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Die Rotztour

Diese Woche Rotzberg, Rotzburg, Rotzschlucht, Rotzloch und Drachenfluh (NW)


Der Föhn bläst, perfekt! Die dichtgepackte Landschaft der Innerschweiz, all die Berge und Hügel und die Arme des Vierwaldstättersee-Kraken, wirken durch die Magie des Warmwindes noch gedrängter. Kräftiger. Inniger. Wir freuen uns, als wir in Stans aus dem Zug steigen.

Der Weg geht zum gepflasterten Dorfplatz und führt hernach Richtung Westen aus dem Hauptort. An der Nägeligasse fällt ein Lotterhaus aus Holz auf, die Nummer 23. Der Hauptmann Jakob Stulz baute es um 1550 für sich und seine Familie, später war es ein Altersheim.

Der Burgenbruch

Vor uns sticht am Horizont der Pilatus in den Himmel. In der Nähe haben wir leicht links die Drachenfluh vor Augen samt ihren nackten Felswänden. Und leicht rechts die sanftmütige Kuppe des Rotzbergs. Beide Erhebungen werden wir uns erobern.

Wir kommen zur Lewengrueben, wo unser Wanderweg die Strasse von Stans nach Ennetmoos schneidet, passieren die St.-Josefs-Kapelle. Die Gegend verländlicht sich vollends mit blumengelben Wiesen und Bauernhöfen. Es geht aufwärts Richtung Rotzberg, im Rückblick beeindrucken Stanserhorn und Buochserhorn. Und auf dem kleinen Sattel vor dem Gipfel zeigt sich abrupt der Alpnachersee.

Ein Schild weist zehn Minuten später auf eine Gefahr hin: Links des komfortabel breiten Waldweges fällt das bewaldete Gelände senkrecht ab, ein Steinbruch. Dann sind wir oben. Von der Burgruine ist wenig geblieben, der Mauerring vor allem. Die Rotzburg ist berühmt als Teil des Burgenbruchs, der im Weissen Buch von Sarnen um (1470) erzählt wird: Die Innerschweizer Bauern, drangsaliert von ihrer ritterlichen Obrigkeit, stürmen mehrere Burgen. Darunter die auf dem Rotzberg.

Nach der Rast steigen wir ab zum oberen Eingang der Rotzschlucht auf einer Geländeterrasse mit Fabrik; der Wiesenpfad ist steil, wir müssen aufpassen. Schön, dass die Schlucht offen ist; sie ist nämlich von der Schliessung bedroht – Steinschlaggefahr. Wer sie begeht, tut es auf eigenes Risiko. Aber schön ist die kurze Passage: Wir sehen Höhlen und Stolleneingänge, lesen auf Tafeln von einer alten Mühle, Spuren einstigen Bergbaus, einer Schwefelquelle und seltenen Farnen.

Unten erreichen wir den Alpnachersee und sind nun im Rotzloch. Dies ist ein romantischer und gleichzeitig sehr geschäftiger Platz. Eine Deponie für Bauschutt ist hier untergebracht, und es wird Kieselkalk abgebaut. Schotter für unsere Bahngeleise. Das Rotzloch ist Nidwaldens allererste Industriezone. 1597 schon ist eine Papierwerkstatt belegt, auch ein Badhaus, eine Öltrotte, eine Pulvermühle, eine Sägerei, eine Gerberei und eine Eisenschmelze gab es einst.

Wer müde ist, geht nun nach Stansstad, knapp zweieinhalb Kilometer beträgt die Distanz dorthin. Wir fänden das schade und gehen just in die andere Richtung. Via Rieden steigen wir wieder auf, kommen in den wundersam feuchtelnden Hinterbergwald, sind endlich oben auf Zingel, langen auf der Drachenfluh mit ihrem weissen Kreuz an.

Jööö, der Rotzberg

Noch steht uns ein grober Abstieg hinab ins Drachenmoos bevor, Schlussziel ist Ennetmoos. Aber bereits ziehen wir das Fazit, dass die Innerschweiz immer wieder neu überraschen kann. Unsere Rotztour hat uns ein Übermass an Ausblick geschenkt  – jetzt gerade sehen wir weit hinten die beiden Mythen. Und wie klein der Rotzberg nun plötzlich wirkt, jööö.

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Route: Bahnhof Stans - St. Josefs-Kapelle - Vorder Rotzberg - Hinter Rotzberg - Rotzberg - Eingang Rotzschlucht - Schluchtweg - Rotzloch - Rieden - Vorder Rüti - Ober Rüti - Drachenfluh - Drachenried - Ennetmoos-Allweg (Bushaltstelle).

Wanderzeit: 4 1/4 Stunden.

Höhendifferenz: 660 Meter aufwärts, 610 abwärts.

Wanderkarte: 245 T Stans, 1: 50'000.

Retour: Mit dem Bus von Ennetmoos-Allweg zum Bahnhof Stans.

Kürzer: Vom Rotzloch statt Richtung Drachenfluh in die andere Richtung laufen, zum Bahnhof Stansstad. So dauert die ganze Wanderung nur 2 1/4 Stunden.

Charakter: Wildheit inmitten der Zivilisation. Faszinierende Hügel, schroffe Fluhen, blauer See in enger Packung. Nicht ungefährlich, in der Rotzschlucht droht stets Steinschlag!

Höhepunkte: Der Anblick des Rotzbergs vor dem Pilatus. Der Rundblick vom Rotzberg (und später noch viel toller von der Drachenfluh). Die Eroberung des Rotzlochs durch die enge Rotzschlucht.

Kinder: Sie gehören beaufsichtigt. Die Wege sind gut, doch kurz vor dem Rotzberg und vor der Drachenfluh führen sie steilen Fluhen entlang.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Vor und nach der Wanderung.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmer privatem Journal.

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Der grosse Brauser

Diese Woche von Rafz via Bad Osterfingen und Rossberg nach Neuhausen (ZH, D, SH)


Immer schön, nach Rafz zu fahren – diese Weite plötzlich! Ursprünglich waren Rafz und die anderen Dörfer des Rafzerfelds Teil von Deutschland. Dass sie heutzutage zum Kanton Zürich gehören, verdanken wir den Grafen von Sulz. Das süddeutsche Adelsgeschlecht wirtschaftete schlecht und musste 1651 Boden verkaufen.

Ah ja, für die, die das Rafzerfeld nicht kennen: Es ist eine riesige Ebene im Norden des Kantons, ein Teller der Natur, der flache Schwemmkegel eines einstigen Gletschers; der Untergrund besteht aus einer Dutzende Meter dicken Kiesschicht.

Der sinistre Steinhaufen

Vom Bahnhof ziehen wir in den Ort, der von Fachwerkbauten geprägt ist: rot die Balken, weiss das Mörtelmaterial dazwischen. Und schon sind wir draussen in der Natur, gewinnen am Sonnenberg Höhe, schauen zurück auf die Ebene. Ein seltsamer Steinhaufen in der Nähe beschäftigt uns. Er sieht aus wie ein Keltengrab, ist aber eine ökologische Massnahme. Die Landschaft ist derart aufgeräumt, dass ein künstliches Heim bereitgestellt werden musste für Tiere, die sich in Ritzen wohlfühlen: Eidechslein, Schlangen und dergleichen.

Bald sind wir in Deutschland; dazu zwei Dinge. Erstens fallen uns im Dorf Berwangen die vielen Sonnenkollektoren auf den Dächern auf; EU-bezuschusst, nehmen wir an. Und zweitens ist das Baltersweiler Kapellchen auf seiner Krete ein herrlicher Ort. Eine Muschel zeigt an, dass wir auf dem Jakobsweg gehen. Am Kapellchen sind drei grinsende Schädel aufgemalt. Der Sinnspruch lautet: «Ihr Vorbeigeher und -schauer, sagt mir, wer ist Fürst, Bettelmann oder Bauer?»

Es folgt ein steiler Abstieg im Wald. Wir sind wieder in der Schweiz, haben gegenüber den Rossberg, erreichen unser nächstes Ziel: Bad Osterfingen am Rand des einsamen Wangentälchens. Reben, ein paar Häuser, dazwischen das Gasthaus, das wie der Weiler heisst. Sein Wirt macht «Weltklasse-Spätzli», so die Zeitschrift «Beobachter». Schade, wir sind zu früh dran für Essen. Wir trinken etwas und lesen, dass Bad Osterfingen der Sommersitz der Rheinauer Äbte war. Dass in diesem Winkel schon die Römer siedelten. Dass die Heilquelle Badegäste von nah und fern lockte. Leider ist sie seit bald hundert Jahren praktisch versiegt.

Nun wird es streng. Durch den Weinhang, dann durch den Wald keuchen wir vorbei an der Ruine Radegg auf den Rossberg. Das Haus in der Lichtung, jawohl!, ist unser Mittagsziel. Der Rossberghof. Wieder kehren wir ein, haben bald unsere Gerichte vor uns, sehr gut. Mit der Aussicht klappt es nicht. Der Himmel ist diesig, es nieselt. Wir sehen weder die Glarner noch die Berner Alpen.

Durch den bärlauchelnden Wald halten wir hinab nach Neuhausen, kommen immer wieder an alten Grenzsteinen vorbei. Viele tragen die Jahrzahl 1839. Damals wurde aufgrund eines Vertrages zwischen CS (Canton Schaffhausen) und GB (Grossherzogtum Baden) die Grenze neu markiert. An manchen Steinen hat es Kürzel, die wir nicht verstehen. Schliesslich langen wir beim deutschen Bahnhof der Schaffhauser Gemeinde Neuhausen an.

Dunstend, staubend, röhrend

Die Wanderung ist offiziell zu Ende, per Bus oder Bahn könnten wir heimreisen. Aber der Rheinfall ist nah. Wir spazieren hinab ans Flussufer und freuen uns daran, wie das Wasser zwischen den Felsen noch im Flachen verschiedene Wege einschlägt, bis allen Einzelströmen dasselbe Schicksal beschieden ist: dunstend, staubend, röhrend in die Tiefe zu stürzen. Ach, Rheinfall, du bist ein grosser Brauser!

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Route: Rafz, Bahnhof - Rafz, Dorf - Sonnenberg - Hüsliholz - Brunnacker - Berwangen - Im Moos - Baltersweiler Kapellchen - Bad Osterfingen - Ruine Radegg - Rossberg - Rossberghof - Wasenhütte - Aazheimerhof - Neuhausen, Bahnhof Bad Bf. (deutscher Bahnhof).

Wanderzeit: 6 Stunden.

Höhendifferenz: 540 Meter auf-, 520 abwärts.

Wanderkarte: Am praktischsten ist die Wanderkarte 1:60'000 Schaffhausen/Winterthur von Kümmerly + Frey.

Retour: Von Neuhausen per Trolley oder per Bahn nach Schaffhausen usw.

Kürzer: Vom Rossberghof nach Osterfingen absteigen (Bus). So braucht man insgesamt nur 4 3/4 Stunden. 530 Meter auf-, 510 abwärts.

Abstecher: Lohnenswert ist natürlich am Schluss vom deutschen Bahnhof von Neuhausen der Besuch des Rheinfalls. Hin und zurück circa eine halbe Stunde Wanderzeit.

Charakter: Viel Kulturlandschaft mit Reben und Äckern. Dazwischen einsame Passagen. Etwas steil ist der Abstieg im feuchten Wald vor Bad Osterfingen. Einige Stücke auf Hartbelag.

Höhepunkte: Der Blick vom Sonnenberg aufs Rafzerfeld. Das Kapellchen von Baltersweil auf seiner spektakulären Krete. Die Einkehr im abgelegenen Bad Osterfingen. Die Einkehr im Rossberghof. Die schöne Waldstrecke mit den vielen Grenzsteinen Richtung Aazheimerhof.

Kinder: Etwas lang. Auf dem Rossberg und anderswo kann man schön grillieren.

Hund: Gut machbar.

Einkehr: In Rafz, Berwangen und Neuhausen. Sowie in Bad Osterfingen im gleichnamigen Restaurant (Mo./Di. Ruhetag). Und natürlich im Rossberghof (Mo./Di. Ruhetag, am Sonntag durchgehend warme Küche).

Rückkehr zum Ausgangspunkt: Bus/Bahn ab Neuhausens deutschem Bahnhof.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Gotthelfland und Kamblycity

Diese Woche von Ramsei auf die Lüderenalp im Emmental (BE)

Es ist praktisch unmöglich, über das Emmental zu schreiben, ohne auf Gotthelf zu kommen. Man muss halt immer an ihn denken angesichts dieser Schönheit, in der sich Schmerz und Trauer verbergen. Die Krachen, Gräben, Waldwinkel haben ein Übermass an Armut und Elend gesehen, Gotthelf schildert den Hunger, das Wasserelend, den Alkoholismus.
Oh weh, jetzt ist das mit Gotthelf wieder geschehen! Gehen wir lieber über zur Helligkeit eines frühlingshaften Wandertages. Mein Grüpplein und ich, wir starten in Ramsei, kalauern über «S Ramseiers wei go grase», blödeln fröhlich weiter, da stellt sich uns der erste Hügel in den Weg. Wir verstummen; atmen statt quasseln. Bloss R. redet weiter. Da steht ein Schild «Bauernlehrpfad». Er sagt: «Gut, dass man die Bauern etwas lehrt!»

Muss das Kälblein sterben?

Beim Hof auf dem Ramseiberg liegt ein Kälblein zuckend in einer Wiesenmulde. Das sieht schlimm aus, muss es sterben? K. holt die Bäuerin, die kommt mit der kleinen Tochter, schaut sich das Tier an. Entwarnung: Das sei nichts Schlimmes, das einwöchige Kälblein sei bloss gestürzt und zu schwach zum Aufstehen, sagt die Bäuerin. Das werde wieder.
Wir ziehen weiter, der Tag ist sorgenlos, die Gegend berührt uns. Vor allem die Höfe mit ihren Dächern bis an die Böden; die Kinder vom Napfbergland haben weite Schulwege. Ich erzähle den anderen einen Bauernwitz, einen makabren; ein Appenzeller darf das. «Was bleibt von einem Appenzeller Bauer, der in ein Feuer gerät? Faserpelz-Reissverschluss und Subaru-Schlüssel.»

