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Wenn die Flora sich verdoppelt

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Diese Woche von der Bergstation der Aeugstenbahn über Rotärd nach Filzbach GL

Ich nehme den Bus vom Bahnhof Glarus zur Seilbahn von Ennenda. Die Acht-Personen-Gondel steht bereit, ich habe am Vortag reserviert, löse mein Billett und steige ein.

Der Talboden bleibt tief unten zurück, die Bahn gleitet fast geräuschlos aufwärts, ich bin froh um ihre Neuheit. Vor 2010 verkehrte hier ein sogenanntes Cabriobähnchen. Ich fand jene offene Holzkiste grauslig. Bei Seilbahnen geht mir jede Nostalgie ab.

Konkurrenz der Gesteine

Fast 1000 Meter höher auf dem Bärenboden die Bergstation, ich falte die Wanderstöcke aus und gehe los. Die Erde ist rötlich; in diesem Gebiet konkurrenzieren sich grauweisser Kalk und roter Verrucano. Weil jede der zwei Gesteinsarten andere Pflanzen begünstigt, verdoppelt sich sozusagen die Flora. Wenn ich bloss mehr Blümchen kennen würde, denke ich wieder einmal.

Nach zehn Minuten die Aeugstenhütte. Doch für eine Einkehr ist es zu früh. Hinter mir schält sich der Glärnisch aus dem Hochnebel, weitere Gipfel folgen, bald liegt auch der Tödi frei. Vor mir erstreckt sich steil die Halde hinauf zur Alp Begligen, darüber zackt ein Grat. Begligen selber ist dann dominiert vom massiven Schilt ganz nah zu meiner Linken. Direkt voraus liegt der Rotärdpass, ihn will ich nehmen.

Vorerst aber der Hinweis auf eine kürzere Variante. Die Rotärdroute ist einsam und lang, anstrengend und glitschig. Wer leichter wandern will oder Kinder dabeihat, dem rate ich, auf Begligen links abzubiegen und via Holzflue wieder hinab zum Bärenboden zu halten. Zwei Stunden dauert diese Rundwanderung insgesamt und birgt genug Schönheit; bisweilen sieht man in der Schiltrisenen, wie die gewaltige Geröllflanke am Weg heisst, Gämsen.

Hinauf nach Rotärd färbt sich der Erdboden tatsächlich zu verblüffender Röte. Oben bei der Jagdhütte – privat, verrammelt – eine Überraschung: Die Felskante serviert neue Berge, ich sehe weit Richtung Flumserberg, Toggenburg, Alpstein. Der Berg vor mir, schwarz und bedrohlich im vormittäglichen Gegenlicht, ist der Mürtschenstock.

Der Abstieg zu seinem Fuss, zur Mürtschenfurggel, ist beschwerlich und rutschig. Dreimal verirre ich mich; zwar ist die Richtung klar, doch das Gelände auf kurze Distanz unübersichtlich verhügelt. Die rot-weissen Markierungen in den Kalkschratten sind zu sparsam gesetzt, finde ich.

Gerstensuppe gibt Kraft

Nach der Furggel gehe ich in einer Rinne, den Mürtschenstock zur Rechten, den Fronalpstock und später den Nüenchamm zur Linken. Terrasse um Terrasse steige ich ab, Alp Hummel, Spaneggsee, Talalpsee. Zweimal begegne ich Jägern. Nach dem Talalpsee kommt eine Ministeigung samt einem Wirtschäftli, dem Restaurant Talalpsee. Seine Gerstensuppe macht mich wieder frisch.

Mit neuer Kraft gehe ich die letzten 400 Abwärtsmeter an, der Pfad führt durch einen Schluchtschlitz im Wald namens Chammerboden. Dann das Dorf Filzbach auf dem Kerenzerberg. Ich bin wieder unter Menschen, ohne wirklich gesellschaftsfähig zu sein: Verschwitzt bin ich, die Hosen sind verdreckt bis zu den Knien, die Schuhe schlammbedeckt. Das Gesicht immerhin lächelt. Dies war eine tolle Wanderung. Und das moderne Aeugstenbähnli mag ich sehr.

***

Route: Seilbahn-Bergstation Aeugstenbahn/Bärenboden (zur Talstation in Ennenda gelangt man zu Fuss von der Bahnstation Ennenda oder per Bus vom Bahnhof Glarus) - Aeugstenbeizli - Alp Begligen - Schilttäli - Rotärd - Mürtschenfurggel - Hummel - Rosstannen - Hinter Tal - Talalpsee - Scheidweg - Chammerboden - Filzbach, Post.

Wanderzeit: 5½ Stunden.

Höhendifferenz: 811 Meter auf-, 1555 abwärts.

Wanderkarte: 237 T Walenstadt, 1:50'000.

Seilbahn: Reservieren!

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Von Filzbach per Bus nach Mühlehorn (Bahn) oder Näfels-Mollis (Bahn).

Kurze Alternative (Rundtour): Bergstation Aeugstenbahn/Bärenboden - Aeugstenbeizli - Alp Begligen - Holzflue - Aeugstenwald - Aeugstenbeizli - Bergstation Aeugstenbahn/ Bärenboden. Hier downloaden. 2 Stunden, je 380 Meter auf und ab. Es gibt auch andere Varianten, interaktive Wanderkarte der Aeugstenbahn studieren.

Charakter: Saftige Bergwanderung. Steile Passagen im immerfeuchten, rutschigen Kalk. Einsam.  Zwischen Rotärd und Mürtschenfurggel zu sparsam signalisiert. Aussichtsreich, wild, anstrengend, mit grandiosem Nah-, Fern- und Tiefblick.

Höhepunkte: Die Seilbahnfahrt auf den Bärenboden. Der rote Boden um Rotärd. Das Auftauchen des Mürtschenstocks beim Erreichen von Rotärd. Die Kalkschratten um die Mürtschenfurggel. Der liebliche Spaneggsee und der ebenso liebliche Talalpsee. Die Einkehr im Talalpsee-Beizli.

Kinder: Die Normalvariante ist weit. Besser die Rundtour.

Hund: Machbar, aber anstrengend.

Einkehr: Aeugstenhütte, Mo Ruhetag. (Am 27. September ist Wildheuerchilbi.) - Restaurant Talalpsee über dem Nordende des Talalpsees, bis letztes Drittel Oktober bei gutem Wetter durchgehend offen. Urgemütliches kleines Lokal, gute Küche, feine Gerstensuppe. 079 691 02 21.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Hässlichkeit kann von Vorteil sein

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Diese Woche vom Chaumont auf den Chasseral (NE/BE)

Die Neuenburger haben den Chaumont. Und die Leute von Biel und Umgebung haben den Chasseral. Eines schönen Tages studierte ich zu Hause auf dem Sofa genüsslich Karten und überlegte, wo man wandern könnte. Dabei kam ich auf die Idee: Vom Chaumont zum Chasseral, das wärs doch!

Bald danach fahren wir nach Neuenburg. Auf der Nordseite des Bahnhofs nehmen wir den Bus 107 Richtung Hauterive und wechseln bei der Haltestelle La Coudre auf die Chaumont-Standseilbahn. Sie ist recht voll. Das Radio hat für Lagen über 1000 Metern Sonne versprochen; das Flachland steckt im Nebel.

Stossgebet für die Biker

In unserem Abteil stehen vier junge Biker. Sie haben den Helm mit dem aufgeklappten Visier in den Nacken geschoben, ein Bild verwegener Männlichkeit. Mit anderen Worten: hohes Unfallrisiko.

Oben tatsächlich Sonne. Und der Alpenkranz am Horizont. Wir schauen kurz noch den Bikern zu, die sich rüsten und abbrettern; wäre ich gläubig, würde ich ein kurzes Gebet für sie sprechen: «Herr, behüte sie vor ihren Hormonen, steh ihnen bei auf ihren Wegen downhill.» Dann mustern wir den Aussichtsturm, eine filigrane Betonkonstruktion von 1912, die aussieht wie ein Minarett.

Auf der Strasse wandern wir los, biegen rechts in den Wald. Bald kommt das erste Trockenmäuerchen in Sicht. Kühe weiden, später sehen wir Pferde, weit sind die Weiden mit eingestreuten Bauminseln. Typischer Jura.

Es geht ein wenig aufwärts. Das Riesengehöft mit dem Namen La Dame beflügelt unsere Fantasie. Man könnte sich eine Liebesgeschichte vorstellen, hochromantisch mit einem jungen Dorfarzt, der einen Stehkragen trägt, einem finsteren Gutsbesitzer und seiner unglücklichen Gattin, die mit dem Dorfarzt verbotenerweise eine Liaison eingeht. Alles kulminierend in einer Sturmnacht mit schwankenden Laternen und einer fatalen Bodenspalte, in der ein Mensch den Tod findet.

Wir umrunden La Dame in einer Linksschleife und kommen nach Chuffort. Eine Métairie, eine Bauernwirtschaft. Sie ist voll. Macht nichts, weiter oben gibt es die Métairie de l'Isle. Oh weh! Sie ist ebenfalls mehr als gut besetzt. Draussen gäbe es noch einige Plätze, aber die Bise bläst. Schliesslich landen wir am letzten Tisch, der Kapazität hat. Er steht beim Eingang, es zieht, uns ist nicht wirklich wohl. Das gemischte Plättli mit Fleisch und Käse ist aber sehr gut. Wir essen schnell.

Die 114-Meter-Stange

Nun wird es streng, wir finden uns an einer steilen Halde mit ruppigen Kalkbrocken, dazwischen spriesst der Gelbe Enzian. Ein Schnaps von ihm, das wärs, denke ich, derweil es wieder geradeaus geht. Der Chasseral ist jetzt nah. Wir passieren den Kulminationspunkt der Passstrasse. Eine Viertelstunde später sind wir beim Hotel. Wir kehren ein, essen ein Stück Torte, nehmen einen Kaffee. Was für ein unglaublicher, unangenehmer Rummel!

Durch den Biswind halten wir anschliessend hinauf zur Antenne, einer 114-Meter-Stange in Rot-Weiss. Ihr Unterbau ist ein ungeschlachter Klotz. Aber dank ihm erkennt man den Chasseral von überall in der Schweiz, etwa vom Säntis; die Verdickung auf der lang gezogenen Krete ist unverkennbar. Erst die Sendeanlage macht den Berg wirklich zur Marke, Hässlichkeit ist manchmal von Vorteil.

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Route: Chaumont, Bergstation (Bus ab der Nordseite des Bahnhofs Neuenburg, Linie 107 Richtung Hauterive bis Haltestelle La Coudre, dort umsteigen auf die Standseilbahn und Fahrt auf den Chaumont) - Petit Chaumont - Grand Chaumont - La Dame - Chuffort - Métairie de l'Isle - Chasseral, Kulminationspunkt des Strassenpasses - Chasseral, Hotel.

Wanderzeit: 4¼ Stunden.

Höhendifferenz: 640 Meter auf-, 180 abwärts.

Wanderkarte: 232 T Vallon de St-Imier, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Vom Chasseral per Bus nach St-Imier Bahnhof. Nur wenige Kurse, Fahrplan studieren. Bis und mit 19. Oktober.

Verlängerung: Vom Chasseral-Hotel in drei Viertelstunden leicht aufwärts zur Antenne auf dem höchsten Punkt und retour. Grandioser Aussichtspunkt.

Charakter: Typisch Jura, Kalk, Trockenmäuerchen, locker mit Bäumen bestandene Weiden. Steiler Aufstieg zwischen Métairie de l'Isle und Chasseral.

Höhepunkte: Die Fahrt auf den Chaumont, die Anfangsaussicht dort. Die Einkehr in der Métairie de l'Isle. Die Aussicht vom Chasseral.

Kinder: Gut machbar.

Hund: Gut machbar.

