten. Ein Gatter führt durch ein Felsband auf das schräg gestellte Pultdach des Brisi. Teil zwei, nun ja, ist zwar kaum noch verkrautet. Aber der Karst macht sich umso brutaler bemerkbar. Die Stufen sind hoch, bröckelig, unregelmässig.

Oben sind wir erschöpft. Doch das Panorama entschädigt für alle Leiden. Auf der einen Seite haben wir die Säntiskette, auf der anderen die Gipfel über dem Flumserberg wie den Spitzmeilen. Und die Glarner Alpen. Durch eine Lücke im Fels sehen wir auf einen blauen Fleck zu unseren Füssen: die Ostspitze des Walensees.

Ah ja, unbedingt muss ich an dieser Stelle eine Warnung absetzen: Die Wanderung auf den Brisi ist mühsam, aber so weit ungefährlich, wenn man trittsicher ist. Nie geht man ausgesetzt. Aber oben die Kante – die hat es in sich. An sie zu treten, ist freiwillig; doch wer es tut, ist konfrontiert mit dem Nichts: Mehr als 1800 Meter stürzt das Gelände zum Walensee ab.

Die australische Hitze

Endlich reissen wir uns doch los. Wir halten hinab und schwitzen noch mehr als im Aufstieg: kontrolliert gehen und bremsen ist enorm streng. Nach dem Brisizimmer wird alles wieder leicht. Wir sind nun wieder auf dem erwähnten Alpboden, halten Richtung Westen, kommen zu einem Schild, das das Wildmannlisloch anzeigt. Die Höhle ist bekannt, ich wollte sie schon lange einmal besuchen, doch nicht heute! Wir sind müde. Ausgedörrt von der australischen Hitze.

Beim Alprestaurant Wildmannli auf dem Strichboden lassen wir uns auf den Bänken nieder und saufen wie die Kamele. Hunger haben wir kaum, was schade ist, denn es gibt Angusrind-Bratwürste. Eindruck macht uns der Glaceautomat an der Hauswand. Softeis auf der Alp, das sah ich noch nie; und tatsächlich zapft ein Sennenbub sich eine Glace. Mit diesem Bild im Kopf brechen wir auf zur nahen Selun-Seilbahn hinab nach Starkenbach. Selun? Ich glaube, das wird mein nächster Churfirsten sein.

++

Route: Alp Sellamatt Bergstation (Seilbahn mit Sesseln und Gondeln im Mix ab Alp St. Johann) – Lochhütte – Brisizimmer – Brisi – Brisizimmer – Breitenalp – Strichboden/Alprest. Wildmannli – Bergstation Selunbahn (die Talstation Starkenbach liegt unweit der Postautolinie Wildhaus–Bahnhof Nesslau/Neu St. Johann).

Wanderzeit: 5 Stunden.

Höhendifferenz: 1020 Meter aufwärts, 825 abwärts.

Wanderkarte: 237 T Walenstadt 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Anreise: Mit der Bahn nach Nesslau/Neu St. Johann. Von dort Bus nach Alt St. Johann zur Sellamatt-Seilbahn.

Charakter: Anstrengende Wanderung durch steiles und ruppiges Gelände: hohe Tritte, überwachsener Weg, Löcher im Boden. Oben auf dem Gipfel Vorsicht vor der Kante zum Walensee! Sehr aussichtsreich.

Höhepunkte: Das Ebenmass der Churfirsten von der Sellamatt aus. Der Rundblick vom Brisi. Der Softeis-Automat der Alpwirtschaft Wildmannli.

Kinder: Auf dem Brisi-Gipfel Vorsicht wegen der Kante!

Hund: Beschwerlich wegen der hohen Tritte.

Einkehr: Alp Strichboden, Restaurant Wildmannli. Bis Ende August durchgehend offen.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 250