Wir sehen die Berner Alpen und den Hohgant, haben auf der anderen Seite grüne Hügelwellen, die zum Mittelland auslaufen; dahinter zieht sich die erste Jurakette samt Chasseral und Weissenstein. Herrlich, zu laufen und zu sehen. Zwischendurch freilich sind da auch Steilstücke, bei denen wir den Blick zu Boden richten. Die Nagelfluh liegt frei, der Grund ist geröllig.
Endlich die Lüderenalp. Auf der Terrasse des Restaurants essen wir Bratwurst, Hohrückensteak und dergleichen und kommentieren das Bergpanorama, wobei die Serviererin die Namen einiger Gipfel ergänzt. Hinter uns setzen sich sechs Töfffahrer; es dauert, bis sie sich aus ihrer Schutzmontur geschält haben. Dicke Bäuche kommen zum Vorschein. Was soll eigentlich die Redewendung «sportlicher Fahrstil», frage ich mich.

Wir haben Samstag, einen Bus hinab nach Langnau oder Wasen gibt es einzig am Sonntag. Aber ohnehin ist uns der Tag zu lieb für eine rasche Heimkehr. Die zwei Freunde, die früher wieder zu Hause sein müssen, verabschieden sich und nehmen den Weg Richtung Wasen. Wir anderen steigen weiter dem Napf entgegen, geraten schnell auf begeisternd schmale Grate, drehen endlich beim Homattgätterli ab und halten via Schyne, Hohstullen, Rigenen nach Trubschachen. Dieser zweite Teil dauert länger als der erste.

Kein Biskuit, oh weh!

Trubschachen darf man ruhig Kamblycity nennen, so dominant ist die Guetslianlage. Enttäuschend freilich der Zug 18 Uhr 12 nach Luzern. Er heisst «Kambly-Zug» und ist mit Werbung wohlbestückt. Ein knackiges Biskuit wäre uns lieber. Vielleicht gibt es das in der ersten Klasse? Darüber rätseln wir, bis uns der Kondukteur aufklärt: Biskuits gibt es in beiden Klassen. Aber nur an zwei Tagen die Woche und auch dann nur in wenigen Kursen.

Schade, finden wir und widmen uns wieder den faszinierenden Högern vor dem Zugfenster. Adieu, Gotthelfland, es war wieder einmal schön!

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Route: Ramsei Bahnhof - Ramseiberg - Ramisberg - Benzenberg - Felben - Geilisguet - Fluehüsli - Sunnberg - Tällihüttli - Lüderenalp.

Wanderzeit: 3 3/4 Stunden.

Höhendifferenz: 704 Meter aufwärts, 162 abwärts.

GMX-Datei: Hier downloaden.

Fortsetzung 1: An Sonntagen verkehrt bis Ende Oktober zwischen Langnau (via Lüderenalp) und Wasen im Emmental ein Bus. Er fährt auch am 29. Mai, 9. Juni und 1. August.
Fortsetzung 2: Abstieg von der Lüderenalp nach Wasen (Bus). Zusätzlich 1 3/4 Stunden, 71 Meter aufwärts und 470 Meter abwärts.
Fortsetzung 3: Besonders schön, aber sehr lang ist die Variante nach Trubschachen via Homattgätterli, Zinggestall, Schyne, Rigenen, Fouz. Zusätzlich 4 Stunden, 343 Meter aufwärts und 756 Meter abwärts.

Wanderkarte: 244 T Escholzmatt, 1: 50'000. Für die Variante nach Wasen braucht es zusätzlich die Karte 234 T Willisau.

Charakter: Einige Hartbelagstücke. Je höher, desto herrlicher. Mässige Steigung im Wechsel mit einigen Steilstücken. Aussichtsreich mit Blick auf die erste Jurakette, Hohgant und Schrattenfluh und dahinter die Berner Alpen. Wer von der Lüderenalp zum Homattgätterli fortsetzt, geht auf schmalen Wegen in steilen Hängen, mässige Gefahr. Stöcke helfen.

Höhepunkte: Sie reihen sich: die vielen Höfe in den Geländewinkeln und Krachen. Die vielen Berge am Horizont. Das gewellte Land zum Napf. Die Maienwiesen. Die Einkehr auf der Lüderenalp.

Kinder: Gut machbar. Zwischen Lüderenalp und Homattgätterli muss man sie beaufsichtigen.

Hund: Gut machbar.

Einkehr: Restaurant (und Hotel) Lüderenalp. Bis Ende Oktober durchgehend geöffnet. Bei gutem Wetter und vor allem an Wochenenden reservieren!

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Meh Dräck!

Diese Woche von Wattenwil auf den Gurnigelberg (BE)

Die Berner wissen das, der Rest der Schweiz ist in der Regel leicht verwirrt. Was ist «Gurnigel»? Ein Berg, ein Pass, eine Gegend? Nun, irgendwie alles auf einmal. Niedlich klingt das Wort.

Es leitet sich ab vom Lateinischen «Corniculum», Hörnchen. Gemeint ist der imposante Ober Gurnigel, 1548 Meter hoch. Mit dem Postauto wiederum kann man von Riggisberg aus über den Gurnigel nach Zollhaus und Plaffeien gelangen, also ins Freiburgische, das wäre dann der Pass. Und ausserdem wird oft das ganze verwinkelte Högerland vor der Gantrischkette «Gurnigel» geheissen.

Dauerflucher R.

R. und ich, der St. Galler und der Appenzeller, machen uns eines schönen Tages auf, den Gurnigel zu erkunden; die Expedition soll uns Wissen durch Naherfahrung vermitteln. Wir starten in Wattenwil, einem Prachtdorf am Rand des Gürbetals. Das erste unserer zwei Ziele ist der Ober Gurnigel. Wir müssen kräftig Höhe machen, ihn zu erreichen, queren als erstes im Gebiet Vorder Rain den Hang über dem Dorf und merken schon dort, dass dies eine aussichtsreiche Wanderung werden wird. Wir sehen das Stockhorn und den Niesen, blicken bereits weit Richtung Jungfrau.

Hernach geht es eigentlich nur noch aufwärts, und zwar heftig. Es ist ein Keuchen und Schwitzen hinauf zur Stafelalp. R. flucht kräftig, so circa einmal pro Minute. Es hat nichts zu bedeuten, er tut dies rituell und bleibt dabei ein gutgelaunter und konstruktiver Wanderfreund, dem keine Strecke zu beschwerlich ist.

Endlich die Stafelalp. Dann tauchen wir in den Gurnigelwald ein, der es in sich hat. Über mehrere hundert Höhenmeter zieht er sich als verwunschenes Reich der Farne und Felsen. Mancherorts ist der Boden feucht und schlickig. Einmal hilft ein Holzgerüst, eine Primitivtreppe, über ein paar Meter Morast hinweg, die Chris von Rohrs berühmten Slogan voll und ganz erfüllen: «Meh Dräck!».

Irgendwann haben wir den Gurnigelwald doch hinter uns. Vor uns reckt sich eine coupierte Grashalde gen Himmel, die zu meistern wir hoch motiviert sind. Denn wir wissen: Haben wir sie bewältigt, sind wir oben. In der Tat langen wir einige Zeit später auf dem Ober Gurnigel an. Der Blick ist überwältigend, vor allen von dem umhagten Triangulationssignal aus, das dem höchsten Punkt nördlich vorgelagert ist. Ich kann nicht alles nennen, was wir sehen; erwähnt seien der Bantiger, die Jurakette, der Gantrisch und seine fast ebenso massiven Felskumpane, die ihn umstehen.

Wir haben Hunger, führen allerdings nur Behelfsnahrung mit, denn wir wissen, dass es unweit ein Restaurant gibt. Also weiter. Via die Gurnigelberghütte erreichen wir recht bald unser zweites Tagesziel, das Gurnigel-Berghaus an einer scharfen Kehre der Passstrasse. Motorengedröhn begrüsst uns. Die Terrasse ist eine der schönsten im Land, der Gast hat den Gantrisch direkt vor sich, und daher hat es hier immer viel Volk, Velofahrer, Autofahrer, Töfffahrer, Wanderer wir wir.

Das Dexter-Rind kommt

Wir setzen uns, R. stellt das Fluchen ein, wir mustern die Speisekarte. Einige Zeit später kommt das Entrecôte vom Dexter-Rind auf dem heissen Stein, zischt und spritzt hysterisch und riecht, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft. Der Gurnigel ist nicht nur ein Berg, ein Pass und eine Gegend. Der Gurnigel ist auch eine Essadresse.

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Route: Wattenwil Postgasse (Bus) - Gibel - Vorder Rain - Stafelalp - Gurnigelwald - Ober Gurnigel, Signal - Gurnigelberghütte - Berghaus-Gurnigel (Bus).

Wanderzeit: 3 1/2 Stunden.

Höhendifferenz: 1037 Meter aufwärts, 51 abwärts.

Wanderkarte: 253 T Gantrisch, 1: 50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Bus vom Gurnigel-Berghaus nach Riggisberg oder Schwarzenburg.

Verlängerung: Sehr schön ist ab Gurnigel-Berghaus die Route Selibüelsattel - Lischbodengrat - Luterbüel - Schleifgraben - Hostettleren - Habstannen - Längeneybad - Rüschegg-Heubach (Bus). Zusätzlich 3 Stunden Wanderzeit, 140 Meter aufwärts, 944 abwärts.

Charakter: Voralpines Wandern. Im Mittelteil viel Wald. Sehr aussichtsreich in alle Richtungen. Im oberen Teil schöne Bergkulisse.

Höhepunkte: Der stille, vermooste Gurnigelwald. Die Tiefblicke auf den Thunersee und das Stockhorn. Die weite Sicht gegen den Jura zu von Ober Gurnigel, Signal. Das Essen auf der Terrasse des Gurnigel-Berghauses mit dem Gantrisch vor Augen.

Kinder: Gut machbar.

Hund: Gut machbar.

Einkehr: Gurnigel-Berghaus, täglich offen.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmer privatem Journal.

Auch die Schweiz hat ihre Pyramiden

Diese Woche von Veysonnaz nach Euseigne (VS)

Bereits ist diese Kolumne geschrieben, da bekomme ich die Vorabkopie eines neuen Wanderbuches zugeschickt. Ha, der Fritz hat ein neues Buch! Sein drittes. Und ha! Der Fritz hat meine Route auch gemacht. Freilich in umgekehrter Richtung, von Euseigne nach Veysonnaz.

Der Fritz? Fritz Hegi! Ein pensionierter Ingenieur aus Bern, 72-jährig. Ein topfitter Wanderer, dessen Routen ich auf seinem Blog verfolge. Zusammen unterwegs waren wir auch schon. Und was sein neues Buch angeht, «Mit Wanderfritz durch die Schweiz», so kann ich es nur empfehlen. Speziell jenen, die Routen zwischen zwei und vier Stunden Gehdauer suchen. Fritz ist ein Genussgeher.

Eine freundliche Leitung

Und damit ins Wallis. Unsere Wanderung beginnt an der Bushaltestelle Veysonnaz Station hoch über Sion – die Fahrt den Hang hinauf war atemberaubend. Die schlechte Nachricht: Veysonnaz, ein Ferienort, ist gruselig verbaut. Die gute Nachricht: Wir sind Veysonnaz nach fünf Minuten los.

Ein Wanderwegweiser zeigt den Grand Bisse de Vex an. Bisse oder Suone heissen die berühmten historischen Wasserleitungen des Wallis. Manche führen halsbrecherisch durch Felswände. Unser Bisse hingegen ist zahm, das Wasser gluckert praktisch geradeaus, der Begleitweg ist breit, und die Jogger grüssen freundlich. Wo die Lärchen und Fichten eine Lücke freigeben, sehen wir das Rhonetal und hohe Berge.

Im Café-Restaurant du Bisse gibt es Malakoff, jenes Käseschnittenderivat, das angeblich Schweizer Söldner aus dem Krimkrieg mitbrachten. Sie sollen damals in der Mitte des 19. Jahrhunderts vor dem Fort Malakoff versucht haben, die heimatliche Käseschnitte in Öl nachzubacken. Das Resultat passte zum Krieg: eine Kalorienbombe.

Kurz auf einer unromantischen Strasse, dann durch Wiese und Wald erreichen wir Hérémence, ein Grossdorf mit einer sehr speziellen Kirche, die gegen Ende der 1960er-Jahre entstand. Exaltiert, expressiv, exzentrisch ist das sich türmende Geschachtel aus rohem Beton mit den kleinen Fenstern. «Brutalismus» heisst der Baustil.

Wir geraten auf schmalem Wiesenpfad wieder in den Wald, erreichen die Dixence, queren sie auf dem Pont de Letévèno. Euseigne ist dann nicht mehr weit, als irgendwann auf einem Nebensträsslein ein Punkt kommt mit einem Marienbild zur Linken und einem Spiegel für Autofahrer zur Rechten sowie einem Wegweiser «Chemin des Pyramides».

Bizarrerie im Gelände

Wir biegen links in den Chemin ein, es geht saftig abwärts, wir erreichen die Postautohaltestelle Pyramides d’Euseigne samt grossem Parkplatz – und voilà: Vor uns stehen im steilen Hang die berühmten Erdpyramiden. Scharfe Steinpfeiler, von denen manche neckische Kappen aus flachem Stein tragen.

Erdgeschichtlich ging das so: Vom einstigen Gletscher blieb eine steile, betonharte Mittelmoräne. Wasser, Wind, Erosion setzten ihr zu, sodass Teile abgetragen wurden. Dort, wo auf der Wand Steine sassen, blieb diese – es resultierten Pfeiler. Hat man mich verstanden? Ich hoffe es.

Vom Parkplatz steigen wir auf einem Weglein ab, stehen nun direkt vor den Pyramiden. Von ihnen wieder Abschied nehmen und ins nahe Euseigne hinüberziehen fällt nicht leicht. Die Pyramiden von Euseigne sind Bizarrerie im Gelände, Kappadokien in der Schweiz, geologische Erotik. Der Wanderfritz und der Wanderwidmer empfehlen den Besuch dringend.

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Route: Veysonnaz Station (Bus ab Bahnhof Sion) - Grand Bisse de Vex - Les Mayens de Sion - Les Mayens des Plans - Hérémence - Pont de Letévèno - Spiegel am Wanderweg/Schild Pyramidenweg: links einbiegen - Pyramiden-Parkplatz bei der Strasse - auf dem Weglein hinab zu den Pyramiden - Euseigne.

Wanderzeit: 3 ½ Stunden.

Höhendifferenz: 312 Meter auf-, 675 Meter abwärts.

Wanderkarte: 273 T Montana, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: von Euseigne mit dem Bus nach Sion.

Charakter: Herrliches Wallis. Zuerst horizontale Hangwanderung an einer historischen Wasserleitung, einem Bisse. Dann Besichtigung eines Naturwunders. Keine besonderen Gefahren, einzig die Weglein um die Pyramiden wollen etwas Trittsicherheit und Vorsicht.