Einkehr: Métairie de Chuffort, Di Ruhetag, bis Ende Oktober offen, 032 751 22 58. Reservieren! - Métairie de l'Isle, Mi, Do Ruhetag bis Ende Oktober. Hernach Winterbetrieb mit Öffnung nur am Wochenende. 032 751 27 33. Reservieren! - Das Chasseral-Hotel und -Restaurant ist derzeit immer offen. Viel Rummel.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Die Iglus des Südens

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Diese Woche Rundtour von Poschiavo auf die Geländeterrasse von Selva GR

Die Ferientage heuer im Puschlav – das sind starke Bilder. Die Gletschermühlen von Cavaglia. Der Palazzo Salis in Tirano mit seinen Prunksälen. Der Grabstein des Schriftstellers Wolfgang Hildesheimer auf dem Kirchhof in Poschiavo. Das Beinhaus mit den Schädeln ganz in der Nähe. Die Etruskersammlung in einem Saal des Talmuseums. Und die Hostaria del Borgo, ein Lokal im Zentrum Poschiavos, das gleichzeitig Café, Restaurant und Trendbar ist mit Popmusik, jungem Servierpersonal und einer grandiosen Polenta.

Natürlich wanderten wir auch, obwohl es an vier von fünf Tagen regnete. Wir zogen dem stillen Ufer des Lago di Poschiavo entlang. Wir umrundeten den Piz Lagalb beim Berninapass; fast erwischte uns dabei ein Gewitter. Und wir hielten vom Bernina-Hospiz über einen atemberaubenden Steig auf den Gletscher des Piz Palü zu, querten Hänge voller Türkenbund, streichelten das eine oder andere Edelweiss am Weg und kamen zu einem See, der erst wenige Jahre alt ist. Er wird vom Wasser des sterbenden Gletschers gespeist. Neuerdings hat das Gewässer in Anlehnung an den benachbarten Berg gar einen Namen: Caralin-See.

Zwei Kirchen – für wen?

Sehr gut gefiel mir auch eine halblange Wanderung von Poschiavo auf die Geländeterrasse von Selva zur, talaufwärts gesehen, Rechten. Durch einen feuchten, vermoosten Wald stiegen wir auf einem alten Säumerweg auf, kamen zum Alpweiler von Urgnasch, hatten nun hohe Berge vor uns wie den Piz Cancian. Ein wenig weiter hinten erreichten wir unseren höchsten Punkt des Tages bei Clef auf 1494 Metern. Ein Schild kündete von einem Serpentinsteinbruch im Val Quadrada. Freilich hatte uns ein Einheimischer verraten, dass der Betrieb eingestellt sei.

Kurz nach Clef kam Vamporti, wir hatten zu unseren Füssen die Wiesen von Selva. Der grüne Boden bot uns Attraktionen. Erstens gleich zwei Kirchlein, eines für die Reformierten und eines für die Katholiken. Eine kuriose Doppelung, wenn man bedenkt, dass Selva siecht und winters nicht mehr bewohnt ist; sommers kommen die Einheimischen auf ihre Maiensässe, um auszuspannen. Zweitens sahen wir beim Näherkommen einen alten Crot. So heissen die Steiniglus des Tals, Lager für Milch und Käse. Auch bei grosser Hitze soll in ihnen die Temperatur nie über sechs, sieben Grad steigen.

Dritte Attraktion von Selva war das Alprestaurant. Wir kehrten ein und tranken einen Apéro. Eine halbe Stunde später kehrten wir schon wieder ein. Eine Geländestufe tiefer, auf Madreda, gibt es ein Restaurant, das uns empfohlen worden war. Tatsächlich waren wir dann sehr begeistert. Unsere Gerichte, darunter ein Steinpilzrisotto, waren alle toll. Vielleicht noch wichtiger war die Wärme des Wirtepaars, denn es regnete wieder. Frau Migliacci bediente liebenswürdig. Ihr Mann trat aus der Küche, als wir gingen, und beide winkten uns zum Abschied.

Das Hängebrückendessert

Entsprechend gut gelaunt sind wir auf dem Abstieg zum Schluss. Wieder Wald, wieder Wildbäche, wieder der schimmernde Fels. Und dazu als Dessert eine Hängebrücke. Allzu hoch spannt sie sich nicht über den Fluss des Val Pedenal, ist aber immerhin 35 Meter lang und gefiel uns in ihrer schlichten Eleganz. Ein weiteres Kopfbild, noch eine starke Erinnerung an die Tage in Poschiavo.
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Route: Poschiavo Bahnhof - Wanderweg dorfseitig der Schienen - Bahnübergang - Val da Guli - Bignideu - Urgnasch - Clef, 1494 m, höchster Punkt - Vamporti - Selva, Restaurant - Madreda, Restaurant - Bosch da Selva/Val da Selva - Brücke von Pedenal - die letzte Viertelstunde nach Poschiavo wie auf dem Hinweg.

Wanderzeit: 3¾ Stunden.

Höhendifferenz: je 540 Meter auf- und abwärts.

Wanderkarte: 469 T Val Poschiavo, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Charakter: Angenehme Rundtour höchstens mittlerer Anstrengung. Einige steilere Passagen im Aufstieg und Abstieg sind feucht und rutschig.

Höhepunkte: Der stille Weiler von Urgnasch. Selva mit seinem Crot und den zwei Kirchlein. Die Einkehr im Restaurant von Madreda mit dem freundlichen Wirtepaar. Die hübsche Hängebrücke im Val Pedenal.

Kinder: Geht gut.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Ristorante Selva. Bei schlechtem Wetter ist das Restaurant am Montag eher geschlossen. 081 844 07 46. Ristorante Madreda. Bis Mitte Oktober durchgehend offen, abends relativ früh (circa 21 Uhr) geschlossen. Reservieren! 081 844 04 78.

Wanderbuch: Gute Routen und Informationen liefert der Führer «Das Puschlav» von Corina Lanfranchi. 36 Franken. Rotpunktverlag.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

 

Alles ist ein wenig traurig – und noch schöner als sonst

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Diese Woche von Claro nah Bellinzona auf die Monti di Savorù (TI)

Es ist Herbst. Melancholie zieht in die Landschaft ein respektive in den Menschen, der sie durchschreitet. Das Fest ist vorbei. So fühlte ich es auch auf meiner Wanderung von Claro durch Buchen, Birken, Kastanienbäume auf die Monti di Savorù.

Versteht man, was ich meine? Im Herbst wird der Wald still. Und ein wenig traurig. Alles ist noch schöner als sonst. Weil es endet.

Und gleich eine weitere Vorbemerkung, sie ist geografischer Art. Bei den Monti di Savorù, manchmal auch Monti di Saurù, handelt es sich um eine Serie von Maiensässen hoch über jener Ecke, wo kurz vor Bellinzona Misox und Riviera zusammenkommen. «Riviera» wiederum ist der Name des Ticino-Tals zwischen Biasca und Bellinzona. Dass der alte deutsche Name «Reffier» entschwunden ist, halte ich nicht für einen Verlust. Es ist in ihm kein Wohlklang.

Pippo und der heilige Benedikt

Kalt der Morgen, als ich bei Claro, Ponton, so der Name der Bushaltestelle, loszog. Der Hang meines Tages erhob sich bläulich vor mir. Auf der Strasse ins Dorf lag Raureif. Beim Metzger Pippo kaufte ich mir eine Salami und eine Ciabatta.

Claros Kirche hätte in jedem Pasolinifilm auftauchen können, stilechter Süden. Weiter oben passierte ich die Kapelle St. Ambrosi. Ein gepflästerter Pilgerweg, glitschig feucht von der Nacht, leitete mich zum Benediktinerinnenkloster Santa Maria Assunta auf einem Felssporn 350 Meter über dem Dorf. Den Ordensgründer lernte ich durch das Fresko eines Bildstockes kennen: Benedikt von Nursia, ein bärtiger, hagerer Mann mit heiteren Augen, trug einen Raben auf der Hand.

Das Kloster war Gold im Sonnenlicht. Ich ging in die Kirche, fand den Rest der Anlage verschlossen, stellte mich auf die Terrasse, blickte durch Palmen auf die Riviera und freute mich des Lebens. Die Bergspitzen gegenüber, Gipfel wie die Cima dell'Uomo, waren in Schnee getaucht.

Dann der Aufstieg durch die Waldflanke und viel von den eingangs beschriebenen herbstlichen Gefühlswallungen, Euphorie und Schwere im Wechsel. Die ersten 20 Minuten ging ich auf einem Strässchen. Es folgte ein stellenweise schmaler Pfad, der Boden war mal wurzeldurchsetzt, mal geröllbedeckt, dann wieder gepolstert durch weiche Kastanienhüllen. Der Wald schief bereits zu schlafen, kein Vogel war zu hören.

Via Ai und Pozzuolo kam ich nach Parusciana und passierte dabei zwei, drei Traumrustici. Von Parusciana führte mich ein leichter Weg hinüber zu den Monti di Savorù. Auch da kein Mensch. Das Restauräntchen war zu, die Seilbahnkabine hing verlassen in der Bergstation.

Ich liess mich auf einem Trockenmäuerchen nieder, Eidechslein huschten von dannen; Godzilla hatte sich auf ihr Haus gesetzt. Was für ein Unterschied zur Kälte des Morgens, dachte ich, während ich in den Himmel blinzelte, die Sonnenwärme genoss, Pippos Salami verschlang und plötzlich glücklich war.

Die Sechsjährige, sie lebe hoch!

Und nun noch ein PS, liebe Leserin und lieber Leser. Meine Wanderkolumne feiert dieser Tage ihren sechsten Geburtstag. Rund 300 Wanderungen habe ich bisher vorgestellt - und möchte mich bedanken für alle, die sie nachgehen, die mir schreiben, die loben oder auch Kritik an der einen oder anderen Ungenauigkeit oder Unbedachtheit üben. Auf viele weitere Routen und so viele Reaktionen wie bisher!

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Route: Claro, Ponton (Bushaltestelle der Buslinie Airolo - Biasca - Bellinzona) - Claro Kirche - Kloster Santa Maria Assunta - Cavri - Pozzuolo - Parusciana - Monti di Savorù (Saurù), Seilbahn.

Wanderzeit: 3 1/4 Stunden.

Höhendifferenz: 1075 Meter aufwärts, 35 abwärts.

Savorù-Seilbahn: Der Fahrplan ist nicht allzu dicht.

Verlängerung: Statt auf den Monti di Savorù das Bähnchen hinab nach Lumino zu nehmen, kann man auch laufen. Steiler, aber guter Kehrenweg im Wald. Plus 2 Stunden, plus 1055 Höhenmeter abwärts.

Wanderkarte: 276 T Val Verzasca 1:50 000. Für den Abstieg nach Lumino braucht es auch die Karte 277 T Roveredo.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Von Lumino mit dem Bus nach Bellinzona.

Charakter: Zuerst ein Pilgerweg zum Kloster von Claro. Hernach einsamer, steiler Wald auf guten Pfaden. Aussichtsreich, still, mit aparten Rustici und viel Bergsicht in den oberen Lagen.

Höhepunkte: Die Kirche von Claro. Der gepflegte Weg zum Kloster. Der Blick vom palmengesäumten Kloster auf die Riviera. Der Bergblick weiter oben.

Kinder: Machbar.

Hund: Machbar.

Einkehr: Bei der Seilbahn-Bergstation gibt es ein kleines Restaurant. Die Öffnungszeiten sind nicht wirklich klar festgelegt. Anfragen! 091 829 20 95.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmer privatem Journal.

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Ankeschwändi – was für ein herrlich gebutterter Name

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Diese Woche von Wolhusen auf den Menzberg (LU)

Menzberg ist bekannt als Ausgangspunkt von Napfwanderungen. Doch wieso nicht Menzberg für einmal zum Ziel machen? Das Dörfchen auf 1000 Metern über Meer ist ein herrlicher Ort zum Ankommen, Verweilen, Einkehren. Hat man ausgiebig genossen, trägt einen der Bus hinab zur Station von Menznau. Soweit der Schluss dieser Wanderung.

Jetzt zu ihrem Anfang. Bei blendendem Herbstwetter steigen wir in Wolhusen aus dem Zug. Zum Auftakt geht es durch das vom Verkehr heimgesuchte Riesendorf: zuerst zum grossen Kreisel und dann westseitig der kleinen Emme ein langes Stück durch ein Wohnquartier.

Lebe wohl, geliebter Geruch

Blumen blühen in den Vorgärten, das Auge verschlingt sie sehnsüchtig. Bald ist es vorbei mit der Farbenfülle. Und vor allem mit dem Geruch. Das ist es, was ich im Winter am meisten vermisse: den Geruch von frisch geschnittenem Gras, von Heu, Lavendel, Flieder, Walderdbeeren, Holunderblüten und und und.