Höhepunkte: Die atemberaubende Postautofahrt hinauf nach Veysonnaz. Der ingeniöse Bisse, die vielen Blicke auf die hohen Berge auf der anderen Seite des Rhonetals. Die wilde Betonkirche von Hérémence. Und natürlich die Pyramiden von Euseigne, an denen man sich nicht sattsehen kann.

Kinder: Gut machbar. Um die Pyramiden muss man Kinder aber im Auge behalten.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: In Veysonnaz. Das hübsche Café-Restaurant du Bisse einige Zeit nach Wanderbeginn (durchgehend geöffnet). In Hérémence. Und in Euseigne im ebenfalls hübschen Café-Restaurant du Relais (Mittwoch geschlossen).

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Buch: Fritz Hegi, «Mit Wanderfritz durch die Schweiz. Die 50 schönsten Wanderungen». Weltbild-Verlag, 144 Seiten, 24.20 Franken.

Das Bänkli, auf dem man sich besser anschnallt

Diese Woche vom Prättigau via Valzeina und Stams nach Trimmis (GR)

Zwei Vorbemerkungen. Erstens sehen wir im Zug Richtung Chur zur Linken sofort nach Landquart eine Fernsehantenne. Sie markiert eine andere Welt. Hinter dem Berg, in den sie gepflanzt ist, liegt das Hochtal von Valzeina. Es ist der grösstmögliche Kontrast zum Rheintal mit seinem Durchgangsverkehr und den grossen Ortschaften. Valzeina: Ruhe in Dorfform.

Zweitens ist diese Wanderung ist sehr lang. Sie dauert weit über sieben Stunden, wir machen mehr als 1300 Höhenmeter aufwärts und auch wieder abwärts. Wer es gern kürzer hätte, der kann aber die erste und die dritte der drei Etappen per Bus absolvieren. Es bleibt ein herrliches Mittelstück von etwas über drei Stunden.

Gefahrlos am Abgrund

Etappe eins beginnt bei der Bahnstation Seewis-Valzeina im Prättigau. Es geht über die Landquart und auf dem schmalen Bergsträsschen durchs Gätziloch. Das Motto ist aufwärts, aufwärts, aufwärts, doch da ist Variation: Strässchen, wie gesagt, aber auch Wald- und Wiesenpfade. Einmal wandern wir hart an der Felswand zur Prättigauer Chlus, doch die Sache ist ungefährlich.

Beim Bärgi lichtet sich der Wald, wir haben unser Hochtal vor uns, dazu die erwähnte Antenne und weit hinten das Ausreisezentrum Flüeli. Das frühere Ferienheim, in dem abgewiesene Asylbewerber ihre letzte Zeit in der Schweiz verbringen, hat Valzeina bekannt gemacht. Der Dokfilm «Life in Paradise» von Roman Vital zeigt, welche Spannungen es wegen des Flüeli im Dorf gibt.

Noch sind wir nicht in Valzeina. Zuvor wandern wir ein Stück weit der Felskante entlang, bei der das Gelände senkrecht zum Rheintal abfällt. Auch da: keine Gefahr, kein ausgesetztes Gehen! Das eine Bänklei freilich ist derart nah an die Kante gestellt, dass man findet, man würde hier zwar gerne sitzen, aber nur angeschnallt

Valzeina ist herrlich. Besonders der Hofladen im Kirchenheimet, vor dem ein Tisch steht. Wir können Salsiz kaufen und essen, Käse, Linzertorte, auch Getränke gibt es. So erholen wir uns bestens von Etappe eins, die gut drei Stunden gedauert hat. Unmerklich länger nun Etappe zwei. Auf Asphalt gelangen wir aus dem Dorf, ziehen, die Hochwangkette im Auge, vorwärts, gelangen auf dem Churberg ins Grüne, steigen weiter auf zum «Sattel».

Schnell zeigen sich hernach in einer Geländefalte Alphütten. Das ist Stams, zu dem ein Berghaus gehört, in dem es eine sehr gute Gerstenstuppe gibt. Wir beschauen uns das Calandamassiv, geniessen Höhenluft und Stille, schauen den Bikern zu mit ihren kurzen Hosen und den Knien, die halt einfach in ihrer Rötung und Knorpligkeit des Menschen kuriosester Teil sind.

Zisch, ein Calanda

Etappe zwei endet nach längerem Abstieg im Dörfchen Obersays, wir können den Bus hinab nach Trimmis nehmen. Wer noch mag, macht sich an Etappe drei, die noch einmal knapp anderthalb Stunden dauert; es ist ein ruhiges Abwärtsgehen ohne Probleme. Endlich sind wir unten in Trimmis, das als Dorf ein Mischwesen ist: hohe, seltsam zerklüftete, dicht bewaldete Berge mit Tobelschlitzen zum einen. Und liebliche Rebhänge und mediterrane Trockenmäuerchen mit Eidechslein zum anderen. Ein kühles Bier in einer Gartenwirtschaft rundet die Wanderung optimal ab. Ein Calanda, in der Regel.
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Route: Station Seewis-Valzeina - Gätziloch - Tenn - Gaschlun - Hauptwald - Bärgi - Tritt - Valzeina - Eggen - Clavadätsch - Churberg - Sattel - Stams - Falirtobel - Obersays - Untersays - Lätsch - Valtanna - Vorholz - Trimmis - Trimmis Saliet.

Etappe 1: Station Seewis-Valzeina - Valzeina Alpenrose (gleich beim Hofladen im Kirchenheimet). 3 Stunden, 765 Meter aufwärts, 232 abwärts. Diese Strecke kann man auch mit dem Bus machen, es gibt aber nur einen Morgenkurs.

Etappe 2: Valzeina Alpenrose - Obersays. 3 1/4 Stunden, 557 Meter aufwärts, 584 abwärts.

Etappe 3: Obersays - Trimmis. 1 1/4 Stunden, 65 Meter aufwärts, 590 abwärts. Auch diese Strecke kann man mit dem Bus machen, den man aber reservieren muss!

Wanderkarte: 248 T Prättigau, 1: 50 000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Bus von Trimmis Saliet nach Chur HB.

Charakter: Drei Wanderungen in einer. Wem das zuviel ist, der streicht die erste oder die dritte Etappe - oder gleich beide. Eine unglaublich vielseitige Route, aussichtsreich, mit Passagen aller Art: Höhenweg, Tobel, Wald, weite Wiesen.

Höhepunkte: Der Anblick Valzeinas von Bärgi aus, der Tiefblick von dort hinab ins Rheintal. Der wundersam geformte Cyprianpsitz. Die Hütten von Stams, die Einkehr dort. Das Einlaufen in Trimmis durch die Reben.

Kinder: Machbar. Einige Male führt der Wanderweg (nicht ausgesetzt) nah der Geländekante entlang, aufpassen!

Hund: Machbar, aber weit.

Einkehr: Hofladen Kirchenheimet in Valzeina, Familie Heinz-Walli. Der Laden ist tagsüber in der Regel offen, man bekommt auch Kaffee, Tee, kleine Sachen zum sofortigen Essen. 079 383 69 94. - Bergrestaurant Stams, durchgehend offen. Hier kann man jederzeit essen.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmer privatem Journal.

Wo ist denn hier das Horn?

Diese Woche von Siebnen auf die Gueteregg (SZ)

Die Wanderführer des Rotpunktverlags muss man haben. Die Reihe hat einen hohen Standard, die Routen sind in Text und Bild mit Liebe und Sorgfalt präsentiert, dazu kommt jede Menge Hintergrundinformation. So ist das auch mit dem neusten Band, «Schwyz zu Fuss» von Patrik Litscher (296 Seiten, 38 Franken). Man erfährt darin, wie es zum Schweizer Offiziersmesser kam. Wie das einst mit der freien Republik Gersau war. Wie man Ofeturli kocht.

Und da wir nun schon im Kanton Schwyz sind - kürzlich wanderten wir auf die Gueteregg und waren begeistert. Obwohl das Wetter durchzogen war und wir den Zürichsee nicht sahen. Oder gerade weil das Wetter durchzogen war und wir die Ruhe mochten. Den wilden Wald. Die Alpwirtschaft auf dem Gipfel, in der wir problemlos Platz fanden, was bei gutem Wetter nicht immer so einfach ist; Wanderer und Biker lieben den Ort.

Was ist Gusöteli?

Wir starteten bei der Station Siebnen-Wangen unweit des Zürichsees respektive Obersees; derzeit ist das Bahnhofsgelände eine Riesenbaustelle. Gott sei Dank war unser erstes Ziel leicht zu finden: der Dorfkern von Siebnen. Dort orientierten wir uns neu. Wir hatten den Tobeleinschnitt der Wägitaler Aa vor uns - jawohl, rechts davon, Vorderberg und Hinterberg, das war unser Hang.

Der Aufstieg war happig: steile Wiesenborde, Waldpfade, immer wieder auch Strässchen und Forstpisten. Lustig fanden wir den Namen der Wirtschaft Gusöteli - was das wohl heisst? Und abenteuerlich fanden wir nach Obergschwänd unseren Weg. Hoch über der Wägitaler Aa kamen wir zu einer Stelle, an der die Nagelfluh auf gut 20 Metern abgebrochen war. Der Wanderweg führte durch die Bruchstelle, wir gingen schnell, Steinschlagrisiko.

Kurz darauf kam eine Passage, auf der der Weg mit einem Seil gesichert war. Besonders gefährlich war das nicht, aber wir konzentrierten uns auf unsere Schritte. In den nächsten zehn Minuten sahen wir Schrunden und Löcher im Waldboden, der Hang rutscht offenbar.

Hernach war alles wieder einfach. Auf der Pfifegg, einem weiten Rücken samt Kreuz, rasteten wir kurz, weiter vorn war eine Alphütte mit einem Selbstbedienungs-Kiosk, eine gute Sache. Im Folgenden gerieten wir in den Nebel. Den Weg selber fanden wir ohne Probleme, kamen beim Rinderweidhorn zum Abzweiger Richtung Gueteregg. Rinderweidhorn? Wir sahen kein Horn. Auf der Karte stellte ich fest, dass es gut 40 Meter höher war und ziemlich nah.

Diese Gerstensuppe!

Zwanzig Minuten abwärts, dann zwanzig Minuten aufwärts, wobei wir einmal, als der Nebel schwächelte, den Sihlsee sahen - dann waren wir auf der Gueteregg. Ein herrliches Ankommen, wir hatten Hunger, froren und schwitzten. Nicht zum ersten Mal stellte ich fest, dass die Bauernfamilie, die auf der Aussichtskuppe wirtet, es gut macht. Der Bauer war freundlich. Die Ambiance in der nicht allzu grossen Stube gemütlich. Und nie zuvor hatte ich eine bessere Gerstensuppe; sie hat in meinem ewigen Gerstensuppenrating die Konkurrenz vom Veltlinerstübli in Davos-Monstein vom Spitzenplatz verdrängt.

Dieser Chust! Der Speck! Das mitgereichte Knusperbrot! Man wird wieder auf die Gueteregg müssen, allein ihrer Suppe wegen.
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Route: Siebnen-Wangen Station - Siebnen - Müli - Gusöteli - Ober Gschwänd - Flüewald - Pfifegg - Zauggenhütte - Wegpunkt Rinderweidhorn (das Horn liegt circa 40 Meter höher etwas entfernt, also nicht direkt am Weg) - Gueteregg.

Wanderzeit: 4 1/4 Stunden.

Höhendifferenz: 1005 Meter aufwärts, 171 abwärts.

Wanderkarte: 236 T Lachen, 1: 50 000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Fortsetzung 1: Schönster, aber langer Abstieg von der Gueteregg via Stöcklichrüz, Chörnlisegg, St. Meinrad, Etzel-Kulm, Bommeren, Büel nach Schindellegi. Zusätzlich 3 3/4 Stunden, 246 Meter aufwärts, 765 Meter abwärts. GPX-Datei.

Fortsetzung 2: Schneller Abstieg von der Gueteregg nach Willerzell am Sihlsee. Zusätzlich 1 1/4 Stunden, 31 Meter aufwärts, 411 Meter abwärts.

Charakter: Anstrengend und apart. Vor der Pfifegg einsam und ein wenig heikel (Steinschlagrisiko, eine geröllige Stelle, gut 10 Meter seilgesichert). Aussichtsreich.

Tipp: Bei mässigem Wetter unter der Woche gehen. Bei schönem Wetter an Wochenenden hat es um die Gueteregg enorm viel Volk, darunter viele Biker.

Höhepunkte: Der Blick auf den Zürichsee von der Gegend Gusöteli. Der wilde Steilwald vor der Pfifegg. Der herrliche Grasrücken der Pfifegg. Die Gerstenstuppe auf der Gueteregg hoch über dem Zürichsee.

Kinder: Machbar; die Kinder gehören auf der heiklen Passage vor der Pfifegg aber geleitet. Steinschlaggefahr!

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Gueteregg. Schöne Alpwirtschaft mit rustikalen Gerichten. Jeweils 8 bis 18 Uhr, Ruhetag Freitag.

Neuer Wanderführer: «Schwyz zu Fuss» von Patrik Litscher. Rotpunktverlag, 296 Seiten, 38 Franken. 20 Routen, informative Texte über Dinge am Weg, Farbfotos.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmer privatem Journal.

Essbares Glück in der Hirschtränke

Diese Woche eine Rundtour von Semsales auf den Niremont (FR)

Semsales, das ist ein kleines Dorf im Südteil des Kantons Freiburg. Sein Wahrzeichen ist der von der alten Kirche übriggebliebene, isoliert stehende Glockenturm. An einigen Hausfassaden hängen gemalte Alpaufzüge im naiven Stil.

Ich zog gleich los, nachdem die Anreise per Zug via Freiburg und Bulle doch gedauert hatte. Mein Ziel war der Niremont, ein mit 1514 Metern eher unhoher Berg, der schon lange auf meiner Wunschliste stand. Der Himmel war hell, die Sonne schien, doch war es für die Jahreszeit kühl, ich steigerte daher ein wenig das Tempo. Am oberen Ortsrand ein Verzweiger, zwei Wege auf den Berg standen zur Wahl. Ich nahm den rechten. Auf dem linken würde ich ein paar Stunden später glücklich und um viele Kalorien reicher wieder Semsales zustreben.