Nun wird die Unternehmung kurz richtig hart. Wir müssen steil hinauf. Zur Rechten den Stampfigraben, zur Linken das Badtobel gewinnen wir schwitzend Höhe; vor Augen haben wir die Häuser der Schruffenegg, die wir später in einigem Abstand passieren werden.

Bei der Mättenlehn ist es vorbei mit dem Leiden durch grobe Steigung. Die Wanderung ist nun längere Zeit, bis zur Gutenegg, purlautere Erholung. Ein vollkommener Höhenweg ermöglicht es. Beim Steinhuserberg sehen wir eine moderne Kirche, die sich stimmig in die Landschaft fügt, sie stammt von 1970. Hernach Höfe wie Vorderätzleschwand, Hinterätzleschwand, Längebüelschür. Und am Horizont die Berner Alpen. Dazu natürlich der Pilatus. Und die Rigi, wenn ich recht sehe; zum Herbstwetter gehört eine gewisse Dunstigkeit der Luft.

Vor der Gutenegg haben wir – dies die gute Nachricht – Menzberg vor uns. Weit ist das nicht mehr. Die schlechte Nachricht ist, dass uns der Chorbgraben von unserem Ziel trennt; in ihn hinab oder auch hinein halten wir alsbald. Je tiefer wir steigen, desto mehr gefällt uns die Wegführung; das mit der schlechten Nachricht ist Blödsinn. Die Anstrengung lohnt sich auf jeden Fall, unten am Flüebach spriessen Pilze, wir sind im Reich der Nagelfluh, der Farne, Blacken und Beeren. Der Kontrast zur hellen Hügelherrlichkeit der letzten anderthalb Stunden könnte grösser nicht sein.

Höhennest mit Riesenkirche

Wir erobern uns das Licht wieder, steigen auf zur Ankeschwändi; was für ein hübsch gebutterter Name. Kurz darauf sind wir oben in Menzberg. Das Dorf liegt wunderbar für sich, ein Höhennest. Seine Kirche ist riesig. Unser Ziel ist freilich ganz und gar weltlich. Wir haben im Hotel Menzberg einen Tisch reserviert. Das Haus geht übrigens zurück aufs Jahr 1834, als auf dem Menzberg eine Molkenkuranstalt gebaut wurde.

Bald darauf sitzen wir. Das Essen ist sehr gut, die Weinkarte sogar bombastisch, wie unsere Bieler Connaisseuse Ronja feststellt. Und der Hotelier ist ein netter Typ, der uns freundlich Auskunft gibt, als wir Fragen zur Gegend haben. Wir sind uns im Grüpplein einig, dass man in Menzberg einmal nächtigen müsste. Bleiben. Sich entspannen. Für diesmal müssen wir leider verzichten. Aber die Idee wird notiert in meinem Ideenjournal, das über die Jahre nicht dünner, sondern dicker und dicker wird. Wer wandert, entdeckt immer noch mehr Möglichkeiten zur Freude.

 

***

Route: Wolhusen Bahnhof - Bergli - Schruffenegg - Mättenlehn - Neuhus - Vorder- und Hinterätzleschwand - Längebüelschür - Tschoppen - Chorb - Chorbgraben - Ankeschwändi - Menzberg.

Wanderzeit: 3 1/2 Stunden.

Höhendifferenz: 590 Meter auf-, 145 abwärts.

Wanderkarte: 234 T Willisau, 1: 50 000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Mit dem Bus hinab nach Menznau zur Bahnstation. Wer via Löchli wieder zur kleinen Emme absteigt und nach Wolhusen zurückläuft, braucht 3 zusätzliche Stunden, plus 100 Meter aufwärts und 520 abwärts.

Charakter: Anstrengend im Aufstieg zur Schruffenegg und am Schluss bei der Querung des Chorbgrabens. Ansonsten herrliche Höhenwanderung mit Weitblick auf die Alpen.

Höhepunkte: Das Erreichen der Schruffenegg. Der wilde Chorbgraben. Die Einkehr in Menzberg.

Kinder: Keine Probleme.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Landgasthof-Hotel Menzberg. Montag Ruhetag

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Der Tag, als die Forelle schrie

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Diese Woche von Noiraigue durch die Areuseschlucht nach Bôle (NE)
In meiner Erinnerung riecht diese Wanderung gut. Nach Laub auf feuchten Schluchtpfaden und nach schlaffem Farnkraut. Nach totem Holz. Aber auch nach Forelle Meunière. Und natürlich, wie könnte es anders sein im Val de Travers, nach Absinth.

Mit ihm begann die Wanderung in Noiraigue. Man darf den Kiosk Goût & Région im alten Bahnhofsgebäude nicht unbesucht lassen und einfach loswandern; es wäre ein Fehler. Der Terroirgedanke wird dort lebendig, dass es eine Lust ist. Und ausserdem gehören Leute unterstützt, die irgendwo in einer Randgegend etwas aufbauen.

Herrliche Abwärtswanderung

Wir traten ein, schauten uns um, degustierten Tomme mit Kümmel. Käse. Absinth-Pralinés, Wurst mit Absinthgout und Absinth pur. Einiges davon landete in unseren Rucksäcken – und um es vorwegzunehmen: Was folgte, war gleich wieder Genuss. Der Weg führt nah der Areuse abwärts und ist perfekt hergerichtet. Gute Schuhe tun trotzdem not. Es feuchtelt herbstlich in der Schlucht. Die Areuse entspringt übrigens weiter oben im Tal bei Saint-Sulpice aus einer Karstquelle. Ihr Name kommt aus dem Spätlateinischen, «Arrogium» gleich Fluss. Im Mittelalter gab es für einige Zeit auch die Form «Arosa».

Herrlich, diese Abwärtswanderei, bei der wir zuerst noch kurz der Bahnstrecke entlangliefen. Linker Hand sahen wir den Kamm der Tablettes, eines Höhenzuges, den ich vor langer Zeit einmal überwandert hatte; ich kann das nur empfehlen. Die Tablettes sind einsamer als der berühmte Creux-du-Van, der Canyon der Romandie, gegenüber auf der anderen Talseite.

Die Areuse ist ein arbeitsames Ding, sie wurde und wird gebraucht. Wir erblickten Stauwehre, Elektrizitätswerkgebäude, Schleusen, Kanäle noch und noch. Einst kamen dazu Sägereien, Stampfen, Färbereien, Waschhäuser, Schmieden, Papier- und andere Fabriken. Auch eine grosse Trinkwasserlieferantin ist der Fluss; viele Neuenburgerinnen und Neuenburger trinken Areuse.

Nach knapp anderthalb Stunden bei Champ du Moulin die Wandermitte. Hunger. Zeit fürs Mittagessen. Das Lokal unserer Wahl begeisterte uns schon baulich. La Truite ist über hundertjährig: ein Trutzdach im Heimatstil, grün-weiss-gestreifte Fensterläden, ein geräumiger Saal. Eine Freundesvereinigung trieb die Millionen auf, die zur Renovierung benötigt wurden; wenn ich es recht verstehe, bleibt noch einiges zu tun.

Der Forellenschrei

Wir setzten uns, bekamen von einem umtriebigen Jüngling die Karte und hatten bald unser Essen vor uns. Forelle, jawohl. Aus dem hauseigenen Weiher. Wie alle Tieresser habe ich bisweilen kurz ein schlechtes Gewissen. In diesem Fall ereilte es mich, weil mein Fischlein seinen Mund zum stummen Munch-Schrei aufgerissen hatte. Fein war es aber. Ich tröstete mich damit, dass es in Form guter Gedanken in mir weiterleben würde. Und dass ich es – siehe diesen Text – auch öffentlich feiern und verewigen würde.

Nach dem Mittagessen kam der Schlucht zweiter Teil. Wieder feuchte Enge, der Herbstwald, Brücklein, Stege, Stufen aus Kalkstein, der schäumende Fluss und die eine oder andere Wasserfassung. Endlich der Ausgang aus der Schlucht. Die letzten 20 Minuten durch das Acker- und Wiesland zum Bahnhof Bôle mit Sicht auf den Neuenburgersee hätten wir normalerweise als schön taxiert. Nach dem Schluchtparcours fanden wir sie langweilig. Die Gorges de l'Areuse sind Wanderadrenalin.
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Route: Bahnhof Noiraigue - Saut de Brot - Champ du Moulin - Bahnhof Bôle.

Wanderzeit: Knapp 3 Stunden.

Höhendifferenz: 125 Meter auf-, 310 abwärts.

Wanderkarte: 241 T Val de Travers und 242 T Avenches, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Von Bôle mit dem Zug nach Neuenburg.

Charakter: Wildromantischer Schluchtweg, teilweise feucht und etwas rutschig. Viele Treppchen und Stege.

Höhepunkte: Der Einkauf im Bahnhofsladen von Noiraigue. Die vielgesichtige Areuse. Das Forellenrestaurant in der Mitte der Wanderung.

Kinder: Keine Probleme.

Hund: Gitterstege.

Einkehr: Nach fünf Viertelstunden direkt am Fluss in Champ du Moulin. La Truite, schönes altes Haus, gute Forellen. Kein Ruhetag.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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«Niente», seufzten die Jäger

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Diese Woche auf den Monte San Giorgio (TI)

Das Postauto trug mich von Mendrisio hinauf nach Serpiano. Schön, wie sich der Bus aus der vom Transitverkehr geplagten Ebene frei fuhr. Irgendwann vor Meride erreichte er offenes Gelände, um gegen Serpiano durch einsamen Herbstwald zu brausen.

In Serpiano eine Überraschung. Nein, gleich zwei. Erstens ein Hotel, wie man es heute nicht mehr bauen würde, ein Betonklotz. Und zweitens ein grosses Stück Luganersee direkt unter der Terrasse des Hotels, dessen Lage grandios ist. Auch hohe Berge sah ich, bloss wusste ich sie nicht zu benennen.

Das Horrorhaus von Forello

Ich zog gleich los Richtung Monte San Giorgio, auf der Direttissima. Der Berg, 1097 Meter hoch, ist ein Mischwesen, gebaut aus Gesteinsarten von Gneiss über Tuff bis Ölschiefer. Berühmt ist er für seine Meeresfossilien aus dem Erdzeitalter Trias; jene Funde trugen ihm den Status des Unesco-Weltnaturerbes ein.

Ganz unbeleckt von Titelehrfurcht wanderte ich. Was ich sah, war gegenwärtig, schlicht, mythisch: lichter Wald, Buchen, Eichen, Kastanien. Der Boden geröllig, wurzeldurchzogen, bisweilen auch von alten Kastanienhüllen gepolstert. Einmal wanderte ich nah an einer Abrisskante hinab zum See. Dann wieder stieg ich in einer hohlen Gasse höher.

An einer Stelle kamen mir Jäger entgegen, ein junger und ein alter. Ich fragte, was sie jagten. «Cervi e cinghiali», antworteten sie. Hirsche und Wildschweine. Und ob sie schon ein Tier geschossen hätten? «Niente», seufzten sie unisono. Sie waren auf dem Heimweg.

Zehn Minuten vor dem Gipfel ein verfallenes Haus auf der Lichtung von Forello. Ich dachte an Geistergeschichten und den Horrorfilm «Blair Witch Project», in dem junge Leute im Wald mit einer Kraft konfrontiert sind, die körperlos bleibt und umso unheimlicher ist.

Oben wieder ein Haus, eine Schutzhütte. Ein Jogger stand davor, ass einen Riegel, wir redeten ein wenig – und ich muss nun eine Unsicherheit gestehen: Tage später las ich im Wanderführer, dass auf dem Monte San Giorgio auch eine Kapelle stehe. Ich sah sie nicht. Schaute ich zu wenig genau hin, hatte mich der Jogger abgelenkt, war die Schutzhütte gleichzeitig eine Kapelle?

Jedenfalls war da die Weite des südlichen Himmels. Und ein umfassendes Panorama mit dem Seedamm von Melide und dem San Salvatore gegen Norden. Der Jogger verabschiedete sich, ich setzte mich auf die Bank, trank Wasser, schaute und schaute und schaute. Ein paar SMS verschickte ich auch, um Freunde mit dem perfekten Wanderbild zu beglücken. Oder zu quälen, die Sache war zweideutig.