Die versteckte Kirche

Auf Asphalt, Kies, Schotter, Gras gewann ich Höhe, das war nicht besonders mühevoll. Die Kapelle von Notre Dame de Niremont war auf meiner Karte verzeichnet; als ich den gleichnamigen Wegweiserpunkt erreichte, sah ich sie aber nicht. Ich folgte dem Holzschnitzelweg linkerhand ins Gehölz – voilà, da war sie, grossartig gelegen auf ihrer Geländeterrasse. Ich setzte mich im Freien auf eine Bank, trank Mineralwasser, ass eine Banane, schaute ins wohlgeordnete Land.

Etwas später hatte ich den Niremont vor mir, einen langgezogenen Rücken. Und wieder etwas später stand ich bereits beim Gipfelkreuz. Respektive: Ich setzte mich, denn da waren freundlicherweise zwei Bänklein. Eine gute Sache: Noch eine Banane essen, noch mehr Wasser trinken und vor allem – noch mehr schauen. Der Niremont ist gleichzeitig eine harmlose Flysch-Erhebung und ein grandioser Balkon mit Sicht auf Bergklötze wie Teysachaux und Moléson; beide hatte ich direkt vor Augen.

Ich begann im Wind zu frösteln, erhob mich, ging weiter. Der Weg führte hinab zum Alpgebäude im nahen Sattel und durch eine morastige Senke. Und bald wurde mir eine äusserst angenehme Überraschung zuteil: La Goille au Cerf. Zu Deutsch heisst das «Hirschtränke», fand ich später in einem Onlinewörterbuch der Westschweizer Patois-Varianten. Es roch nach Rauch, die Alpwirtschaft war offen. Ich stieg die kurze Treppe hinauf, trat ein.

Weisswein von den Wallisern

Ein rustikales Lokal. Zwei Frauen rüsteten gewaltige Mengen Gemüse und Kartoffeln, ich setzte mich und beschloss, mich im Kanton Freiburg wie ein Freiburger zu benehmen. Ich orderte also ein Fondue Moitié-Moitié. Als es kam, war es essbares Glück: cremig und wärmespendend und magenbetörend, das Weissbrot am Feuer gewärmt und geröstet. Ein Glas Weisswein hatte ich auch, denn da waren am Nebentisch vier Männer, die mich einluden.

Eine gute Sache, diese Hirschtränke. Als ich wieder ins Freie trat, fühlte sich mein Bauch behaglich voll an. Den Weisswein spürte ich auch, denn die Herren Einlader hatten fleissig nachgeschenkt; es waren Walliser, übrigens. Ich ging vorsichtig im Abstieg nach Semsales, der stellenweise steil war. Und als ich wieder im Dorf war, diagnostizierte ich bei einem Kaffee an mir einen Zustand der totalen Zufriedenheit. Ich hoffe, dass ihn die Nachwanderer dieser Kolumne ebenfalls erreichen werden. Vielleicht lohnt es sich, auf einen ähnlich kühlen, also bisigen oder regnerischen Tag zu setzen. Auf einen Fondue-Tag.

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Route: Semsales Station - Notre Dame de Niremont (Kirchlein) - Les Prévondes - Niremont - Goille au Cerf (Alpwirtschaft) - Semsales Station.

Wanderzeit: 3 3/4 Stunden.

Höhendifferenz: Je 656 Meter auf- und abwärts.

Wanderkarte: 262 T Rochers de Naye, 1: 50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Anreise: Semsales liegt an der Bahnlinie Bulle–Châtel-St-Denis.

Charakter: Technisch einfache Wanderung mittlerer Anstrengung. Gute Wege. Viel Aussicht vom Niremont.

Höhepunkte: Das herzige Dorf Semsales. Der flache, weiche Rücken des Niremont. Der Rundblick vom Gipfel auf Berge wie Moléson und Teysachaux.

Kinder: Keine Probleme.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Goille au Cerf, sehr schöne Alpwirtschaft. Bis 1.  Oktober geöffnet. Ruhetag Montag.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.


Eine neue Blume, ein neuer Berg

Diese Woche von Niederrickenbach aufs Buochserhorn und hinab nach Buochs NW

Unterhalb des Buochserhorns war ich kürzlich sehr stolz. Als ausgewiesener Nichtbotaniker konnte ich die Bergflockenblume zweifelsfrei benennen. Ein paar Wochen zuvor hatte ich für sieben Franken den «Alpenblumen-Finder» auf mein iPhone heruntergeladen. Ein gutes Dutzend Blüemli und Pflänzli habe ich mir seither dank der Schweizer App angeeignet. Ich kenne jetzt den Zottigen Klappertopf. Den Schlangen-Knöterich. Den Gold-Pippau. Und den Blauen Eisenhut, Mitteleuropas giftigste Pflanze – nicht anrühren, die Hand wird sonst taub!

So mischen sich in der Natur Schönheit und Schrecken. Das gilt auch fürs Buochserhorn, 1807 Meter über Meer. Abrupte Grate und bösartige Flühe gehören zu ihm, doch kann man es auch gefahrlos und schwindelfrei über Wiesenhalden erreichen. Kürzlich erstieg ich den Berg, der lange auf meiner Wunschliste gestanden hatte.

Vom Ahornbaum zum Hochaltar

Der Tag würde heiss werden. Ich ging um 5.10 Uhr aus dem Haus, fuhr nach Luzern, stieg um auf den Zug nach Engelberg, wechselte in Niederrickenbach Station auf die Seilbahn. Sie füllte sich schnell, wir standen gedrängt, als sie losfuhr, tief unten sah ich Tobel, Felsen, einen Wildbach.

Niederrickenbach, im Volksmund «Maria-Rickenbach», ist ein Klosterdörfchen auf knapp 1200 Metern. Seit anderthalb Jahrhunderten gibt es hier Benediktinerinnen, sie beten, weben, unterhalten einen Kräutergarten und betreiben einen Laden. Der Hochaltar der Kirche steht, wo einst ein Ahornbaum eine Marienstatue beherbergte.

Ich zog los, querte den Bleikigraben, erreichte die Bleiki, kam zum Bleikigrat, einem Sattel; gut eine Stunde dauerte das und war ziemlich anstrengend. Tief unten erblickte ich den Vierwaldstättersee. Das Horn hatte ich direkt vor mir, fand alsbald die halbe Stunde des Schlussaufstiegs noch viel anstrengender und war dankbar für die frühmorgendliche Kühle.

Oben im umzäunten Geviert beim Signal sammelten sich die ersten Wanderer, dazu ein paar Biker. Die Würde des Berges machte alle still, wir schauten und schauten und schauten und konnten das Panorama samt Dutzenden berühmten Gipfeln wie Titlis, Mythen, Uri Rotstock nicht fassen. Man muss dieses Buochserhorn gemacht haben!

Endlich stieg ich ab, der Hitze entgegen. Über die Ochsenweid kam ich zum Arhölzli. An der Hausfassade waren Ereignisse aus der Alpgeschichte mit weisser Farbe oder Kreide handschriftlich notiert: «11. Juli 1993, ganze Alp überjagt mit Schnee.» Kurz sprach ich mit dem Bauern, der mir die Hand gab. «Heute wird es grausam heiss», sagte ich. «Ja, ja», sagte er, «jetzt ist Sommer.»

Heiss wie im Pizzaofen

Ich musste mich entscheiden: retour zur Seilbahn oder – eine Stunde länger – zu Fuss hinab nach Buochs. Ich entschied mich für Variante zwei. Herrlich fand ich einige Zeit später die Alpställe bei der Ligg und gleich danach einen unglaublich steilen Stufenpfad im Wald. Herrlich die Einsamkeit im Wald bis weit hinab. Und herrlich der Vierwaldstättersee, der so tiefblau war, als hätte ihn ein überkandidelter Maler nachkoloriert.

Schliesslich war ich unten. Auf dem Postplatz Buochs sengte die Luft wie in einem Pizzaofen. Im Spar holte ich eine Glace und hätte sie mir am liebsten ins Gesicht geschmiert. Sehnsüchtig blickte ich auf das Buochserhorn über mir und nahm mir vor, das nächste Mal länger oben zu verweilen und vielleicht die eine oder andere Blume mehr kennen zu lernen.
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Route: Niederrickenbach, Seilbahn-Bergstation (von Luzern mit der Engelbergbahn bis Niederrickenbach Station, Halt auf Verlangen, und in vier Gehminuten zur Talstation der Seilbahn) - Bleikigraben - Bleiki - Bleikigrat - Buochserhorn - Ober Ochsenweid - Unter Ochsenweid - Arhölzli - Ligg - Gross Lauwigraben - Buggenried - Buochs Post.

Wanderzeit: 4½ Stunden.

Höhendifferenz: 650 Meter aufwärts, 1365 Meter abwärts.

Wanderkarte: 245 T Stans, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Von Buochs mit dem Bus zum Bahnhof Stans.

Kürzere Variante/Rundtour: Aufs Buochserhorn und hinab zum Arhölzli wie oben. Von dort via Ober und Unter Müllerboden wieder zur Bergstation der Niederrickenbach-Seilbahn. 3½ Stunden. Je 680 Meter auf- und abwärts. GPX-Datei hier.

Charakter: Grossartige Bergwanderung mit 360-Grad-Panorama, Bergblumen sonder Zahl und einem komfortablen Gipfel zum Geniessen. Wo der Weg hart an der Kante verläuft, können Leute mit Höhenangst gut ein paar Meter ins Sichere ausweichen.

Höhepunkte: Die Seilbahnfahrt nach Niederrickenbach über einem wilden Tobel. Der Blick auf die Musenalp, die zuerst viel höher, dann aber tiefer liegt. Der Rundblick vom Horn, die Schönheit des irre verzweigten Vierwaldstättersees tief unten. Der schmale Bergpfad bei der Ligg.

Alpenblumen-Finder: Sehr schön gestaltete App fürs iPhone von der Schweizerin Renata Caviglia. Alpenblumen im Porträt mit schönen Fotos (3 bis 4 pro Blume), Suchfunktion und Quiz zum Lernen.

Kinder: Gut machbar. Der Weg ist an sich gefahrlos, führt aber zeitweilig am Grat entlang!

Hund: Gut machbar.

Einkehr: Bloss am Anfang im Pilgerhaus Niederrickenbach gleich bei der Seilbahn-Bergstation. Montag Ruhetag.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Bunker und Zackenfestung

Diese Woche eine Rundtour von Ste-Croix auf die Aiguilles de Baulmes (VD)


Es ist immer wieder gut, von Yverdon hinauf nach Ste-Croix zu reisen. Das Schmalspurzüglein holt auf dem Zwischenplateau von Vuiteboeuf zu einer kilometerlangen Engschleife aus, um die verbleibenden 400 Höhenmeter zu bewältigen. Und hernach fährt es eng am Rand des Schluchtkessels der Gorges de Covatanne. Beides sind grosse Bahnmomente.

In Ste-Croix weilte ich schon mehrere Male wegen des nahen Chasseron. Diesmal hatte ich ein anderes Ziel: die Aiguilles de Baulmes. Aiguilles, das sind Felsnadeln. Dieser Höhenzug ist von Süden betrachtet eine Zackenfestung. Die Nordseite freilich ist harmlos, ein bewaldeter Hang aus schütterem Kalk.

Zwei Frauen, zwei Bunker

Ich hielt vom Bahnhof in den Ort hinein, bog links ab, passierte bald als letztes Haus das Spital. Zwei Frauen vor mir gingen ein wenig schneller, stoppten aber immer wieder; mal schnürte die eine ihren einen Schuh neu, mal streichelte die andere ein paar Ziegen. So wanderten wir lange in einer prekären Nähe, überholten uns wechselweise, tauschten auch ein paar Worte: «Elles sont très jolies», sagte ich über die Ziegen auf Holperfranzösisch.

Bei La Gittaz Dessous kehrten die Frauen ein; eine Bauernwirtschaft. Ich lief weiter nach La Gittaz Dessus und erblickte einen alten Bunker. Nicht erstaunlich angesichts der Nähe zu Frankreich. Kurz darauf ein zweiter Bunker, der Wanderweg führte links von ihm hinauf zu den Aiguilles, die ich schon längere Zeit vor Augen gehabt hatte. Im Aufstieg gab es zweimal Abzweiger, ich wählte beide Male die Variante «Sommet».

Durch schütteren Sturmwald mit spektakulären Baumleichen erreichte ich besagten Gipfel. Herrlich der Ausblick, auch wenn die Luft zu dunstig war, dass ich den Mont Blanc hätte erschauen können. Aber die Region und die angrenzenden Berge sah ich doch, genoss auch den Anblick des Neuenburgersees zu meinen Füssen.

Zu lange verweilte ich nicht, denn ich wusste von einem Freund, dass weitere tolle Aussichten folgen würden. Die Aiguilles de Baulmes sind eine Serie von Felsvorsprüngen, auf denen man steht wie auf einem Sprungbrett. Der Weg zwingt einen freilich zu gar nichts; das An-den-Abgrund-Treten ist fakultativ.

Via das Alpgebäude Chalet des Aiguilles und den Verzweiger Cave Noire kam ich zum tiefer gelegenen Restaurant Mont de Baulmes. Es frustrierte mich. Aus dem Internet wusste ich, dass es eine Hochburg des gepflegten Käse-Erlebnisses ist. Mein Magen knurrte. Aber vor dem Haus standen unzählige Autos. Die Tische draussen waren weitgehend, die drinnen sämtlich belegt. Natürlich hätte ich einen Platz gefunden, aber ich hatte keine Lust – zu viele Automenschen.

Trostpizza in Zollikerberg

50 Minuten später war ich wieder in Ste-Croix. Das Züglein stand bereit, ich erwischte es knapp, fuhr in Yverdon gleich weiter. Um halb fünf war ich zu Hause in Zollikerberg. Ich liess mich im Garten des Restaurants Rosengarten nieder und hatte kurz darauf eine Pizza Napoli vor mir. Während ich sie verschlang, sichtete ich auf dem Fotoapparat meine Bilder.

Doch, die Aiguilles sind imposante Nadeln! Wer nur die schroffen Aufnahmen herzeigt, wird als eine Art Reinhold Messner des Juras bewundert werden. Wie gefahrlos er hinaufkam, braucht er ja nicht zu verraten.

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Route: Bahnhof Ste-Croix - Spital - La Gittaz Dessous - La Gittaz Dessus - Aiguilles de Baulmes, Sommet (Gipfel) - Chalet des Aiguilles - Cave Noire - Mont de Baulmes (Restaurant) - Bahnhof Ste-Croix.

Wanderzeit: 3 3/4 Stunden.

Höhendifferenz: Je 570 Meter auf- und abwärts.