Horror in Zürich

Der Abstieg gestaltete sich leicht. Retour nach Forello, dann via Cassina – erneut eine Schutzhütte – hinab nach Meride. Der Ortsname wird im Unterschied zu Melide übrigens auf der ersten Silbe betont: Méride. Die alte Pfarrkirche San Silvestro am oberen Rand von Meride: wieder ein Ort der Aussicht, diesmal Richtung Italien.

Dass man nun nicht einfach heimfährt, sondern sich im von Mario Botta umgestalteten, 2012 neu eröffneten Fossilienmuseum umschaut: ein Muss. Wenige Tage danach besuchte ich in Zürich das Paläontologische Museum der Uni, das auch Exponate vom Monte San Giorgio (und von anderswo) zeigt. Ich sah Präkrokodile, Wasserreptilien, Riesenschildkröten, Monsterhechte mit bösartigen Schnauzen; ein bizarres Kabinett der Evolution. Gut, dass der Mensch noch nicht auf der Welt war, als diese Viecher lebten.

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Route: Serpiano, Albergo (Endhaltestelle des Busses von Mendrisio) - Cave Boscaccio - Forello - Monte San Giorgio - Forello - Cassina - Alboree - Meride, San Silvestro - Meride, Paese (mit demselben Bus wie auf dem Hinweg wieder nach Mendrisio).

Wanderzeit: 2 1/2 Stunden.

Höhendifferenz: 470 Meter auf-, 520 abwärts.

Wanderkarte: 286 T Malcantone, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Charakter: Wandern im Tessiner Herbstwald mit steilen Passagen. Gut signalisiert. Um diese Jahreszeit einsam. Sehr aussichtsreich mit Weitblicken über den vielarmigen Luganersee und nach Italien.

Höhepunkte: Der Blick von der Terrasse des Hotelrestaurants Serpiano auf den See. Derselbe See vom Gipfel. Das schön verschachtelte Dorf Meride am Schluss.

Kinder: Keine Probleme, aber an einigen Stellen gehören Kinder beaufsichtigt.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Nur am Anfang (Serpiano) und am Schluss (Meride).

Tipp: Das Fossilienmuseum in Meride, Botta-Umbau, vor zwei Jahren neu eröffnet, besuchen! Versteinerte Tiere und Pflanzen aus dem Unesco-Weltnaturerbe des Monte San Giorgio. Montag geschlossen.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Ich trank aus der Raspille, um bilingue zu werden

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Diese Woche von Rumeling auf Suonenwegen nach Siders VS

Alle wollten sie durch die Jahrhunderte nach Leukerbad, ins heilende Heisswasser. Goethe, damals im November 1799, kam von Siders und beschrieb die Passage der Varner Leitern kurz vor Rumeling so: «Ein Kerl, der mit einem Maulesel neben uns hinabstieg, fasste sein Tier, wenn es an gefährliche Stellen kam, beim Schweife, um ihm einige Hülfe zu geben.»

Als grosser Erzähler übertreibt Goethe die Gefahr. Oder war der damalige Pfad heikler als der heutige? Jedenfalls stellte ich bei meiner Begehung eine ziemliche Harmlosigkeit fest. Ohnehin führt das Wort «Leitern» in die Irre. Zwar gibt es am gegenwärtigen Weg Leitern, doch gehören sie zu einem Klettersteig, mit dem wir Wanderer nichts zu tun haben. Die historischen Leitern aus Holz, die den Namen prägten, sind längst entschwunden.

Bartlme Kraniger, Wegbauer

Eines schönen Tages fuhr ich von Leuk Richtung Leukerbad. In Rumeling stieg ich schon wieder aus – mein Plan war es, umgekehrt zu Goethe zu gehen, also von Rumeling über die Leitern aufzusteigen und dann hinab nach Siders zu halten. Unangenehm die ersten zehn Minuten, der Wanderweg war identisch mit der Strasse nach Leukerbad. Bereits hatte ich die monumentale Felswand vor mir, die ich durchqueren wollte.

Bald war ich im Grünen. Dann der Leiternweg. Eine Inschrift im Fels erinnerte an Meister Bartlme Kraniger, den Tiroler, der den Komfortweg 1739 in den Stein haute. Die nächste Viertelstunde durch die Wand bereiteten mir Vergnügen. Der Steig war breit und stellenweise mit einem Seilgeländer gesichert – keine Probleme. Tief unter mir nun die Schleifen der Strasse.

Oben ein Bildstock. Und ein totaler Szenenwechsel. Das Bergabenteuer war zu Ende, es begann der lange Mittelteil meiner Wanderung. Auf einem schönen, sanft sich senkenden Höhenweg hielt ich vorwärts, sah unter mir das Weindorf Varen, das den Leitern den Namen gegeben hatte. Später ging es auf einer Strasse wieder aufwärts, ich kam an der Feriensiedlung Taschunieru vorbei.

Schliesslich die Grossi Wasserleitu, die auch Varner Suone heisst. Anders als andere Suonen, also traditionelle Walliser Wasserkanäle, erwies sich diese als harmloses Ding: keine Abgründe, stattdessen viel Geradeaus durch lichten Wald auf einem perfekten Begleitweg. Unter mir lag der Pfynwald, gegenüber hatte ich den Gorwetschgrat, dessen Flanke von nackten Rüfen durchfurcht war.

Pizza zum Schluss

Mit der Suone endete bei La Proprija meine Passage durch die Varnerplatten, ein prähistorisches Bergsturzgebiet. Ich erreichte die Raspille, jenes Flüsschen, das auch die nächste Suone namens Bisse Neuf speist. Die Raspille ist berühmt, weil sie im Kanton Wallis den deutschen vom französischen Teil trennt. Der Bisse Neuf: Das waren wieder pflegliche Verhältnisse, wieder Gehfreude, wieder Plätschern und Baumschatten und ab und zu ein Wasserschieber.

Nah Venthône nahm ich Abschied vom Bisse Neuf. Ich stieg ab ins Dorf und weiter durch die Reben nach Siders. Dort setzte ich mich auf den grossen Platz und bestellte eine Pizza. In meinem holprigen Schulfranzösisch. Schade. Es hatte nicht funktioniert. Ich hatte oben am Hang einen Schluck aus der Raspille genommen – in der Hoffnung, dass mich das Wasser aus dem mythischen Grenzgewässer bilingue machen würde.

***

Route: Rumeling (Bushaltestelle der Linie Leuk–Leukerbad) - Varner Leitern - Taschunieru - Grossi Wasserleitu (Varner Suone, Bisse de Varone) - La Proprija - Bisse Neuf - Venthône - Siders Bahnhof.

Wanderzeit: 4 Stunden.

Höhendifferenz: 265 Meter auf-, 685 abwärts.

Wanderkarte: 273 T Montana, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Kürzer: In Venthône nach 3 1/4 Stunden aufhören und den Bus hinab nach Siders nehmen. So geht man gut 280 Höhenmeter weniger abwärts.

Charakter: Zuerst ein spektakulärer, aber gefahrloser Steig durch eine Felswand. Dann leichtes Suonenwandern mit Weitblick übers Wallis und auf viele hohe Gipfel.

Höhepunkte: Die Varner Leitern. Die beiden Suonen Grossi Wasserleitu und Bisse Neuf. Der historische Kern von Siders.

Kinder: Sie gehören in der Varner-Leitern-Passage beaufsichtigt.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr unterwegs: Erst ab Venthône.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Le Tour de Frenke

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Diese Woche von Reigoldswil via Titterten und Richtiflue nach Waldenburg (BL)
Auf dieser von Nebel umwallten Wanderung lernte ich ein neues Wort. Auf der Richtiflue, einem ungemein markanten Baselbieter Jurakamm, trafen wir einen Jäger. Ihm zu Füssen lag ein toter Fuchs. Oder war es eine Füchsin? Wir fragten den Jäger. Er schaute nach und sagte: «Es ist eine Fähe.»

Ein weiblicher Fuchs ist eine Fähe. Wusste ich nicht. Oder habe ich es einst gelernt und wieder vergessen?

Gestartet waren wir in Reigoldswil, der Bus hatte uns von Liestal hingebracht. Wir waren nun im Tal der Hinteren Frenke. Und wir wollten nach Waldenburg im Tal der Vorderen Frenke. «Le Tour de Frenke», kalauerte ich.

Schnell waren wir aus dem Dorf, passierten einen Naturschutzweiher, kamen in den Flügraben. Die Ruine Rifenstein zur Linken – «Rife» gleich Rippe – besuchten wir nicht, zu steil und feucht der Aufstieg. Auf einer Tafel lasen wir, dass die Ruine sich auf drei Felssporne verteile. Dann nahm uns unser Geländeschlitz gefangen: Laub, ein Bächlein, ein schmaler Pfad, gestufte Abschnitte.

Der Politiker und «die Araber»

Ein Bienenhäuschen beschloss den Flügraben. Wir schauten genauer hin und merkten, dass es auch ein Bunker war, tief in den Grund betoniert. Bald darauf langten wir in Titterten an. Uns fiel einer ein, der von hier kommt: Miesch, Christian. Der Politiker aus Titterten, früher FDP, heute SVP, zog kürzlich zum dritten Mal in den Nationalrat ein, eine wechselvolle Karriere, drinnen, draussen, wieder drinnen, wieder draussen, nun wieder drinnen – und wenn ich aus der «Basellandschaftlichen Zeitung» einen Satz zitieren darf, mit dem Miesch sehr gerade begründete, warum er ein Solardach gebaut und sein Zweitauto verkauft hat: «Ich will den Arabern kein Geld mehr schicken.»

Via Baberten, Schuflenberg, Gagsen stiegen wir auf die Richtiflue; der stille Wald freute uns, andere Wanderer sahen wir nicht. Soweit wir überhaupt etwas sahen im Nebel. Auf dem Grat der Flue, wo es heller war, kamen uns Jäger entgegen, alle hundert Meter zwei, drei Mann. Treibjagd, sagten sie, etwas geschossen habe aber kaum einer. Der letzte Jäger war der mit der Fähe. Er gab uns gern Auskunft. Die Gummihandschuhe trage er, weil Füchse voller Krankheitserreger seien, sagte er. Das Fell abziehen und beizen lohne sich nicht, das Tierchen sei zu klein. Essen? Das machten höchstens die Bündner, die Fuchsschlegel trockneten und verzehrten.

Was er also mit der toten Fähe mache? «Entsorgen.»

Zum Abschluss eine Cremeschnitte

Wir wanderten weiter auf dem Grat, der sich immer mehr verschmälerte. Gefährlich war das nicht, aber doch abenteuerlich. Dann eine Fernmeldeantenne und der vorderste Punkt der Flue, direkt unter uns lag jetzt Waldenburg. Den mittelalterlichen Kern erblickten wir nicht; dafür moderne Wohnhäuser und die Burgruine Waldenburg gegenüber.

Einige Zeit später, nach steilem Abstieg, betraten wir durch ein Tor das Städtchen. Es verdankt sich der Tatsache, dass durch sein Tal einst der direkteste Weg von Basel zum Gotthard führte. Die Grafen von Froburg bezollten den Verkehr über den oberen Hauenstein, Waldenburg blühte. Wir bedachten dies kurz, wandten uns freudig wieder der Gegenwart zu, begaben uns in den Löwen und assen gut: Angus-Bratwurst mit Rösti und eine hausgemachte Cremeschnitte. Der Gang von der einen Frenke zur anderen hat sich in jeder Hinsicht gelohnt. Und nicht zum ersten Mal hat eine Wandertour meinen Wortschatz bereichert.

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Route: Reigoldswil, Dorfplatz (Bus ab Bahnhof Liestal) - Flügraben - Titterten - Egg - Baberten - Liedertswil (westlicher Ortsrand) - Gagsen - Richtiflue (bis zum vordersten Punkt 687 m) - Waldenburg - Waldenburg Bahnhof.

Wanderzeit: 3 1/4 Stunden.

Höhendifferenz: je circa 500 Meter auf- und abwärts.

Wanderkarte: 5029 T Basel, Laufen-Olten (Zusammensetzung), 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Mit der Bahn von Waldenburg nach Liestal SBB.