Wanderkarte: T250 Vallée de Joux 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Anreise: Von Yverdon mit dem Bähnchen hinauf nach Ste-Croix.

Charakter: Technisch einfache Wanderung mittlerer Anstrengung. Etwas steil und ruppig in der Passage zum Gipfel. Ausgesetzte Punkte mit Weitsicht auf der Krete sind vermeidbar.

Höhepunkte: Die Bahnfahrt Yverdon - Ste-Croix. Die weite Juralandschaft bei La Gittaz Dessus. Die Weitsicht vom Gipfel.

Kinder: Keine Probleme. Auf der Aiguilles-Krete muss man sie aber beaufsichtigen!

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: La Gittaz Dessous . Im Juli und August an allen Tagen offen. Restaurant Mont de Baulmes. Derzeit an allen Tagen offen.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Die Softeis-Alp

Diese Woche auf einen der Churfirsten, den Brisi (SG)

Eines Sommertages gondeln wir von Alt St. Johann hinauf zur Alp Sellamatt. Unterwegs rufen wir uns die Namen der sieben Churfirsten in Erinnerung, von denen gleich vier zackig über die Tannen vor uns ragen. Selun, Frümsel, Brisi, Zuestoll, Schibenstoll, Hinderrugg, Chäserrugg!

Den Brisi haben wir uns diesmal vorgenommen. Er hat an mir in den letzten Jahren auf eigenartige Weise gezupft und gezogen. «Komm zu mir», schien er mir jedes Mal zu sagen, wenn ich ihn auf irgendeiner Toggenburgtour von weitem sah. «Komm endlich zu mir!»

Was für eine Rampe! Das wird hart.

Heute muss, heute soll es sein. Auch wenn es eigentlich zu heiss zum Wandern ist. Das Bergrestaurant auf Sellamatt ignorieren wir; wir wollen vorwärtsmachen. In dem angenehmen, mässig coupierten Alpgelände kommen wir gut voran, sind bald bei der Lochhütte. Der Brisi, 2279 Meter hoch, rückt näher und schockiert immer mehr: Was für ein Klotz! Was für eine Rampe! Das wird hart.

Dann das Brisizimmer. Ich bin enttäuscht. Ich weiss gar nicht, was ich mir vorgestellt habe – irgendwie, dass das Gelände ein Zimmer bildet. Also eine Kammer. Da sind aber nur ein Wegweiser und ein paar Alphütten.

Nun beginnt der Aufstieg. Teil eins führt durch eigenartig verkrautetes Gelände, die Wedel und Farne und Nesseln stehen hüfthoch und verdecken die Löcher im Kalkboden, dies ist Karstgelände, man muss auf seine Tritte achten. Ein Gatter führt durch ein Felsband auf das schräg gestellte Pultdach des Brisi. Teil zwei, nun ja, ist zwar kaum noch verkrautet. Aber der Karst macht sich umso brutaler bemerkbar. Die Stufen sind hoch, bröckelig, unregelmässig.

Oben sind wir erschöpft. Doch das Panorama entschädigt für alle Leiden. Auf der einen Seite haben wir die Säntiskette, auf der anderen die Gipfel über dem Flumserberg wie den Spitzmeilen. Und die Glarner Alpen. Durch eine Lücke im Fels sehen wir auf einen blauen Fleck zu unseren Füssen: die Ostspitze des Walensees.

Ah ja, unbedingt muss ich an dieser Stelle eine Warnung absetzen: Die Wanderung auf den Brisi ist mühsam, aber so weit ungefährlich, wenn man trittsicher ist. Nie geht man ausgesetzt. Aber oben die Kante – die hat es in sich. An sie zu treten, ist freiwillig; doch wer es tut, ist konfrontiert mit dem Nichts: Mehr als 1800 Meter stürzt das Gelände zum Walensee ab.

Die australische Hitze

Endlich reissen wir uns doch los. Wir halten hinab und schwitzen noch mehr als im Aufstieg: kontrolliert gehen und bremsen ist enorm streng. Nach dem Brisizimmer wird alles wieder leicht. Wir sind nun wieder auf dem erwähnten Alpboden, halten Richtung Westen, kommen zu einem Schild, das das Wildmannlisloch anzeigt. Die Höhle ist bekannt, ich wollte sie schon lange einmal besuchen, doch nicht heute! Wir sind müde. Ausgedörrt von der australischen Hitze.

Beim Alprestaurant Wildmannli auf dem Strichboden lassen wir uns auf den Bänken nieder und saufen wie die Kamele. Hunger haben wir kaum, was schade ist, denn es gibt Angusrind-Bratwürste. Eindruck macht uns der Glaceautomat an der Hauswand. Softeis auf der Alp, das sah ich noch nie; und tatsächlich zapft ein Sennenbub sich eine Glace. Mit diesem Bild im Kopf brechen wir auf zur nahen Selun-Seilbahn hinab nach Starkenbach. Selun? Ich glaube, das wird mein nächster Churfirsten sein.

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Route: Alp Sellamatt Bergstation (Seilbahn mit Sesseln und Gondeln im Mix ab Alp St. Johann) – Lochhütte – Brisizimmer – Brisi – Brisizimmer – Breitenalp – Strichboden/Alprest. Wildmannli – Bergstation Selunbahn (die Talstation Starkenbach liegt unweit der Postautolinie Wildhaus–Bahnhof Nesslau/Neu St. Johann).

Wanderzeit: 5 Stunden.

Höhendifferenz: 1020 Meter aufwärts, 825 abwärts.

Wanderkarte: 237 T Walenstadt 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Anreise: Mit der Bahn nach Nesslau/Neu St. Johann. Von dort Bus nach Alt St. Johann zur Sellamatt-Seilbahn.

Charakter: Anstrengende Wanderung durch steiles und ruppiges Gelände: hohe Tritte, überwachsener Weg, Löcher im Boden. Oben auf dem Gipfel Vorsicht vor der Kante zum Walensee! Sehr aussichtsreich.

Höhepunkte: Das Ebenmass der Churfirsten von der Sellamatt aus. Der Rundblick vom Brisi. Der Softeis-Automat der Alpwirtschaft Wildmannli.

Kinder: Auf dem Brisi-Gipfel Vorsicht wegen der Kante!

Hund: Beschwerlich wegen der hohen Tritte.

Einkehr: Alp Strichboden, Restaurant Wildmannli. Bis Ende August durchgehend offen.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

«Wie gross sind Sie?», fragte mich die Frau vom Hotel

Diese Woche von Pesciüm in zwei Tagen nach Fusio (TI)

In mancher Hinsicht ist die Route von Pesciüm nach Fusio der ideale Tessin-Zweitäger. Sie ist abwechslungsreich: einmal Höhenweg, einmal Passwanderung. Sie überfordert nicht, man braucht am ersten Tag viereinhalb Stunden und am zweiten eine Stunde weniger. Zudem muss man nirgendwo, wie so oft in dem mediterranen Gebirgskanton, gefährliche Stellen passieren. Und am Tremorgiosee gibt es am Ende der ersten Etappe eine Seilbahn – Talflucht möglich für Hüttenverächter wie mich.

Ich fuhr nach Airolo, wechselte auf das Büslein ins Bedrettotal, stieg bei der Haltestelle Funivia gleich wieder aus. Die riesige Seilbahnkabine hinauf nach Pesciüm war halb leer. Gebannt verfolgte ich, wie Airolo samt Autobahn und Staubecken unten zurückblieb.

Ravioli mit Forellenfüllung

Oben stellte ich eine allgemeine Hässlichkeit fest wie überall, wo skigefahren wird: schüttere Wiesen und Masten noch und noch. Ich zog los und war binnen kurzem in der wild wuchernden, dschungelhaft grünen Natur. Der Höhenweg zum Tremorgiosee heisst zu Anfang auch Sentiero del Mirtillo, Heidelbeerweg. Die Alpe di Ravina: leider noch einmal Skiliftmasten. Das Stück hernach bis Zemblasca dann wieder Moosboden, Waldboden, Wiesenboden, ich atmete auf und atmete durch. Linkerhand hatte ich an der anderen Leventinaflanke die Ritom-Standseilbahn.

Der Tremorgiosee war nicht mehr weit, stellte ich bei Zemblasca anhand der Karte fest. Doch oh weh! Ich musste fast 300 Meter absteigen nach Ri Secco. Und dann wieder aufsteigen nach Cassina und Pian Mott. Hernach eine krasse Steilheit, der Weg verengte sich zudem drastisch, ausgesetzt würde ich das aber knapp noch nicht nennen. Endlich der schönste Moment meines ersten Tages. Von einer Krete sah ich tief unten den südseeblauen Tremorgiosee.

Als ich vor der Capanna Tremorgio über dem Seeufer sass, vor mir eine Gazosa-Limonade, fand ich: Doch, in dieser Hütte würde ich es vermutlich aushalten. Freilich hatte ich unten in Rodi ein Zimmer im Dazio Grande gebucht, einem wuchtigen Zollgebäude aus dem Ancien Régime. Ich fuhr mit der Seilbahn nieder, bezog mein Zimmer, machte einen Spaziergang, ass im Hotel Baldi Ravioli mit Forellenfüllung.

Am nächsten Morgen fuhr ich wieder hinauf zum See. Mässig anstrengend der Pfad durch die Farnwedel hinauf zur Alpe Campolungo mit ihrem anarchisch mäandrierenden Bach. Ein Zacken am Horizont gleich links meines Zieles, des Campolungo-Passes auf 2318 Metern, war der Pizzo del Prévat. So sagte es ein Bergsteiger, der mir entgegenkam.

Ich bin in den Abruzzen

Die Weitsicht vom Pass auf immer neue Bergketten Richtung Westen war beeindruckend, ich kannte kaum einen der Gipfel. Die Strommasten am Pass ignorierte ich, ass bei der windschiefen Hütte mit den Kabelrollen meine neuste Wanderspeise, getrocknete Mangoschnitze. Danach der Abstieg via Alpe Pianascio nach Fusio an der jungen Maggia. Fusio war ein allerliebstes Hangnest, und ich dachte: Das ist nicht Schweiz, ich bin in den Abruzzen.

Problemlos hätte ich nun heimkehren können, es war erst früher Nachmittag. Doch ich hatte ein Zimmer in der Antica Osteria Dazio reserviert. Ein Doppelzimmer – das kam so: Als ich am Vortag angerufen hatte, hatte ich nach einem Einzelzimmer gefragt. Die Frau, die Schweizerdeutsch sprach, sagte: «Ich habe nur noch ein Einzelzimmer frei, eines mit einem sehr kurzen Bett. Wie gross sind Sie?»

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Route Tag eins: Pesciüm (Seilbahn-Bergstation). Auf dem Tremorgio-Höhenweg via Alpe di Ravina, Zemblasca, Pian Taiöi, Ri Secco, Cassin, Pian Mott, Brusada zum Tremorgiosee (Seilbahn-Bergstation, Grotto).

Wanderzeit Tag eins: 4 1/2 Stunden.

Höhendifferenz Tag eins: 720 Meter aufwärts, 620 Meter abwärts.

Wanderkarte Tag eins: 265 T Nufenenpass und 266 T Valle Leventina 1:50'000.

GPX-Datei Tag eins: Hier downloaden.

Route Tag zwei: Tremorgiosee - Alpe Campolungo - Campolungopass - Alpe Pianascio - Fusio im Lavizzaratal (Bus Richtung Bignasco, dort umsteigen, Bus nach Locarno).

Wanderzeit Tag zwei: 3 1/2 Stunden.

Höhendifferenz Tag zwei: 475 Meter aufwärts, 1045 Meter abwärts.

Wanderkarte Tag zwei: 266 T Valle Leventina 1:50'000.

GPX-Datei Tag zwei: Hier downloaden.

Anreise: Mit dem Zug nach Airolo. Mit dem Bus ins Bedrettotal in sechs Minuten zur Seilbahn, Haltestelle Funivia. Zu Fuss braucht man dafür 20 Minuten. In der Seilbahn hinauf nach Pesciüm.

Übernachten: Dank der Tremorgio-Seilbahn kann man Tag eins und zwei auch einzeln wandern; mit der Seilbahn vom See hinab nach Rodi, Bus nach Airolo. Wer den Zweitäger macht, übernachtet entweder im Tremorgio-Grotto (Capanna Tremorgio). Oder er nutzt besagte Seilbahn, fährt am Abend hinab nach Rodi und am Morgen wieder hinauf. Hotel Baldi oder Dazio Grande, historisches Zollgebäude, schön renoviert.

Charakter: Zweimal mittlere Anstrengung. Höhenweg über der oberen Leventina am ersten, Passwanderung am zweiten Tag. Etwas ruppig ist am ersten Tag die Passage zwischen Pian Mott und der Höhe über dem Tremorgiosee.

Höhepunkte: Die Fahrt nach Pesciüm hinauf. Die grüne Wildnis Richtung Alpe Ravina. Der kreisrunde Tremorgiosee von oben, die Einkehr im schönen Seegrotto. Am zweiten Tag der morgendliche Tremorgiosee. Die weite Ebene der Alpe Campolungo. Fusio, ein Hangnest im hintersten Lavizzaratal.

Kinder: Keine Probleme. Sie gehören auf beiden Etappen dennoch beaufsichtigt, Bergweg.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Dreh- und Angelpunkt ist die Hütte am Tremorgiosee. Nette Leute, Tessiner Spezialitäten.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Das «Bergli» entpuppt sich als Mordshang

Diese Woche Gandfurggele und Berglimattsee (GL)

Es braucht schon die abgebrühten, in der Steilheit aufgewachsenen Glarner, um einen derart krassen Hang «Bergli» zu nennen. Wir keuchen und hecheln, während wir von Matt über 800 Höhenmeter nach Ober Stafel aufsteigen. Es ist ein Sommertag und noch früh, Mähmaschinen fressen sich allenthalben durch das taunasse Glitzergrass.

Um nun zum Anfang der Wanderung zurückzublenden: Matt liegt an der Strasse von Schwanden nach Elm. Die Haltestelle, bei der wir aussteigen, klingt aber nach Eisenbahn: «Matt, Station». Tatsächlich erschloss bis 1969 eine Schmalspurbahn das Sernftal.

Der Sennen-Impresario

Sernf? Der Talfluss ist eines jener deutschen Wörter mit fünf Buchstaben, von denen vier Konsonanten sind. Andere Beispiele wären Horst, First, Durst. Doch ich schweife ab. Und meine mentale Verspieltheit ist ohnehin schell weg, nachdem die kurze Schlenderei flussabwärts beendet ist. Der Weg, der Hang, der Fels und unser Leiden, Schnaufen, Schwitzen: Etwas anderes gibt es in den nächsten zwei Stunden nicht.