Charakter: Grandioser Baselbieter Jura, viel Herbststimmung. Feuchte Pfade, zum Teil glitschig. Auf der Richtiflue muss man aufpassen, auch wenn der Weg nicht ausgesetzt ist.

Höhepunkte: Der Flügraben. Die atemberaubende Richtiflue mit dem sich verengenden Pfad. Der Tiefblick vom vordersten Punkt der Richtiflue über Waldenburg. Die Ankunft im Mittelalter-Städtchen Waldenburg.

Kinder: Gut machbar. Vorsicht auf der Richtiflue!

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: In Reigoldswil und Waldenburg und – sehr eingeschränkt – auch in Titterten (Sodhus-Beizli). Getestet und gemocht: Löwen in Waldenburg (Di und Mi Ruhetag)

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Die Rollatormeditation

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Diese Woche von Dagmersellen via Roggliswil nach St. Urban (LU)
Hört der Nichtluzerner «Dagmersellen», denkt er nur: A2, Gotthardstrecke. Leider hilft diese Wanderung auch nicht, dass wir Dagmersellen näher kennenlernen könnten. Der Bahnhof liegt abseits, unsere Gehbewegung zieht uns weg vom Dorf, wir queren die Autobahn, kommen in den Wald. Adieu, auf ein andermal!

Steil geht es hinauf zum Schallbrig, auf dem vom Autobahnschall nicht das Geringste zu hören ist; steil wieder hinab nach Richenthal, das die Einheimischen «Ridu» aussprechen. Dann der nächste, höhere Hügel namens Guggerhöchi. Als sie überwunden ist, gibt es eine Überraschung. Hübsch lugt die Spitze des Kirchturms von Pfaffnau über die Graskrete vor uns. Allerdings biegen wir am Rand des Ortes bei Zinggen links ab. Auch Pfaffnau kann in dieser Kolumne nicht näher gewürdigt werden.

Richtung Niederwil gehen wir nun kurz auf dem Kapellenweg. Der ist – man erlaube den Exkurs – auch eine Wanderung wert. Ich kenne ihn, habe ihn vor längerer Zeit gemacht und kann ihn empfehlen. Das Pfaffnerntal ist katholisches Herzland und dementsprechend dicht mit Kapellen und Kirchen bestückt. Acht davon erlebt man, wenn man den Kapellenweg abschreitet, was gut zweieinhalb Stunden dauert. Den Prospekt gibt es zum Beispiel in der Pfarrkirche Pfaffnau, wo man am besten startet. Oder auf der Gemeindeverwaltung.

Ein Gebäude der weltlichen Art fesselt uns, als wir in Niederwil anlangen. Ich meine nicht den Ochsen, in dem wir alsbald hervorragend essen werden. Schon in Pfaffnau haben wir aus der Ferne einen kurios überhohen Schuppen gesehen. Jetzt in Niederwil kommen wir direkt an einem ganz ähnlichen Schuppen vorbei. Eine Tabakscheune. Es gibt in der Schweiz noch rund 200 Tabakbauern, einige davon im Luzernischen. In den luftigen Scheunen hängen sie die abgeernteten Tabakblätter zum Trocknen auf.

Der Ochsen: super! Bodenständig, sympathisch, unaffektiert-ländlich – und übrigens ist am 28. November Metzgete. Wir essen, Glück zieht in die Bäuche ein. Beschwingt setzen wir nachher unsere Wanderung fort, sind gleich in Roggliswil, zu dem Niederwil übrigens gehört. Natürlich schauen wir in die Wendelinskapelle. Sie ist Neogotik, ihre Vorgängerin ging auf das Jahr 1555 zurück. Damals waren fünf Bauern dankbar, dass die Klauenseuche ihr Vieh verschont hatte. Sie bauten eine Kapelle und weihten sie dem Hirtenheiligen Wendelin. Stilecht steht er da in Roggliswil, mit Hütestab und Schaf.

Betet er? Schläft er?

Ein letztes Mal müssen wir nun hinauf. Auf Ober Berghof ist die Steigung geschafft, und wir denken auf dieser Terrasse wieder einmal, dass mancher Bauer residiert wie ein König. Kurz darauf sehen wir weit vorn die Zwillingstürme des alten Zisterzienserklosters St. Urban. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde es aufgehoben, worauf eine psychiatrische Klinik einzog.

Wir betreten die Klosterkirche – ein Traum in Weiss und Gold. Ein alter Mann hockt im Schiff auf seinem Rollator, der Blick ist auf das Altarbild fixiert, er trägt einen Kopfhörer. Schläft er, meditiert er, betet er? Und was für Musik hört er? Natürlich tippen wir alle auf Händel oder gregorianische Chöre und lassen ihm seine Ruhe, indem wir weiterziehen zum nahen Bahnhof. Die Schmalspurfahrt von der Station St. Urban nach Langenthal ist dann ein letztes Vergnügen dieser Route.

***

Route: Dagmersellen, Bahnhof - Schallbrig - Hasli - Richenthal - Muniweid - Guggerhöchi - Burghof - Zinggen (Ortsrand Pfaffnau) - Bächleten - Loch - Niederwil - Roggliswil - Stotzigrain - Ober Berghof - Sonnhaldenhof - Kloster St. Urban - St. Urban, Station.

Wanderzeit: 5 Stunden.

Höhendifferenz: 530 Meter auf-, 560 abwärts.

Wanderkarte: 234 T Willisau und 224 T Olten, 1: 50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Mit dem Zug nach Langenthal. Auch Busse verkehren ab St. Urban.

Kürzer: In Niederwil aufhören. 3 1/4 Stunden, 425 Meter aufwärts, 360 abwärts.

Charakter: Ruhiges Bauernland und Dörfer. Einige kurze Auf- und Abstiege sind coupiert, Stöcke helfen. Am Schluss ein bedeutendes Kulturdenkmal, das Kloster St. Urban.

Höhepunkte: Die Tabakscheunen von Niederwil. Der Zmittag im Ochsen daselbst. Das riesige Kloster St. Urban.

Kinder: Keine Probleme.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Ochsen in Niederwil. Mo, Di Ruhetag. Reservation: 062 754 13 40. Am 27. und 28. November ist Metzgete. Jeweils Mi/Do gibt es Kutteln und Kalbskopf.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Eine tagfüllende Wanderung, die vor allem Spass macht

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Sie rennen, klettern, wandern und biken. Unsere Outdoorblogger sind leidenschaftlich in dem, was sie tun. Was treibt unsere vier Autoren an? Was lässt sie staunen? Wir zeigen die Blogger diese Woche von ihrer persönlichen Seite. Thomas Widmer beschreibt, warum er am liebsten durch das wilde Napfgebiet wandert und was in seinem Rucksack nicht fehlen darf. Viel Spass!
Anmerkung der Redaktion: «Widmer wandert» erscheint ausnahmsweise am Samstag.
Video: Lea Koch


Happy Birthday, Blogs! 15 verschiedene Blogs, mehrere tausend Beiträge und weit über eine Million Kommentare: Da stehen wir nach fünf Jahren. Die Blogs gehören heute zum festen Inventar von tagesanzeiger.ch. Nationale Bekanntheit haben nicht nur die Klassiker wie der Mama- oder der Sweet-Home-Blog erlangt. Auch neuere Blogs, wie etwa «Manage Your Boss» oder «Welttheater», fanden schnell Anklang bei den Leserinnen und Lesern. Grund genug um nach fünf Jahren Geburtstag zu feiern. In den kommenden zehn Tagen feiern wir unsere Blogs mit speziellen Postings. Und in Videos und weiteren Blogpostings gewähren wir Ihnen einen Blick hinter die Kulissen, porträtieren Autoren – und schreiben über unseren Umgang mit Kommentaren und Kommentarschreibern. Fehlt noch was? Ja! Erst durch die Kommentare von Ihnen, liebe Userinnen und User, entstehen spannende Diskussionen und Debatten. Ein herzliches Dankeschön dafür. Sie finden alle Jubiläums-Beiträge hier.

Die schönste Krümmung der Schweiz

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Diese Woche vom Uetliberg zum Albishorn und entlang der Sihl nach Zürich.

Alles Mögliche kann eine Wanderung auslösen. In diesem Fall war es die Bemerkung meiner Schulkollegin Susan, dass auf dem Albishorn seit einiger Zeit neue Leute wirteten. Sie machten es sehr gut, hatte Susan gehört.

Mein Hunger war geweckt. Eines diesigen Tages fuhren wir im Züglein auf den Uetliberg – und jetzt eine Vorbemerkung für alle Nachwanderer: Natürlich hatte ich mich erkundigt, ob das Albishorn-Restaurant auch offen habe. Es hatte. Nach unserem Besuch kamen dann die Betriebsferien. Am Montag, 1. Dezember, öffnet das Restaurant wieder.

Gelobt sei der Felsenegg-Wirt

Bei der Bergstation zehn Minuten unterhalb des Uetlibergs ein Blick von der Terrasse über den erkalteten Wald und die aufsteigenden Nebelchen, dann starteten wir. Uto Kulm liessen wir links liegen, indem wir unterhalb des Gipfels rechts abbogen.

Die folgenden vier Stunden zum Albishorn: eine Beizenparade. Gelobt sei der Wirt der Felsenegg. Dort stiess Josephine zu uns, die mit der Seilbahn von Adliswil aufgefahren war. Sie erzählte, sie habe in der Felsenegg Kaffee trinken wollen, doch sei das Lokal morgens um neun noch geschlossen gewesen. Der Wirt habe sie aber gesehen und eingelassen, habe ihr einen Kaffee serviert und mit ihr gesprächlet. Bemerkenswert: ein Wirt, der ein gut frequentiertes Ausflugsrestaurant betreibt und doch den Einzelmenschen noch wahrnimmt. Auf der Felsenegg wirtet ein Unabgebrühter. Ein Nichtzyniker.

Der Gratweg zum Albishorn war Gehgenuss. Im ersten Teil wanderten wir auf einer breiten Kiespiste, Jogger und Kinderwageneltern kamen uns entgegen. Irgendwann nach dem Albispass wurde die Sache wilder: Geländer, steile Stufen, der eine oder andere Steg. Steil! Oben auf dem Bürglenstutz, dem höchsten Punkt des Albiskammes auf 915 Metern, keuchte ich arg.

Dann das Albishorn. Es liegt grandios mit Sicht auf die schönste Krümmung der Schweiz, den Zürichsee. Wir wurden im Säli am Fenster platziert und mochten das Flair der Wirtin für gehobene Brockenhausdinge wie ein blausamtenes Rösslein Hü. Die Karte war klein, aber mit Liebe gebaut. Ich hatte eine Rüebli-Ingwer-Suppe, Salat, Ghackets mit Hörnli, Vermicelleskuchen – alles fein.

Wir mussten weiter. Durch den Sihlwald ging es abwärts. Er ist ein sozusagen didaktischer Urwald, in dem die Natur schalten und walten darf, ausser sie blockiere den Wanderweg mit einem gestürzten Baum. In diesem Fall wird die Motorsäge angeworfen, auf dass der Mensch kein Problem beim Besichtigen stadtnaher Wildnis habe.

Tipp: Filetstück!

Unten an der Sihl nah der Station Sihlwald waren wir nicht willens, bereits mit Wandern aufzuhören. Den Fluss entlang zogen wir via Langnau und Adliswil Richtung Zürich. Ein imposantes Bild, eines der letzten: die Hochstrasse, die am Rand der grossen Stadt auf Stelzen in die Sihl gebaut ist. In Zürich-Selnau bei der Börse war Schluss. Doch, fanden wir: eine stolze Wanderung, mehr als acht Stunden Gehzeit.

Der Leser, die Leserin lasse sich nicht entmutigen. Aus der langen Route ist ein Filetstück präparierbar. Man startet erst auf der Albispass-Höhe, auf die einen der Bus von Thalwil oder Langnau trägt. Die Strecke zum Albishorn und hinab zur Bahnstation Sihlwald schafft man dann locker in zweieinhalb Stunden. Es gibt keinen Grund, nicht bald auf dem Albishorn einzukehren.
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Route: Uetliberg - Uto Staffel - Balderen - Felsenegg - Buchenegg - Albispasshöhe - Hochwacht - Schnabellücke - Bürglen - Albishorn - Langrain - Sihlwald Station - Sihlweg rechts des Flusses nach Langnau - Adliswil - Zürich-Manegg - Zürich-Selnau, Börse.