Nach Ober Stafel kann man in der Direttissima via Unter Stafel, auch Loch genannt, gelangen. Das war uns aber zu brutal. Wir gönnen uns den Umweg via Riedboden und finden einen schlau angelegten Wiesen-und-Wald-Weg vor. Beim Riedboden beschauen wir uns den Zuber vor der Hütte samt Zugangstrepplein. Zwei, drei Meter entfernt zeugt ein übriggebliebener Korken davon, dass in dem Behälter Leute bei grandiosem Blick auf die Bergwelt Prosecco oder Sekt oder Champagner schlürften.

Unter Stafel, Riedboden und Ober Stafel bilden unter dem Namen «Berglialp» das Reich des Heinrich Marti, den ich respektvoll als «Sennen-Impresario» bezeichnen möchte. Er ist der zum Unternehmer avancierte Bergler. Man kehrt bei ihm ein, übernachtet, badet in dem mit Molke oder Biomilchwasser gefüllten Lärchenholz-Hot-Pot. Der Riedboden ist gerade unbemenscht, als wir ihn passieren. Weiter oben aber kommt uns Marti mit seinem Sohn entgegen, wir gsprächlen kurz. Als wir einige Zeit später bei Ober Stafel ankommen, ist dort geöffnet. Wir trinken etwas, essen Alpkäse, entspannen uns.

Hernach gehen wir unser zweites Ziel an, den Übergang Gandfurggele auf 2154 Metern. Kurz verlieren wir den Weg, der in einer Linksschleife durch die Schafplanggen zieht. Anstrengend ist auch diese zweite Etappe. Endlich sind wir auf der Furggele. Ganz nah liegt der Berglimattsee samt Nebenpfützchen. Ebenso herrlich ist der Stausee Garichti tief unten anzuschauen.

Die Schneeballschlacht

Wir verweilen und begutachten das Panorama. Junge Leute aller Hautfarben, die Englisch sprechen und sich als ETH-Studenten auf Berg-Kennenlern-Tour entpuppen, liefern sich auf einem Schneeflecken eine Schneeballschlacht. Als wir dann aufbrechen, ist alles leicht, denn es geht abwärts. Der Kreislauf jubelt. Beim Klettergarten von Widerstein nehmen sich ein paar Helmträger gerade einen haushohen Quarzporphyr-Brocken vor.

Bei der Garichti endet die Unternehmung. Im Berghaus Mettmenalp neben der Seilbahn-Bergstation essen wir und sind uns einig, dass das eine besonders gute Wanderung war. Sie verlangt allerdings viel Fitness. Wer sie sich nicht zutraut, für den habe ich einen Trost. Von der Garichti braucht man für die je 580 Höhenmeter zum Berglimattsee und retour knapp drei Stunden. Diese Leichtvariante ist ETH-erprobt.

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Route: Matt GL - Riedboden - Ober Stafel - Gandfurggele - Berglimattsee - Widerstein - Stausee Garichti/Mettmen, Bergstation Seilbahn.

Wanderzeit: 5 1/2 Stunden.

Höhendifferenz: 1360 Meter auf-, 600 abwärts.

Wanderkarte: 247 T Sardona, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Seilbahn Mettmenalp - Kies. Vom Kies mit dem Bus nach Schwanden. Fahrplan studieren, nicht allzu viele Kurse.

Charakter: Klassische Bergwanderung, Fitness nötig. Vor allem der Aufstieg ist hart. Aussichtsreich, speziell reiche Bergflora. Keine ausgesetzten Stellen.

Höhepunkte: Die Einkehr auf Ober Stafel. Der Berglimattsee in seiner alpinen Mulde. Der Tiefblick zur Garichti. Die Kletterer im Klettergarten Widerstein.

Kinder: Anstrengend, aber nicht speziell gefährlich.

Hund: Keine Probleme, bloss anstrengend.

Einkehr: Riedboden, Unter Stafel (nicht am Weg), Ober Stafel fungieren gemeinsam unter dem Namen Berglialp. Nachtlager, Molkenbäder, Outdoor-Zuber. Ober Stafel liegt ideal für eine kurze Einkehr. - Am Schluss der Wanderung im Berggasthaus Mettmenalp gleich bei der Seilbahn.

Kurzvariante: Mit dem Bus von Schwanden zum Kies (vorgängig Fahrplan studieren!). Von dort mit der Seilbahn hinauf zur Mettmenalp/Garichti. Von dort in 3 Stunden zum Berglimattsee und retour. Je 580 Meter auf und ab.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Best of Outdoor: Scala für Wanderer

Liebe Leserinnen und Leser, in den Sommerferien erlauben wir uns einen Blick zurück und präsentieren Ihnen einige unserer Highlights aus dem vergangenen Jahr. Viel Vergnügen! Die Redaktion.

Folgender Beitrag, eine Wanderung zum Fil de Cassons über Flims GR, ist von Thomas Widmer, Erstpublikation: 23. August 2013.

Wir sind dem Flimserstein dankbar, dass er vor mehr als 10'000 Jahren einen Teil seiner selbst preisgab. Es war ein Riesenbergsturz. Der Vorderrhein wurde zugeschüttet, musste sich freikämpfen und schuf dabei die Ruinaulta-Schlucht – wer mit der Bahn von Chur nach Ilanz reist, freut sich jedesmal über das Schauspiel mürben Kalks, die Pfeilerchen in den Erosionshängen, den Schlängelfluss mit den Kanuten.

Der Bergsturz vom Flimserstein

Der Flimserstein selber ist auch ein grosses Wanderziel. Wie eine gestauchte Schachtel hockt er im Gelände, die Oberfläche schräg abfallend und auf allen Seiten begrenzt durch jähe Wände. Zuoberst gibt es den Grat Fil de Cassons und auf diesem eine Seilbahn. Ihr strebte ich eines schönen Tages zu.

Die Sache begann mit einer Busfahrt: von Flims Post hinauf nach Bargis. Zum Weilerchen Fidaz, das wir passierten, ist eine traurige Begebenheit am Ostermontag 1939 zu nennen. Damals ereignet sich auch ein Bergsturz vom Flimserstein her; ein Kinderheim wurde verschüttet, 13 Kinder und fünf Erwachsene starben.

In «Fidaz, Pinut» stiegen junge, alpin gerüstete Leute aus. «Pinut» heisst eine Terrasse in der Flanke des Flimsersteins samt dem zugehörigen alten Klettersteig. Unsereins blieb sitzen und freute sich, als Bargis erreicht war. Vom Berghaus gleichen Namens erstreckt sich ein Hochtal weit und paradiesisch.

Wo der Abgrund lauert

Ich sah gleich sofort, was mich erwartete: Eine lange Linie zog sich vor meinen Augen durch die abweisende Wand des Flimsersteins. Die Einheimischen nennen es «scala», Treppe. Aus der Nähe erwies sich der Weg als breiter, mit Steinen ausgepflasterter Komfortsteig. Rechterhand lauerte zwar der Abgrund, doch machten ihn Büsche grossteils unsichtbar, auch war ein Drahthag angebracht. Nein, Angst muss man auf der Scala nicht haben und kann den Blick ins immer tiefer zurückbleibende Bargis-Tal geniessen. Irgendwann sah ich auch den Ringelspitz, den höchsten St. Galler.

Auf Tegia Gronda wechselte das Szenario: Alpweiden statt Fels. Ich passierte die Milchseilbahn, die demnächst hundert Jahre alt wird und, wie ihr Name es sagt, für die Abfuhr der Alpmilch eingerichtet wurde. Vor mir hatte ich nun die schräge Ebene zum Cassonsgrat. Irgendwann musste ich entscheiden: via Mutta Bella hinauf zur Seilbahn oder in der Direttissima? Ich entschied mich für die Direktvariante, gewann genüsslich Höhe, querte Schneefelder, grinste über die paranoiden Murmelipfiffe, kam an eine Kante, hatte direkt zu meinen Füssen die Alpen von und um Naraus. Und die kleine rote Seilbahn schwebte vorbei.

Dann war ich oben. Freilich ist oben in diesem Fall nicht oben. Von der Seilbahn-Bergstation muss man unbedingt zehn Minuten weitergehen. Ich kam auf einen flachen Rücken von schütterem Gras und Geröll, spazierte auf der alpinen Promenade vorwärts und hatte nun eine gewaltige Sicht. Die Gipfel der Surselva drängelten am Horizont um einen Platz für die Ewigkeit. Besonderen Eindruck machten ganz nah die Tschingelhörner, die ich in dieser Kolumne schon mit Hexenhüten verglich. Ich verharrte, schaute, fotografierte. Endlich ging ich doch zurück zur Seilbahn, gondelte hinab nach Naraus, ass ein Cordonbleu der Sonderklasse und fuhr mit der Sesselbahn weiter via Foppa nach Flims. Dessen Stein muss man bestiegen haben. Und die Scala ist eine unvergessliche Sache.

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Route: Berghaus Bargis (Bus ab Flims Post) - Scala - Tegia Gronda - Abzweiger mit zwei Varianten: zur Cassons-Bergbahn via Mutta Bella oder direkt - Cassons-Bergbahn/Fil de Cassons.

Gehzeit: 3 1/2 Stunden. Plus circa 20 Minuten für den Abstecher von der Bergbahn zum höchsten Punkt und retour mit grosser Aussicht.

Höhendifferenz: 1100 Meter aufwärts.

Wanderkarte: 247 T «Sardona», 1: 50 000.

Charakter: Zweigeteilt. Von Bargis Aufstieg durch die Scala auf einem breiten Steig, einem alten Kulturpfad. Er ist gut gesichert, man hat aber Tiefblick auf das Tal von Bargis. Hernach ab Tegia Gronda eine leichte Bergwanderung über Alpböden zum Fil de Cassons.

Höhepunkte: Das Hochtal von Bargis. Die grandiose Scala durch die Steilwand. Der Rundblick von der Promenade oberhalb der Cassons-Seilbahn. Die skurrilen Tschingelhörner.

Kinder: Machbar, da nicht zu lang. Auf der Scala muss man die Kinder beaufsichtigen.

Hund: Gut machbar.

Einkehr: Auf dem Cassonsgrat gibt es ein einfaches Restaurant. Mehr Auswahl hat man eine Ebene tiefer auf Naraus, wo man von der Seilbahn auf den Sessellift wechselt.

Wanderblog: widmerwandertweiter.blogspot.com

Ein Klassiker der Romandie

Diese Woche von Derborence über den Pas de Cheville nach Gryon (VS/VD)

Wir fuhren im Bus von Sion Richtung Derborence. Nach dem Dörfchen Aven schied sich das Passagiergut blitzartig. Die Abgebrühten drängten an die Fenster zur Linken, so sie nicht schon dort sassen, und zückten ihre Kameras und Handys. Die nicht so Abgebrühten wiederum, die mit der Höhenangst, taumelten bleich auf die rechte Seite des Busses und hielten sich die Augen zu.

Die Schlucht der Lizerne ist ein Walliser Höllenschlund. Die enge Strasse verlangte dem Chauffeur alles ab. Einige Male fuhren wir hart an der Kante. Ich gehörte zwar zur Linksfraktion, musste aber schwer schlucken. Und die Gruselpassage wollte nicht enden.

Albtraum bewirkt Traum

Dann wurde alles lieblich, wir erreichten den Kessel von Derborence unterhalb des Diablerets-Massivs. Berühmt ist sein Urwald aus Fichten, Föhren, Lärchen, Birken, Weiden – der Traum aller Grünen. Das Idyll ist allerdings aus dem Schrecken geboren. Aus der Katastrophe. 1714 kamen die Diablerets ins Rutschen. Die Felsmassen verschütteten viele Hütten, töteten 15 Menschen und 100 Stück Vieh. Der Roman «Derborence» handelt davon. Dichter Charles Ferdinand Ramuz erzählt wundersam lakonisch vom jungen Bauern Antoine, der eines Tages wie ein Zombie – okay, das Wort ist jetzt nicht Ramuz – ins Dorf hinab wankte, zu seiner jungen Frau, die ihn tot glaubte.

1749 kam gleich noch einmal Geröll herab. Es staute den See auf, an dem wir nun standen. Wir tunkten die Füsse ins milchige Wasser, vermuteten in einem Baumstamm ein Krokodil, tranken einen Kaffee auf der Prachtterrasse des nahen Restaurants. Und wir beschlossen ad hoc, den Pas de Cheville zu machen; wir hatten den Wanderplan des Tages vorher nicht ausformuliert.

Der Pas de Cheville ist ein leichter Übergang hinüber zum Alpboden von Anzeindaz im Nachbarkanton Waadt. Man findet die Route in fast jedem Wanderbuch der Romandie, sie ist ein Klassiker. Wir gingen los, eroberten uns den Zwischenboden von Le Grenier mit einer Alpwirtschaft; der Weg schlängelte sich hernach in Kehren hinauf zum Pass. Schön, die nahen Berge wie Tête Pegnat und Tête Tsernou. Die meisten Gipfel konnten wir als Regionsfremde allerdings nicht benennen.

Gedächtnis verschüttet

Vom Pass hielten wir über sanft sich senkenden Alpboden vorbei an immer neuen Kuhballungen nach Anzeindaz. Dort kehrten wir ein, tranken etwas in einer Alpwirtschaft, die nach der nahen Tour d'Anzeindaz benannt ist, sozusagen ihrem Hausberg. Da war viel Volk; man ist am Pas de Cheville bei gutem Wetter nie einsam. Danach die Steilstufe hinab nach Solalex und dort noch mehr Leute und dazu viele Autos. Souverän überragte der Felsriegel Arête de l'Argentine das Gewusel.

Wir hätten in Solalex den Bus Station La Barboleuse nehmen können. Doch wir waren erst drei Stunden gelaufen. Verlängerung! Auf leichten Wegen wanderten wir hinüber ins Touristendorf Gryon und nahmen erst dort das Zahnradbähnchen hinab nach Bex im Rhonetal. Mir kam das Zuckelding sehr, sehr bekannt vor; eine Kindheitserinnerung zuckte auf. Gryon ist der Nachbarort von Villars-sur-Ollon. Mit den Eltern und Geschwistern war ich dort in den späten Sechziger- oder frühen Siebzigerjahren in den Ferien. Die Jahrzehnte seither und all ihre Ereignisse haben mein Gedächtnis verschüttet wie das Geröll die Gegend von Derborence.

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Route: Derborcnce (Anreise mit dem Bus ab Sion via Aven, nur ein Morgenbus) - Le Grenier - Pas de Cheville - Anzeindaz - Solalex - La Benjamine - Matélon - Gryon Bahnhof.

Wanderzeit: 4¾ Stunden.

Höhendifferenz: 640 Meter aufwärts, 962 Meter abwärts.

Wanderkarte: 272 T St-Maurice, 1: 50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Von Gryon mit dem Bähnlein hinab nach Bex im Rhonetal.

Kürzer: In Solalex aufhören. Mit dem Bus nach La Barboleuse, Gare. Mit dem Bähnlein hinab nach Bex. 3 Stunden. Je 580 Meter auf- und abwärts.

Charakter: Leichte Bergwanderung, etwas steil im Aufstieg von Le Grenier zum Pas de Cheville. Viel Alpenflora, gewaltige Berge rundum.

Höhepunkte: Die Postautofahrt nach Derborence. Der milchige See. Die lange Alprinne hinab nach Anzeindaz. Die Bergkulisse von Gryon.

Kinder: Gut machbar.

Hund: Gut machbar.

Einkehr: Refuge du Lac direkt am See, kein Ruhetag, o27 346 14 28. Gîte du Grenier de Cheville, in der Alpsaison offen. Refuge de La Tour d'Anzeindaz, kein Ruhetag. Restaurant du Miroir de l'Argentine in Solalex, Mo/Di geschlossen.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.


Der Bratspiess-Bernhardiner

Vom Grossen Sankt Bernhard über zwei Pässe nach Ferret (VS)

Am Vortag hatte es wild geregnet. Nun kam der Sommer zurück. Die Sonne vernichtete wütend, was an Wolken noch da war. Als wir auf dem Grossen Sankt Bernhard aus dem Bus stiegen, war die Luft freilich eiskalt. Die Bise stach uns nadelscharf in die Ohren.

Wir flohen in den Souvenirshop, begutachteten die Auslagen, wechselten ins Hospiz; Jean-Marie Lovey, der diesen Sommer ernannte neue Bischof von Sitten, war übrigens bis vor kurzem Propst der auf dem Pass seit Jahrhunderten wirkenden Augustinerchorherren. Ihre Kirche verharrte in zeitlosem Halbdunkel, es roch nach Weihrauch, ich stellte mich vor das Gnadenbild der Jungfrau und sprach in Gedanken zu ihr: Gib, dass ich heute nicht erfriere, Mutter Gottes!

Weisswein auf dem Pass

Kurz gingen wir auf der Passstrasse retour. Dann zweigten wir links in den Hang ab. Eine Hochgebirgswelt, die Felsblöcke überwachsen mit grünen Flechten. Unsere Wanderstöcke klackten auf dem Stein, letzte Nebelfetzen schlichen über die Fluhen, bald erreichten wir unser erstes Ziel, den Col des Chevaux. Der «Pferdepass» heisst so, seit man im 18. Jahrhundert vom Val de Ferret her eine pferdetaugliche Transportroute zum Grossen Sankt Bernhard einrichtete.

Auf dem Pass war eine Schar älterer Walliser daran, zwei, drei Flaschen Weisswein zu leeren. Irgendwie war ich neidisch, ich möchte auch zu einem derart genussfreudigen Stamm gehören. Freilich war ich froh um meine alkoholfreie Trittsicherheit, als wir in ein Zwischental abstiegen. Der Boden war mal erdschwarz und bröselig und glitschig, mal geröllbedeckt. An einer Stelle querten wir auf schmaler Spur ein Schneefeld halbharter Konsistenz. Parfait im Gelände.

Als wir unten waren, mussten wir gleich wieder nach oben, zum zweiten Pass, dem Col du Bastillon. In den Hang vor uns waren Seelein eingestreut, am Ufer des einen rastete eine grössere Gruppe junger Leute. Pfadfinder? Oben noch mehr hohe Gipfel rundum, die wir nicht kannten, die aber herrlich anzuschauen waren. Der eine gefiel mir sprachlich besonders: Pointe de Godegotte.

Erneut stiegen wir ab. Wandergefährtin Karin fand den Pfad grenzwertig, während ich ihn knapp okay fand. Immerhin mussten ihn bei aller Steilheit und Rutschigkeit einst Pferde bewältigen; und was ein Pferd kann, kann der Widmer doch wohl auch. Unter uns zeigte sich ein grosser See, einer der Lacs de Fenêtre. Ganz nah bei ihm nahmen wir ein Fussbad in dem ihm zuströmenden Bach. Das Wasser war brutal kalt, doch seit längerem hatte die Sonne geschienen und uns ins Schwitzen gebracht.

Nutztier Hund

Der Rest der Wanderung: ein gemächliches Absteigen, zuerst ruppig, dann immer leichter, zum Miniweiler Ferret. Dort erwarteten uns zwei Dinge: erstens der noch abgeschlossene Bus, mit dem wir später hinab zum Bahnhof von Orsières fahren würden. Und zweitens eine Kapelle. Das Wirtschäftchen, das es in früheren Jahren gab, hatte leider zu; ob es irgendwann wieder aufgeht, ist ungewiss.

Karin packte nun ihr Souvenir aus. Sie hatte sich zu Wanderbeginn einen kleinen Plüsch-Bernhardiner gekauft. Das Abbild Barrys, der von 1800 bis 1814 auf dem Grossen Sankt Bernhard lebte und 40 Menschen aus Lawinen gerettet haben soll. Die Hospizmönche züchten schon viel länger Bernhardiner. Ein Chronist notierte um 1700, dass einer der Mönche ein grosses Laufrad konstruierte habe. Man stellte einen Bernhardiner hinein. Seine Aufgabe war es, den Bratspiess zu drehen. Was für ein nützliches Tier!

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Route: Grosser Sankt Bernhard, Hospiz - Col des Chevaux - Petit Lé - Col du Bastillon - Lac de Fenêtre - La Chaux - Les Ars Dessous - Ferret.

Wanderzeit: 4 1/2 Stunden.

Höhendifferenz: 580 Meter aufwärts, 1340 Meter abwärts.

Sicherheit: Dies ist eine hochalpine Wanderung. Warme Kleider mitnehmen, nur bei stabilem Wetter gehen. Der Abstieg von beiden Pässen, vor allem der vom Col du Bastillon, ist steil und rutschig. Stöcke helfen.

Wanderkarte: 5027 T Grand St-Bernard - Combins - Arolla (Zusammenzug).

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Bus von Ferret zum Bahnhof von Orsières. Via Sembrancher nach Martigny.

Charakter: Hochalpin, herrlich zivilisationsfern, man wandert inmitten schneebedeckter Bergriesen. Mittlere Anstrengung. Streckenweise rutschig und sehr steil.

Höhepunkte: Die Einfahrt beim Passhospiz des Grossen Sankt Bernhard; der Weihrauchgeruch in der alpinen Kirche. Der Panoramablick vom ersten und vom zweiten Pass. Der untere Lac de Fenêtre.

Kinder: Machbar, in den Steilpassagen gehören sie geleitet.

Hund: Gut machbar.

Einkehr: Nur am Anfang auf dem Grossen Sankt Bernhard.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmer privatem Journal.

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Franz Weber, die Surbeks und der Brienzlig

Diese Woche von Brienz zu den Giessbachfällen und nach Iseltwald (BE)

Was für eine angenehme Wanderung das war! Der Tag begann mit viel Sonne, einer ruhigen Zugfahrt über den Brünig und einem Startkaffee beim Bahnhof Brienz. Die Dampfbahn aufs Brienzer Rothorn heizte gerade ein.

Kurz nach neun erhob ich mich und zog los: über die Bahngeleise zur Schifflände und die Seepromenade entlang ostwärts. Ein Gedenkstein erinnerte an die zwei Toten vom August 2005. Damals kam der Glyssibach gewaltig; jener grausige Tag ist bis heute unvergessen.

Menschliche Wasserfälle

Von der Ostspitze des Sees sah ich schön hinüber zum Ballenberg, querte alsbald die schnurgerade gefasste Aare, ging nun Richtung Westen. Auf der Axalpstrasse gewann ich Höhe und Abstand zum See und kam dabei ins Keuchen. Eine alte Frau schleppte zwei schwere Abfallsäcke zur nahen Deponierstelle, ich nahm ihr die Säcke ab, sie erzählte, sie habe drum einen Herzinfarkt gehabt.

Das Restaurant Engi gleich anschliessend hatte leider Ruhetag. Kurz nach ihm bog ich ab nach rechts. Dann die Giessbachfälle. Über gut 450 Meter stürzen sie in die Tiefe. Der Pfarrer Daniel Wyss, der sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für ihre touristische Erschliessung einsetzte, verlieh ihnen in jener Gründerzeit Namen. «Schulthess von Steiger» hiess der unterste Fall, «Hans Franz Nägeli» der nächste gegen oben, «Adrian von Bubenberg» der dritte – eine Parade mächtiger Berner.

Beim nahen Grand Hotel freute ich mich noch einmal – nämlich darüber, wie es vor Jahrzehnten gerettet wurde. Das damals schon über hundertjährige Haus war 1983 stillgelegt, als es der Umweltschützer Franz Weber, man erlaube mir die Poesie, wachküsste. Ich nahm mir auf der Terrasse beim Kaffee vor, endlich mal ein Zimmer zu buchen.

Den Uferweg nach Iseltwald fand ich hernach einen der schönsten Wanderwege der Schweiz. Auch in seinem Fall gelang es, ein Desaster abzuwenden; man verbannte die entstehende A 8 im betreffenden Abschnitt in einen Tunnel. Der vor bald 40 Jahren eröffnete Weg führt die meiste Zeit ein paar Meter über dem Brienzersee geradeaus durch den still gebliebenen Wald. Gegen sein Ende nimmt das Gelände an Dramatik zu: Der Boden ist plötzlich buckelig mit Felsbrocken alter Bergstürze. Es gibt Passagen unter steilen Felswänden. Und einmal ging ich durch eine hohle Gasse.

Ganzkörperfelchen

Auch Iseltwald begeisterte mich. Das alte Fischerdorf, das ich zuvor nie besucht hatte, steht auf einem Bachdelta, das sich als gekrümmter Fortsatz weit ins Wasser schiebt; in dem geschlossenen Ensemble wohnt Geborgenheit. Das Chalet du Lac servierte mir hervorragenden Fisch: Brienzlig – das sind Minifelchen aus dem See, die man von Kopf bis Schwanz vertilgt.

Ein Letztes: Mein alter Journalistenkollege Markus Schneider hat eben ein Buch über Victor (1885 bis 1975) und Marguerite (1886 bis 1981) Surbek publiziert. Das in Bern ansässige Paar verbrachte in Iseltwald einen guten Teil seiner Zeit. Und wie das so ist, wenn zwei zusammenleben und beide malen – ihr Verhältnis war nicht immer einfach. Marguerite Surbek wich bisweilen gern wochenweise auf das Iseltwald überragende Faulhorn aus. Ihr Mann wird, darf man rückblickend sagen, als Maler wohl länger in Erinnerung bleiben. 1930 bemalte er Berns Zytglogge-Turm mit allegorischen Fresken. Sein Werk hat so den Alltag erobert.

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Route: Bahnhof Brienz - Seepromenade - Strandbad - Camping - Aarebrücke - Axalpstrasse - Engi - Giessbachfälle, Hotel - Uferweg nach Iseltwald - Iseltwald - Iseltwald, Dorfplatz.

Wanderzeit: 3 Stunden.

Höhendifferenz: 255 Meter auf-, 252 abwärts.

Wanderkarte: 254 T Interlaken, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Von Iseltwald, Dorfplatz, mit dem Bus zum Bahnhof Interlaken Ost. Oder per Schiff nach Interlaken oder Brienz.

Charakter: Leichte Wanderung. Leider asphaltiert zwischen See und Hotel Giessbach. Aussichtsreich. Lauschig im zweiten Teil.

Höhepunkte: Die ersten Wanderminuten den Brienzersee entlang. Der Blick vom Hotel Giessbach auf die Giessbachfälle. Der wildromantische Bergsturzwald vor Iseltwald mit Engstellen, Felswänden, Blöcken überall. Fisch essen in Iseltwald.

Kinder: Dies ist eine Familienwanderung. Auf dem Weg über dem Brienzersee muss man Kinder aber beaufsichtigen.

Hund: Perfekt inklusive ein Bad im See.

Einkehr: Restaurant Engi. Hotel Giessbach. Viele Restaurants in Iseltwald, darunter das Chalet du Lac.

Buch: Markus Schneider, «Die Surbeks – Victor & Marguerite. Ein Berner Künstlerpaar». Scheidegger & Spiess, 144 Seiten, 32 farbige Abbildungen. 29 Franken.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmer privatem Journal.

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Ein Wingsuit, das wärs!

Diese Woche Maighelshütte und Lolenpass (GR/UR)

Wir steigen auf dem Oberalppass aus dem Zug und sind schockiert. Diese vielen Leute, oh Gott! Nach den ersten fünf Minuten Erleichterung. Das Gros der Wanderer biegt von der Passstrasse Richtung Sedrun nach rechts ab; diese Fraktion will auf den Pazolastock und zum Tomasee.

Wir hingegen bleiben etwas länger auf dem Pfad die Passstrasse entlang. Wir mögen das nicht besonders: zu viele Autos, zu viel Töfflärm. Dann ist es überstanden, wir schwenken nun auch nach rechts ins Gelände. Unser erstes Ziel ist die Maighelshütte.

Einst sass hier die Armee

Mit Leichtigkeit meistern wir eine Schmalstelle am Hang, machen kontinuierlich Höhe, wobei der Weg nie übermässig steil wird. Auffallend viele Biker sind auf unserer Route unterwegs, die teilweise auf einem Alpsträsschen verläuft. Schliesslich der Urlaunsee direkt zu unseren Füssen. Dann ein kurzer Aufstieg, und schon ist die Maighelshütte an der Flanke des Piz Cavradi unser. Sie ist die Nachfolgerin eines Militär-Unterstandes des Zweiten Weltkriegs.

Der Ausblick von der Hüttenterrasse ins Val Maighels ist fantastisch. Es wird von hohen Bergen gerahmt – eine moorige Fläche in allen Spielarten von Braun, Gelb und Grün. Wie in Irland. Oder wie in Island. Ebenfalls mögen wir die Dinge in Reichweite: Auf dem Tisch haben wir mittlerweile Suppe, Hirschschüblig, Wähe.