Wanderzeit: 8 1/2 Stunden.

Höhendifferenz: 475 Meter aufwärts, 880 abwärts.

Kurz (Filetstück): Erst auf der Albispasshöhe starten (Direktbus ab Thalwil oder Langnau). Dann wie in der Hauptvariante zum Albishorn und hinab nach Sihlwald Station. 2 1/2 Stunden, 240 Meter aufwärts, 550 abwärts. Von Sihlwald-Station direkte Zuglinie nach Zürich HB.

Wanderkarte: 225 Zürich, 1 : 50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Charakter: Angenehmer Albisgratweg mit kurzen ruppigen Stücken vor dem Albishorn. Auch der Abstieg vom Albishorn durch den Sihlwald zur Station Sihlwald ist teilweise steil.

Winter: Sobald die Wege überfroren sind, erreicht man das Albishorn leicht und gefahrlos ab Hausen am Albis.

Höhepunkte: Die Bergfahrt zum Uetliberg, immer wieder. Der Blick ins Reppischtal. Die gezähmte Wildheit des Albiskamms. Die Einkehr im Albishorn. Der stille Sihlwald, ein stadtnaher Urwald. Der Sihlweg nach Zürich.

Kinder: Sie gehören beaufsichtigt, an einigen Stellen verläuft der Weg gut gesichert an einer Kante.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Viele Möglichkeiten. Das Albishorn ist derzeit ferienhalber noch zu. Es öffnet wieder am 1. Dezember. Do geschlossen. Einfache, gute Küche.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Seelchen Nummer neun

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Diese Woche von Steckborn via Ermatingen nach Konstanz (TG/D)

Abwechslung ist alles. Am Bahnhof von Steckborn beschliessen wir, nicht die ganzen fünf Stunden bis Konstanz am Wasser zu laufen. Teil eins bis Ermatingen soll eine Wald-Wiesen-Passage werden, Teil zwei hingegen direkt am Untersee verlaufen. Und am Seerhein; so heisst der gut vier Kilometer lange Fluss, der den Obersee mit dem Untersee des Bodensees verbindet. Auf Satellitenaufnahmen sieht er aus wie eine Nabelschnur.

Acht Leute sind diesmal dabei, mit mir. Hund Emil ist Seelchen Nummer neun. Kühl und diesig ist der Tag, wir queren die Schienen, gehen ein wenig aufwärts und kommen ins Grüne. Die nächsten Kilometer sind unspektakulär schön. Ruhiges Bauerland. Beim Punkt Burst gibt es eine Schutzhütte, man könnte brätlen.

Ganzkörpernahrung

Wir haben einen besseren Plan und wissen uns darin einig mit Prinz Louis Napoleon und Graf Zeppelin, Alexandre Dumas und Thomas Mann. Wir biegen ab, halten hinunter zum See. Auf einem Bach-Schwemmdelta steht das Dorf Ermatingen, eine Ballung sonderlich schöner Fachwerkbauten; unvergessen FDP-Nationalrat Ernst Mühlemann, der hier lebte. Wir halten zum Adler, einem Beeindruckungsklotz von Riegelbau aus dem 16. Jahrhundert. In ihm stiegen schon allerlei Persönlichkeiten ab.

Wir haben reserviert, werden freundlich begrüsst, Emil verkriecht sich unter den Tisch. Als wir eine Etage höher unsere Gerichte serviert bekommen, muderet er leise. Ich habe Kretzer aus dem See, die mit Kopf und Schwanz frittiert und integral gegessen werden, Ganzkörpernahrung. Knusprig sind sie, der Wein mundet. Die Gegend ist altes Kulturland, sie weiss zu leben, und natürlich gehören in diesem Zusammenhang Schlösser wie Arenenberg, Eugensberg und Hubberg erwähnt. Und die prachtvolle Insel Reichenau nah Ermatingen mit ihrer alten Klosterkirche.

Satt ziehen wir weiter, bloss Emil-auf-Diät schaut mürrisch. Winterdichte Boote, gegen die Mole schwappendes graues Wasser, später ein Riedgürtel prägen den Weg. Bei Triboltingen kommen wir an der Bahnstation vorbei und lesen an einem alten Bunker, dass er Teil des Festungsgürtels Kreuzlingen ist, der Abwehrstellung des Zweiten Weltkriegs. Dann Gottlieben. Der allerliebste Winkel, ein Minidörflein, verdankt sich einem der Standardkonflikte des Mittelalters: Kirche gegen aufstrebendes Bürgertum. 1251 baut in diesem Niemandsland der Konstanzer Bischof ein Wasserschloss. Er will den Warenverkehr von den reichen Konstanzer Städtern weglenken.

Fatale Kirchenlüge

Das Wasserschloss wird einem ganz unromantisch, wenn man die Infotafel liest; man vergisst die Hüppen, also cremegefüllten Waffelröllchen, die in Gottlieben gebacken und verkauft werden. Im Schloss sass während des Konzils von Konstanz 1414 bis 1418 der böhmische Reformdenker und Theologe Jan Hus ein. Man hatte ihm freies Geleit versprochen und ihn so gelockt. Eine Lüge; er starb im Juli 1415 auf dem Scheiterhaufen.

Jetzt sind wir am Seerhein. Enten, Velofahrer und, je näher Konstanz rückt, Jogger; die Freizeitrenner sind das untrügliche Zeichen, dass man nicht mehr so richtig draussen auf dem Land ist. Die geistige Verstädterung setzt ein. Die Konstanzer Altstadt scheint dann ganz in den Händen der Schweizer Shopper. In der «Bürgerstube» trinken wir bahnhofsnah ein Bier. Hund Emil schläft unter dem Stuhl seines Herrn, Hürzi. Seine Kieferbewegungen, dieses angedeutete Schnappen, Kauen, Mahlen, deuten an, dass er von einem Fleischbuffet träumt.
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Route: Steckborn, Bahnhof - Langenägeten - Dieppishalden - Burst - Adelmoos - Hueb - Ebenöödi - Ermatingen, Adler - Ermatingen, See - Triboltingen, See - Gottlieben - Wasserschloss - Ziegelhof - Zollhaus - Grenze - Konstanz, Altstadt - Konstanz, Bahnhof.

Wanderzeit: 5 Stunden (beliebig kürzbar).

Höhendifferenz: Je circa 210 Meter auf und ab.

Wanderkarte: Kümmerly + Frey 1:60'000 Bodensee.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Charakter: Im ersten Teil Wald und Wiese und etwas Abstand zum See. Im zweiten Teil ab Ermatingen die meiste Zeit in Sichtweite des Sees. Am Schluss Shoppinggelegenheit in Konstanz.

Höhepunkte: Die Riegelbauten von Ermatingen. Der Fisch im Adler daselbst. Das reizende Häuserensemble am See in Gottlieben. Das Wasserschloss, in dem Jan Hus einsass. Die Altstadt von Konstanz.

Kinder: Keine Probleme.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Diverse Möglichkeiten in den Dörfern und am Schluss. Adler in Ermatingen: Mo, Di geschlossen. Sehr gute Küche, speziell die Fischgerichte.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Den See entlang nach Morsee

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Diese Woche von Lausanne-Ouchy via Saint-Sulpice nach Morges (VD)

Von Lausanne nach Morges wandern – ein guter Winterplan. Ich fuhr nach Lausanne, nahm im Bahnhof die Vertikalmetro hinab nach Ouchy. Unten merkte ich wieder einmal, dass Lausanne herrlich ist: die von Inlineskatern durchsausten Parkflächen, die Hotelbauten des 19. Jahrhunderts, das Quaken und Kreischen der Vögel, die Alpen Savoyens gegenüber.

Ouchy, übrigens, ist die Keimzelle Lausannes. Die Römer nutzten den Ort als Hafen und verluden Handelsware.

Ich zog los, genoss die Weite des grauen Sees, am Himmel kämpfte die Sonne um ihren Auftritt und konnte sich nicht wirklich durchsetzen. In Vidy musste ich grinsen. Wie kompliziert Französisch manchmal ist, wenn der Genitiv ins Spiel kommt. Ein Schild kündete von einer Einrichtung namens Centre de Formation du Cercle de la Voile de Vidy.

Der Vogelkongress

In der Mündung der Chamberonne hockten Dutzende von Enten und Schwänen auf engem Raum, eine Art Kongress. Bei Saint-Sulpice verlief der Weg längere Zeit nicht am See, sondern hinter der ersten Häuserreihe. Glücklich machte mich die Prioratskirche mit ihrem kantigen Burgunderturm aus dem 12. Jahrhundert; uralt auch das romanische Querschiff.

Ich trat ein, sass längere Zeit da, wäre vielleicht eingeschlafen, wenn es nicht so klamm gewesen wäre. Frösteln weckt.

Wieder Ufer, wieder Vögel, wieder das Schwappgeräusch des Wassers gegen die Ufersteine. Und ein zweiter Fluss, der im See endete. Diesmal war es die Venoge. Ich erinnerte mich, wie ich einmal oben in L'Isle eine Quelle des Waadtländer Nationalflusses besucht hatte und berührt gewesen war vom Urschauspiel, wie Wasser schwallweise aus dem Boden dringt; das war magisch und erotisch zugleich.

Das Gedicht «La Venoge» von Gilles fiel mir auch ein. Und siehe da: ein paar Schritte weiter stand ein abgewitterter Gedenkstein. Jean «Gilles» Villard war Dichter, Chansonnier, Schauspieler. Die Waadtländer lieben ihn bis heute. Man gehe auf Youtube und suche dort mit «Venoge». Gleich zuoberst findet sich ein Mann im Anzug und beginnt, wenn wir einmal klicken, sein Gedicht zu rezitieren. Herrlich, dieses saftige, melodiöse, von Esprit und Süffisanz triefende Französisch und besonders die Stelle, in der Gilles (1895 bis 1982) kurz mal einen Genfer parodiert.

Egli – mit Pommes-Frites!

Ich hatte nun Hunger. Eigentlich war ich darauf eingerichtet, erst in Morges zu essen. Doch in Préverenges entdeckte ich das Hotel la Plage. Es war offen. Ich trat ein, wurde freundlich platziert, hatte bald meinen Teller vor mir: Egli an einer aparten braunen Buttersauce mit Pommes-Frites. Jawohl, Pommes-Frites! Als Eglibegleiter finde ich sie langweiligen Butterkartoffeln aus dem Wasser bei weitem überlegen.

Der Rest der Wanderung war besonders schön. Man geht während der drei Stunden von Losanen nach Morsee – so die verblassten deutschen Namen von Lausanne und Morges – immer wieder auf Asphalt. Am Schluss aber kam ein durchwegs natürlicher Abschnitt: Kies, Sand, Parkwiesen. Dann war ich in Morges, wo ich noch nie war. Hier hatten die alten Berner, als sie die Waadt regierten, ihre Genfersee-Kriegsflotte stationiert als Abschreckung gegen die Savoyer. Davon war nichts mehr zu sehen. Stattdessen: sanft schaukelnde, winterfest gemachte Freizeitboote. In friedlicher Stimmung fuhr ich heim.

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Route: Lausanne-Ouchy/Seepromenade (Standseilbähnchen von Lausanne SBB) - Vidy - Saint-Sulpice - Préverenges - Morges/Seepromenade - Morges SBB.

Wanderzeit: 3 1/4 Stunden.

Höhendifferenz: praktisch nur geradeaus.

Wanderkarte: 261 T Lausanne, 1: 50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Von Morges mit dem Zug direkt nach Lausanne.

Charakter: Meist wandert man am Seeufer. Abschnitte auf Asphalt, dazwischen Kies und Gras. Parkähnliche Passagen und Weitblick über den See nach Savoyen. Vögel, Jogger, Bänklisitzer, Kinderwagenschieber.

Höhepunkte: Der erste Anblick des Sees in Ouchy. Die Kirche von Saint-Sulpice. Der Egli in Préverenges.

Kinder: Perfekt. Natürlich sollten sie nicht ins Wasser fallen.

Hund: Perfekt, inklusive Bad.

Einkehr: Mehrere Gelegenheiten. Hotel La Plage in Préverenges: Sonntag und Montag geschlossen; auch zwischen den Esszeiten (15 Uhr und 18 Uhr) bleibt das Lokal zu.

Gedicht: «La Venoge» von Gilles auf Youtube.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Die Maulesel und das Piano

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Diese Woche im Val d'Anniviers VS – von Tignousa zum Hotel Weisshorn

Es gibt winters in den Bergen nichts Besseres als ein Hotel abseits des Skirummels, das nur zu Fuss erreichbar ist. Einsam hockt das Hotel Weisshorn, ein beige-gelber Kasten der Belle Époque, hoch über dem Val d'Anniviers. Letztes Jahr winterwanderte ich hin, schlief dort, war begeistert. Dann kam gleich der Frühling. Dieses Wochenende nun öffnet das Weisshorn wieder für den Winter – ich kann den Besuch nur empfehlen.

Mit dem Postauto fuhr ich von Siders ins Val d'Anniviers hinein und hinauf, und ich dachte, dass das nichts für Schwindelanfällige ist. Diese Kehren, dieser Abgrund!

Gefahrlos und gewalzt

St-Luc durchquerte ich speditiv. Ein typischer Walliser Wintertourismusort, ein gestaltarmer Mix von Chalets und Hotelbauten. Mit der Standseilbahn schoss ich alsbald zur Skistation Tignousa hinauf, 500 Höhenmeter in drei Minuten, was für eine Rakete! Beim Blick durchs Fenster realisierte ich: Das Klötzlein oben auf der gerundeten Krete – das war mein Hotel!

Von Tignousa ging ich vorbei an der Bergstation, vorbei am Restaurant mit der Sonnenterrasse, gleich darauf rechts vorbei am kleinen Skilift. Eine komfortable Spur nahm mich auf; der Weg zum Hotel Weisshorn wird regelmässig gewalzt, er ist breit und führt gefahrlos durch eine Bergwelt der Sonderklasse. Wenn man am Abend ins Bett geht, hat man Viertausender noch und noch gesehen.

Leicht irritiert war ich zu Beginn, weil meine Piste stetig ein wenig sank. Dann stieg sie wieder, ich atmete auf, eine Frau mit Hund bestätigte mir, dass ich auf dem richtigen Weg war; der Gipfel direkt vor unseren Augen heisse übrigens Le Toûno. Die metallenen Kugeln direkt an der Piste wiederum gehörten zu einem Planetenweg.

Ich passierte das Chalet Blanc, registrierte mit Wohlgefallen, wie mein erhabenes Ziel näher kam, vollzog bei Le Chiesso eine scharfe Rechtskurve. Nun ging es kurz etwas stärker aufwärts. Eine Krete, dann leicht abwärts, und ich hatte das Hotel Weisshorn vor mir. In den Schnee gepflanzte Ski vor dem Haus zeigten an, dass auch Tourenfahrer das Etablissement mögen. Schneeschuhspuren sah ich auch.

Der Traum kam nicht

Ich trat ein, nahm im Speisesaal Platz, wo einiges Volk hockte, bestellte Kaffee und Kuchen. Herrlich der Tiefblick durch die Fenster nach St-Luc und weiter hinab ins Rhonetal, wo Grün dominierte. Gut zu wissen, dass ich hier ein Zimmer hatte; gegen halb vier Uhr brach Tischgesellschaft um Tischgesellschaft auf, retour nach Tignousa. Es wurde still im Haus.

Nach dem Abendessen – ein guter Viergänger – stieg ich zwei Stöcke höher, ging durch einen Flur mit verzogenen Böden, deren Schiefheit seekrank machen kann, und schlief bald wunderbar in meinem Zimmer mit dem Knarzeboden aus Holz. Traumlos. Dabei hatte ich mir vorgenommen, vom Hotel zu träumen. Szenen aus seinen ersten Jahren um 1885 hatte ich mir erwünscht. Damals führten Männer aus dem Tal auf Mauleseln jene Bequemgegenstände hinauf, auf die feine Engländer Wert legten: Duschen und Waschtröge aus Kupfer. Tafelsilber für den Essraum. Und ein Piano.

PS: Die nächsten zwei Wanderkolumnen fallen wegen der Festtage aus. «Zu Fuss» gibt es wieder am 9. Januar.

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Route: Start in Tignousa, Bergstation der Standseilbahn von St-Luc. Der Weg zweigt gleich ab und ist perfekt gewalzt. Man lasse sich nicht dadurch irritieren, dass es die erste Viertelstunde kontinuierlich leicht abwärts geht, obwohl man insgesamt steigen muss. Via Chalet Blanc und Le Chiesso zum Hotel Weisshorn. Auf demselben Weg retour.

Wanderzeit: Wer gemütlich geht, braucht hin und zurück 4 Stunden.

Höhendifferenz: 260 Meter aufwärts, 100 abwärts auf dem Hinweg. Retour umgekehrt.

Variante: Auf dem Rückweg beim Planeten Saturn (des Planetenweges) nach Chalet Blanc links abbiegen und steil hinab nach St-Luc halten. Aber nur, wenn der Weg für Fussgänger gespurt ist

Anreise: Postauto von Siders nach Vissoie, umsteigen auf den Anschlussbus nach St-Luc.

Wanderkarte: 273 T Montana, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Charakter: Grossartige Bergwelt rundum. Gehen auf wunderbar gespurtem Winterwanderweg, halbhohe Trekkingschuhe reichen vollauf. Tipp: Unter der Woche gehen, am Wochenende sind viele Leute unterwegs.

Höhepunkte: Die schnelle Bergfahrt im Tignousa-Bähnchen. Der Anblick des winzigen Hotels Weisshorn auf seinem runden Berg. Die Ankunft im Weisshorn mit dem Talblick auf St-Luc.

Kinder: Perfekte Route für die ganze Familie.

Hund: Er wird seinen Menschen für diesen Ausflug ewig lieben.

Einkehr: In St-Luc und Tignousa. Und natürlich im Hotel Weisshorn. Es öffnet am 20. Dezember und beschliesst die Wintersaison Mitte April 2015. Vom Speisesaal hat man einen wunderbaren Ausblick Richtung Rhonetal und die Berge gegenüber. Spezialität: Heidelbeerkuchen. Durchgehend warme Küche.

Übernachten: Für Hotelgäste gibt es im Weisshorn abends ein Viergangmenü, auch das Frühstücksbuffet lässt sich sehen. Man kann sich sein Zimmer auch online reservieren. Die Zimmer sind alt, aber gemütlich, sich waschen und duschen kann man im Etagenbad; dort sind auch die WC.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Chouchignies – klingt das nicht unheimlich zärtlich?

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Diese Woche von Kerzers (FR) via Aarberg nach Biel (BE)

Als wir in Kerzers aussteigen, ist das Perron nass genieselt. Dunst hängt in der Luft, der Horizont ist bleigrau. Das ist okay so, denn die Prognose hat glaubwürdig Sonne angekündigt. Wanderungen, die sich wettermässig zum Guten wandeln, sind die allerbesten. Mit dem Himmel erhellt sich das Gemüt.

Bei der Konditorei Butterfly spielt mir das Gedächtnis wenig später den passenden Schlager ein: «Butterfly», ein verspieltromantisches Lied, das 1971 ein Riesenhit war. Ich sehe Danyel Gérard vor mir: gebräuntes Gesicht, Schnauz, weisser Hut, Gitarre. Des Menschen Erinnerung ist Kino.

Dünn und degradiert

Schnell sind wir aus dem Ort, laufen am Rand des Grossen Mooses, der wichtigsten Gemüsefläche im Land. Der Mont Vully zeichnet sich als imposante Erhebung in unserem Rücken ab. Insgesamt ist dies eine ruhige Gegend, Äcker, ab und zu ein Waldstück, hin und wieder ein Dorf. Kallnach zum Beispiel. Es gilt – gleich noch ein Superlativ – als längstes Strassendorf der Schweiz.

Hübsch Kallnachs welscher Name Chouchignies. Klingt das nicht unheimlich zärtlich? Wie der Titel eines französischen Kuschelromans.

Bargen empfängt uns mit seltsamen Wiesenhöckern. Es handelt sich um die Reste der einstigen Bargenschanze, die aus drei Teilen besteht und 1831/32 entstand. Die Befestigung sollte den strategisch wichtigen Aare-Übergang bei Aarberg sichern, wo drei wichtige Strassen zusammenkommen, die von Bern, die von Neuenburg und die von Murten.

Wir erreichen den Hagneck-Kanal, in dem die Aare in gefasster Form Richtung Bielersee geführt wird; Zwangseskorte für eine Aufmüpfige, die früher viel Schaden anrichtete. Die alte Aare, die wir anschliessend sehen, also der ursprüngliche, Büren zuströmende Flusslauf, ist ein dünnes, degradiertes Ding.

Über eine Holzbrücke betreten wir Aarberg. Schon wieder Geschichte. Dies ist ein imposantes Mittelalterstädtchen, das freilich unter dem Verkehr leidet; fast überfährt mich ein Einparkierer. Die Krone, in der wir essen wollen: was für ein breites, weites Haus! Es würde einen nicht wundern, wenn irgendwo im Dach noch eine Magd des 18. Jahrhunderts haust, die man vergessen hat. Das Gasthaus entstand aus einer Taverne und Herberge der Mönche vom Frienisberg einerseits, dem einstigen Kornhaus anderseits, in dem die Obrigkeit Nahrung lagerte. An der Fassade eine Jahreszahl: 1233.

Die Seele hätscheln

Das Essen schmeckt, wir lassen es uns gut gehen, mit Wein und allem; man muss im Winter die fröstelnde Seele hätscheln. Warm und satt wandern wir weiter. Es geht hinein in die weite Ebene, hinten haben wir den Chasseral, wesentlich näher erhebt sich jener bescheidene, bewaldete Höhenzug, den wir meistern müssen, um den Bielersee zu erreichen.

Bei Kappelen gehen wir kurz auf der Römerstrasse, die von Avenches nach Studen und Solothurn führte. Hernach Bühl, Hermrigen, der erwähnte Höhenzug. Dann Ipsach. Wir haben jetzt den Bielersee vor uns. Und die Sonne, die sich am Vormittag, wie im Radio prophezeit, zugeschaltet hat, verabschiedet sich. Der Nidau-Büren-Kanal wäre mit seinen sanft schaukelnden Booten jederzeit ein Puzzlemotiv. Beim Strandbad Nidau kreisen die Entlein und hätten gern Brot, das wir nicht haben. Am Bahnhof Biel ist ausgewandert. Doch, das war ein toller Tag, er hat uns euphorisiert. Die Freude hält an, als wir durch die frühe Nacht heimfahren.
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Route: Bahnhof Kerzers - Sonnenberg - Kallnachwald - Kallnach - Bargenholz - Bargenschanze - Bargen - Aarberg - Kappelen - Römerstrasse - Hermrigen - Riedacher - Eymatt - Im Schlatt - Rebenrain - Ipsach - Nidau-Büren-Kanal - Strandbad Nidau - Biel SBB.

Wanderzeit: 6 ½ Stunden.

Höhendifferenz: 280 Meter auf-, 290 abwärts.

Wanderkarte: 242T Avenches, 232T Vallon de St-Imier, 233T Solothurn, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Kürzer: Von Kerzers nach Aarberg (3 Stunden). Oder von Aarberg nach Biel (3 ½ Stunden).

Charakter: Wenig Höhendifferenz, viel Weite. Fluss, Kanal, See als Abwechslung. Technisch simpel, daher gut geeignet für den Winter.

Höhepunkte: Die uralte Kirche von Bargen. Die Weite des Grossen Mooses. Das historische Aarberg. Der Nidau-Büren-Kanal.

Kinder: Etwas weit.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Mehrere Möglichkeiten, vor allem in Aarberg

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Als der Bomber in den Schlossturm prallte

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Diese Woche von Andelfingen durchs Weinland nach Schaffhausen (ZH/SH)
Kein Schnee, grüne Wiesen, Sonne: schön. Bloss der Wind spielt nicht mit und wird uns auf dem Weg von Andelfingen nach Schaffhausen zusetzen; was für eine brutale Bise. Wanderfreund Roland ist zu wenig warm angezogen. Bundweise stopft er sich seine Zeitung unter den Pullover und schützt sich so. Das nütze sehr gut, teilt er uns mit.