Nach der Einkehr ziehen wir hinauf zum Lolenpass, der auch einen rätoromanischen Namen hat, Pass Tagliola. Beschwerlich ist auch dieses Stück nicht. Der Pass ist kein Spektakel, sondern erweist sich als brave, mit Gras gepolsterte Rinne. Das Drama kommt erst nachher: Wir kommen an eine Kante, sehen abrupt hinab ins Tal der Unteralpreuss, fragen uns, wie das gehen soll: Gibt es da wirklich einen Pfad? Der Hang ist praktisch senkrecht, kommt es uns vor. Ein Wingsuit, das wärs.

Die Lösung für alle Nichtflieger kommt in Form eines schlau angelegten, stellenweise mit Treppenstufen befestigten Kehrenwegs. Er führt uns sicher durch die Fluhen, bereitet sogar Vergnügen. Angenehm auch, dass da kaum Geröll ist. Der trittsichere Durchschnittswanderer hat somit keine Probleme.

Unten sind wir begeistert über die Passage und auch ein wenig traurig, dass sie schon zu Ende ist. Der Rest der Wanderung ist ein langes Auslaufen auf einem Fahrweg, der gegen Andermatt zu asphaltiert ist. Wer das nicht mag, kann bei Rohr über die Unteralpreuss auf die andere Hangseite wechseln. Jener Naturpfad ist allerdings länger und strenger. Wir verzichten.

Von Russi zu Sawiris

Kurz vor Wanderende gehen wir unter dem Nätschenhang, haben nun die Bahn direkt über uns, mit der wir am Morgen auf den Oberalppass fuhren. Bald darauf sind wir in Andermatt, zu dessen Namen mir früher nur Bernhard Russi einfiel. Als er 1972 in Sapporo Olympiagold in der Abfahrt gewann, war ich zehn; meine Klasse verfolgte das Rennen in der Primarschule Stein AR. In der Kochschule, weil es dort einen Fernseher gab.

Heute denke ich bei Andermatt eher an Samih Sawiris. Natürlich gehen wir noch kurz bei dessen Luxushotel The Chedi vorbei, schauen es uns von aussen an. Na ja. Die einen finden das Haus okay, die anderen irgendwie zu wenig luxuriös, etwas bieder, unglamourös. Mehr Eindruck macht uns allen der Flammkuchen, den wir auf der Sternen-Terrasse essen – unumstritten feine Ware.

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Route: Oberalppass, Station - Plauncas Cuflegl - Trutg - Plidutscha - Maighelshütte - Lai Carin - Lolenpass (Pass Tagliola) - Unteralp - Sandstafel - Mur - Rohr - Matill - Andermatt Bahnhof.

Wanderzeit: 5 Stunden.

Höhendifferenz: 480 Meter auf-, 1070 abwärts.

Wanderkarte: 256 T Disentis/Mustér und 255 Sustenpass 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Charakter: Im Aufstieg eher leicht, hingegen ist der Abstieg vom Lolenpass zur Unteralp happig. Gegen Schluss ein Strässchen, wenn man bei Rohr nicht auf die – längere – Variante auf der linken Seite der Unteralpreuss schwenkt. Viel Aussicht, diverse ins Plateau eingelagerte Seelein um die Maighelshütte.

Höhepunkte: Der Rückblick auf die Schleifen der Oberalpstrasse. Der Urlaunsee und die anderen tiefblauen Gewässer. Die Einkehr in der Maighelshütte. Die grandiose Weganlage mit Treppenstufen nach dem Lolenpass hinab zur Unteralp.

Kinder: Machbar. Auf dem steilen Abstieg vom Lolenpass zur Unteralp muss man sie im Auge behalten.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Unterwegs nur in der Maighelshütte.

Rückkehr zum Ausgangspunkt: Mit dem Zug von Andermatt wieder auf den Oberalppass.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Total verkalkt

Diese Woche von Braunwald, Gumen nach Klöntal, Plätz (GL/SZ)

Ein schwüler Tag, der Himmel bedeckt, wir fahren mit der Standseilbahn hinauf nach Braunwald und finden dort: Doch, riskieren wirs, es wird uns schon nicht grad verhageln! Also hinüber zur Gumenbahn und gleich noch einmal eine Bergfahrt, diesmal in der Gondel.

Auf Gumen, 1901 Meter über Meer, reckt sich vor uns der Ortstock gegen den Himmel, Braunwalds Hausberg. Auch er ist übrigens ein tolles Wanderziel.

Wir ziehen los, der Weg führt leicht aufwärts durch den Hang, die Alpenflora könnte dazu führen, dass man immer wieder stillstünde und gar nicht vorwärtskäme; wir geben uns Mühe, die Blümlein zu ignorieren. Bald wird der Weg steiler. Das Bützi, wie unser erstes Ziel heisst, will erobert sein, einmal meinen wir, wir seien oben, doch es ist nur ein Zwischenplateau. Bereits zieht sich das Feld in die Länge, wir sind zu fünft und gut einen halben Kilometer auseinander.

Das Bütziwunder

Endlich das Bützi; wir stehen auf der Grenze der Kantone Glarus und Schwyz. Und wir sehen vor uns ein Wunder, das uns die nächsten drei Stunden begeistern und verzaubern wird. In der Gegend zwischen Braunwald, dem Bisistal und dem Pragelpass erstreckt sich das grösste Karstgebiet der Schweiz. Eine graue Wüste aus Kalk, in die Regen und Schmelzwasser tiefe Scharten gefräst haben.

Man spricht auch von Karrenfeldern. Die Sage geht, dass der Teufel hier einst zwei Feuergäule vor einen Pflug spannte und wie ein Besessener Rinnen in den Boden zog. Durch den Karst halten wir vorwärts, setzen unsere Schritte vorsichtig, dies ist keine Gegend für den Hans Guck-in-die-Luft. Auf einem Schneefeld ruhen Schafe, die es kühl mögen. Endlich die grüne Oase der Erigsmatt, bei der Schäferhütte rasten bereits einige andere Wanderer. Der Himmel hält sich ruhig, gut, sind wir losgegangen. Ein Vergleich, den ich früher machte, fällt mir an dieser Stelle wieder ein: die Karrenfelder mit ihren scharfen Spitzen sind wie ein gefrorenes Meer. Das fünfte Mal schon bin ich auf ihnen unterwegs, dies ist eine meiner Lieblingsrouten.

Chlü

Und weiter, hinauf zum höchsten Punkt des Tages auf 2252 Metern; in der Nähe pfeifen die Murmeli. Hernach geht es nur noch abwärts. Das Wandern im Kalk ist beschwerlich, der Abstieg endlos, die Knie knacken, während wir Stufe um Stufe Höhe vernichten. Beim Drecklochstafel ist der Karrenspuk mehr oder minder vorbei, stattdessen Gras, Felsen, Geröll. Unter uns sehen wir das Tal der Rossmatter Chlü; so die Glarner Aussprache von «Klön». Zur Rechten ein Wasserfall, der jederzeit einen Schweiz-Tourismus-Kalender schmücken könnte, das Wasser kommt vom Firn des Glärnisch.
Bei Wärben erreichen wir ein Strässchen, und kurz darauf langen wir bei der Wirtschaft des Alpweilers Chäseren an; herrlich das Bier und der Alpkäse. Wir könnten jetzt Schluss machen und einen Platz im Alptaxi des Wirtes, einem Pinzgauer, reservieren. Wir verzichten, Ehrensache, die letzte Stunde auf dem Strässchen zu laufen. Also noch einmal 400 Meter abwärts. Kurz vor dem Restaurant von Klöntal-Plätz beginnt es zu regnen in sanften, grossen Tropfen. Was für eine Dramaturgie des Himmels! Was für ein Tag überhaupt! Ich will und werde diese Route ein sechstes Mal machen.

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Route: Braunwald, Bergstation Gumen (kombinierte Bahn mit Sesseln und Gondeln ab Braunwald) - Bützi - Erigsmatt - Gletti - höchster Punkt der Wanderung auf 2252 Metern - Brunalpeli - Napf - Läng Boden - Dreckloch - Drecklochstafel - Zeinenstafel - Wärben - Chäseren - Chlüstalden - Stutzwald - Klöntal, Plätz.

Wanderzeit: 5 1/2 Stunden. Plus eine Viertelstunde am Morgen von der Braunwald-Standseilbahn(Bergstation) zur Talstation der Gumenbahn.

Höhendifferenz: 470 Meter auf-, 1525 abwärts.

Kürzer: Eine Stunde Gehzeit und 400 Höhenmeter abwärts spart, wer von der Chäseren das Alptaxi des Wirts nimmt. Er fährt die Strecke regelmässig. 15 Franken.

Wanderkarte: 246 T Klausenpass und 236 T Lachen, 1: 50 000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Bus ab Klöntal, Plätz hinab zum Bahnhof Glarus.

Charakter: Eine der grossartigsten Landschaften der Schweiz, eine Kalkwüste. Anstrengend, weil man seine Schritte im Schrattenkalk vorsichtig setzen muss.

Höhepunkte: Die Eroberung des Bützi, wo man plötzlich die Kalkfelder vor sich hat. Die grüne Oase Erigsmatt. Die Einkehr auf der Chäseren-Alp.

Kinder: Machbar, aber anstrengend.

Hund: Machbar, aber anstrengend.

Einkehr: Am Anfang auf Gumen und am Schluss in Klöntal, Plätz. Und eine Stunde vor Wanderschluss auf Chäseren (offen je nach Witterung, 055 640 11 77).

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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St. Galler Wasserwunder

Diese Woche von der Pizolhütte via Wildseeluggen und Lavtinasattel nach Weisstannen

Auf dieser Wanderung kommt es zu einer Offenbarung. Zur Ansicht purer Schönheit. Zu einer «Schau», um es mit Platon zu sagen. Gemeint ist der Augenblick, da man die Wildseeluggen erreicht und auf einen Schlag den Wildsee zu Füssen hat. Sein Dunkelblau wirkt wie aus einer anderen Welt.

Zwei Freunde verdächtigen mich, seit ich ihnen ein Foto des Sees gezeigt habe, dieses am Computer nachkoloriert zu haben. Habe ich nicht!

Crumble Cake im Gebirge

An einem verhangenen Sommertag fahren wir von Wangs per Gondel, dann per Sessellift hinauf zur Pizolhütte. Nebel treibt um das flache, abgewitterte Holzhaus mit den grossen Fenstern. Wir ziehen gleich los. Ich bin etwas verstimmt. Zu viel Volk!

Die Bergwelt entschädigt mich reichlich. Links haben wir die Wildseehörner, rechts die Schwarzen Hörner. Die Lavtinahörner und die Grauen Hörner weiter hinten sind aus derselben Bröckelmasse gebacken, Crumble Cake im Gebirge. So viele Hörner sind zu sehen, dass man einen Hörnerversandhandel aufbauen und den Rest der Alpen beliefern könnte.

In Kehren wandern wir hinauf zur Wildseeluggen. Dort der erwähnte Grossartigkeits-Moment, punktgenau bricht die Sonne durch den Restdunst. Der Wildsee unter uns ist pures Glück. Dieses verdoppelt sich, als wir nach der Rast links abbiegen. All die anderen Leute nämlich gehen nach rechts ab. Sie machen die Fünf-Seen-Tour, ein landesweit berühmter Wanderklassiker. Wir sind auf einen Schlag praktisch allein.

Hoch über dem Wildsee kraxeln wir über Felsplatten, einen planen Weg kann es im Blockschutt nicht geben. Auf einem Zwischenboden erreichen wir schliesslich ein Seelein, das keinen Namen trägt, aber einen verdient. Es ist von einem makellosen Hellblau, Gletscherwasser vermutlich; tatsächlich erblicken wir zu unserer Linken den Pizolgletscher.

Wir aber halten zum Lavtinasattel direkt vor uns, der Aufstieg ist ruppig, der Boden bröckelig-feucht, ich bin froh um meine Stöcke. Oben auf dem höchsten Punkt der Route, auf 2587 Metern, wieder Panorama; am Horizont hocken die Berge der Sardonagegend. Auf dem Gipfel unmittelbar rechts von uns, dem Hochwart, stehen auf einem Vorsprung reglos zwei Männer. Das sieht aus wie von Caspar David Friedrich gemalt.

Ronja und die Steingeiss

Mehr als 1500 Höhenmeter im Abstieg erwarten uns. Ronja, die mir bisher immer voraus war, bleibt bald deutlich zurück. Als ich mich einmal umdrehe, gestikuliert sie wild, zeigt in eine Wand. Sie hat einen Feldstecher. Steingeissen und Gemsen, erfahre ich später unten auf Oberlavtina-Stofel, wo der Senn grad draussen den Zmittag nimmt. Sind das Käshörnli?

Abwärts, abwärts, abwärts geht es mit uns. Vor Batöni wieder Begeisterung: drei Wasserfälle auf engem Raum, einer höher als der andere. Das Trio von Piltschinabachfall, Sässbachfall und Muttenbachfall vergisst man nicht wieder, wenn man es einmal gesehen hat. Ab Batöni ist es dann ein leichtes Auslaufen hinab nach Weisstannen, abgesehen von einer verdreckt-verschlammten Passage. Der Gufelbach begleitet uns; als er die Seez erreicht, sind auch wir am Ziel. In der «Gemse» setzen wir uns in den Garten, und bald habe ich eine Forelle aus hauseigener Zucht vor mir. Sie schliesst diese Wanderung mit Wasserwundern aller Art stilecht ab.
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Route: Pizolhütte (Gondelbahn, dann Sesselbahn in zwei Sektionen von Wangs aus) - Wildseeluggen - Lavtinasattel - Batöni - Weisstannen.

Wanderzeit: 4 1/4 Stunden.

Höhendifferenz: 400 Meter aufwärts, 1620 Meter abwärts.

Wanderkarte: 247 T Sardona 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Bus von Weisstannen nach Sargans SBB.

Charakter: Aussichtsreiche Bergwanderung. Stellenweise ruppiges und anstrengendes Terrain, saftiger Abstieg vom Lavtinasattel nach Weisstannen. Besonders schön und sehr apart, eine Alternative zur Fünf-Seen-Wanderung im gleichen Gebiet, auf der es meist viele Leute hat.

Höhepunkte: Die Auffahrt zur Pizolhütte. Der Wildsee. Die Wasserfälle von Batöni. Die Forelle in der Gemse in Weisstannen.

Kinder: Etwas weit. Auf den schwierigen Passagen gehören sie beaufsichtigt.

Hund: Machbar.

Einkehr: Nur am Anfang und am Schluss. Pizolhütte. Gemse Weisstannen, Dienstag Ruhetag. Auch Hotelbetrieb.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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