Unten vor Andelfingens gedeckter Holzbrücke ist eine Kanonenkugel ausgestellt. Sie stammt vom Mai 1799, als auf der einen Seite der Thur die Russen und Österreicher standen und auf der anderen Seite die Truppen Napoleons. Die Kugel ist sieben Kilo schwer und hat einen Durchmesser von 14 Zentimetern. Ich bin enttäuscht. Der Baron Münchhausen im Film, gespielt von Hans Albers, reitet auf einer Kanonenkugel von mindestens Medizinballgrösse.

Die deutsche Geheimtagung

Wir queren die Brücke, biegen rechts ab zur Thur und sind bald im Grünen. Die Thur ist bis Hausen praktisch unverbaut. Dort schwenken wir nach gut 50 Minuten Gehzeit links in den Hang, meistern ein Bachtobel, kommen auf eine Anhöhe. Schloss Wyden rechter Hand, Privatbesitz, ist von Bäumen verdeckt und fast nicht zu sehen.

Drei Dinge sind zu dem Schloss zu sagen. Erstens tagten hier 1880 geheim deutsche Sozialdemokraten, darunter die Grossfiguren Bebel und Liebknecht; in Deutschland durften sie nicht. Zweitens gehört das Schloss den Nachfahren von Max Huber, einst Präsident des IKRK. Und drittens torkelte am 19. Juli 1944 ein US-Bomber daher. Er kam von München, die Crew hatte sich per Fallschirm gerettet, im Schlosshof spielten Kinder. Ein Wunder, dass niemand starb, als der Bomber in den Schlossturm prallte. Das Schloss brannte ab, musste praktisch von Grund auf neu gebaut wurden. Die Amerikaner zahlten.

Das Gelände, das wir im Folgenden durchwandern, ist Erholung für Auge und Gemüt. Ab und zu ein Hof, dazwischen Wiesen, Äcker, Riedgras und Sumpf, weite Wälder. Immer wieder sehen wir den Höhenzug des Irchel im Süden. Ganz nah haben wir den Husemersee, ein Gewässer mit Nebenseen; er gehört zur Andelfinger Seenplatte, die entstand, als die Gletscher abzogen und Wannen hinterliessen, die sich mit Wasser füllten.

In Trüllikon gehen wir in den Hirschen, wo Josephine zu uns stossen will. Der Wirt offeriert uns ein Glas Federweissen aus dem eigenen Rebberg und erzählt, dass er in vierter Generation im Hirschen wirtet. Ich und Josephine nehmen gern ein Glas, die anderen wärmen sich an Kaffee und Tee. Neugierdehalber konsultieren wir die Speisekarte und sind angetan. Diese Auswahl von Chlöpfmostsuppe und Steinpilz-Pappardelle bis Saiblings-Saltimbocca und Brasato al Barolo – wir würden jetzt wahnsinnig gern hier essen. Bloss haben wir anderweitig reserviert.

Guggere von gucken

Eine Stunde später sind wir in der Guggere, einer Ausflugswirtschaft oberhalb von Benken; der Name wird «Guggeere» mit langem E ausgesprochen und kommt von «gucken» – man sieht den Alpenkranz. Freilich schlottern wir zu sehr fürs genüssliche Schauen; wir betreten die Wirtsstube aus uraltem Holz. Die Karte ist einfach gebaut, aber okay, wie später auch das Essen. Über dem Kaffee sind wir uns einig, dass wir nicht mehr allzu weit laufen wollen – der Wind!

Also Schaffhausen. Gut eindreiviertel Stunden dauert das nur noch und führt über den Cholfirst, Zürichs letzten Höhenzug, gegen Norden zu. Bald sind wir am Rhein, sehen den Munot vor uns und erreichen gleich den Bahnhof. Ha! Wieder in der Wärme, gut so! Dass die Route besonders schön war, darin sind wir uns einig. Und Trüllikons Hirschen wird bald heimgesucht.

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Route: Andelfingen Bahnhof - Holzbrücke über die Thur - Wanderweg am Nordufer - Werdhof - Grosse Au - Hausen - Ufwil - Husemersee - Krähenbuck - Trüllikon - Mündlimoos - Grüt - Höhi - Wildensbuch - Guggere - Solboden - Grüt - Feuerthalen - Rheinbrücke - Schaffhauser Altstadt - Schaffhausen Bahnhof.

Wanderzeit: 5½ Stunden.

Höhendifferenz: 365 Meter auf-, 360 abwärts.

Wanderkarte: Am praktischsten ist die Karte Schaffhausen, Winterthur von Kümmerly + Frey, 1 : 60'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Kürzer: Erst in Trüllikon (Bushaltestelle Dorf) einsteigen. Dann braucht man nach Schaffhausen bloss drei Stunden.

Charakter: Eine Wanderung für alle Jahreszeiten; bei Eis und Schnee helfen Schuhkrallen und Stöcke. Abseits der Dörfer viel Natur, wenige Bauernhöfe. Aussichtsreich zum Beispiel vom Restaurant Guggere.

Höhepunkte: Die unbebaute Thur der ersten Wanderstunde. Die Einsamkeit des Husemersees im Winter. Das Winzerdorf Trüllikon. Der Weitblick auf den Alpenkranz bei gutem Wetter von der Guggere. Der stille Wald des Cholfirstes.

Kinder: Keine Probleme.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Hirschen in Trüllikon. Gildekoch, eigener Rebberg. Sonntagabend und Mo geschlossen. - Guggere über Benken am Wanderweg. Ausflugsrestaurant, Spezialität Fondue. Mo und Di Ruhetag. Man kann online reservieren.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Im Swarovski-Schnee

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Diese Woche auf offiziellen Winterwanderwegen über die Marbachegg (LU/BE)

Bevor ich die Überschreitung der Marbachegg als eine der schönsten Winterwanderungen im Land preise, muss ich nüchtern etwas anmahnen: Man nehme die Wanderkarte 1:50'000 Escholzmatt mit. Marbachs Touristiker gehen irgendwie davon aus, dass man die Gegend und ihre Wege kennt. Zum Beispiel fanden wir in Marbach keinen Winterwander-Startwegweiser. Die Karte hilft.

So, geschafft, der Rest der Kolumne darf jubilieren. Am Neujahrstag fuhren wir von Escholzmatt nach Marbach Post. Wir stiegen aus, hielten auf die Kirche zu, bogen vor ihr links ab Richtung Lourdesgrotte und Nesslenboden – und jetzt die einfache Regel: Bis vor dem Gipfel auf dem Strässchen bleiben! Und auf Schlittler achten!

Psychodrama im Entlebuch

Wandern ist Psychodrama, immer wieder. Wir mussten uns die Sonne erobern, die den Gegenhang hinter uns bereits vergoldete. Die erste Stunde gingen wir im Schatten, es war um die zehn Grad minus, wir schlotterten. Herrlich, wie uns endlich, nachdem wir der Enge des Steiglenbach-Einschnittes entronnen waren, die ersten Strahlen wärmten.

Und dann eine gleissende Winterlandschaft, die Dächer der Hütten und Ställe wattiert mit Schnee, die Eiszapfen glitzernd und tropfend, das ganze Hochland ein einziges Funkeln. Und ganz nah ein Bergmassiv, das um ein Vielfaches mehr beeindruckt als die Eiger-Mönch-Jungfrau-Trilogie. Die Schrattenfluh ist ein Massiv wie aus einem Western. Urzeitlich, runsendurchfurcht, Arizona im Entlebuch.

Ungefähr bei Wittenfären hatten wir die Marbachegg direkt vor uns. Doch wie hoch sie noch über uns hockte! Gleich darauf sahen wir zur Linken den Abzweiger hinab nach Bumbach, den wir im Abstieg nehmen würden. Wir hielten weiter auf unsere Egg zu, passierten ein Speicherseelein und bogen endlich rechts ein in den steilen Skihang; am Rand der Piste machten wir die letzten gut 60 Höhenmeter der ersten Etappe.

Oben etwas Rummel, man kann ja auch mit der Gondel auf die Marbachegg. Wir tranken etwas im Berggasthaus Eigerblick, das besser Schrattenfluhblick hiesse. Hernach liefen wir auf der Krete vorwärts zum Stein auf der Grenze von Luzern und Bern, fast schwerelos wandelten wir im Licht. Und als wir auf demselben Weg zurückkamen, eroberten wir uns den Aussichtspunkt gleich oberhalb der Bergstation der Gondel. Ein Deltasegler stürzte sich gerade ins Leere. Der Weissenstein und der Chasseral fesselten uns.

Der Mond ist aufgegangen

So weit Wanderetappe zwei, unser Glück angesichts der Sonne, der Gipfel und Fluhen rundum, den Swarovski-Schnees denke sich der Leser bitte hinzu. Etappe drei wurde nicht minder schön. Wir stiegen von der Bergstation wieder ab zu besagtem Abzweiger nach Bumbach. Die Regel auch für den folgenden Abschnitt: Bis ganz hinab auf dem Strässchen gehen, das als offizieller Winterwanderweg gepfadet wird.

In Bumbach endeten wir im Schatten. Gross war der Hunger. Gerade wollten wir die Alpenrose betreten, als ein Postauto direkt vor uns anhielt. Wir stiegen ein, einfach so, und fuhren vier Kilometer ins Tal der jungen Emme hinein. Hinten, wussten wir, gab es das Hotel Kemmeriboden-Bad. Mit Schweinsbratwurst, Rotwein, Meringue schloss dort die Wanderung. Als wir am späten Nachmittag heimfuhren, war über der Schrattenfluh bereits der Mond aufgegangen.

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Vorbemerkung: Es handelt sich um offizielle Winterwanderwege, die unterhalten werden. Zum Grossteil geht man auf verschneiten Strässchen, selten kommt ein Auto, mit Schlittlern ist zu rechnen. Über vereiste Stellen helfen Schuhkrallen. Für das steile Stück vor der Marbachegg am Rand der Skipiste helfen Stöcke.

Etappe 1: Marbach Post (Bus) – vor der Kirche links Richtung Lourdesgrotte und Nesslenboden (auf diesem Strässchen bleiben bis praktisch zur Marbachegg) – Nesslenboden – Wittenfären – Abzweiger Bumbach – Ober Lochsitli – letzte 100 Meter vor der Marbachegg auf dem gewalzten Rand der Skipiste – Marbachegg Bergstation/ Restaurant Eigerblick.

Etappe 2: Bergstation Marbachegg – Stein auf der Kantonsgrenze – retour. Nicht verpassen sollte man den Zwei-Minuten-Abstecher gleich bei der Bergstation 20 Meter hinauf zum Aussichtspunkt (Plattform für Hängegleiter, Tiefblick nach Marbach und Blick zum Napf, Weissenstein und Chasseral).

Etappe 3: Bergstation Marbachegg – retour bis zum Abzweiger nach Bumbach (gemäss Sommerwanderweg, auf dem Strässchen) – Unter Lochsitli – Wäldli. Am Schluss, Bumbach vor Augen, bleibt man gemäss Sommervariante auf dem Strässchen und kommt zum Skilift Bumbach (Bus). Oder man biegt bei guten Verhältnissen links ab (Wegweiser Schneeschuhwanderweg, auf der Wanderkarte schwarze Linie) und kommt via zwei Bauernhöfe auf meist gepfadetem Strässchen zur Alpenrose Bumbach (Bus, Restaurant). Beide Endpunkte sind ohnehin nicht weit voneinander entfernt.

Wanderzeit: Etappe 1: 2 Stunden. Etappe 2: ¾ Stunden.  Etappe 3: 1 ¼ Stunden. Total 4 Stunden.

Höhendifferenz: Etappe 1: 620 Meter aufwärts. Etappe 2: unbedeutend. Etappe 3: 570 Meter abwärts.

Wanderkarte: 244 T Escholzmatt, 1 : 50'000. Es lohnt sich, sie mitzunehmen, die Winterwanderroute ist gar nicht oder schlecht beschriftet; pinke Abzweiger (Schneeschuhrouten) verwirren, etwa beim Nesslenboden, wo man auf dem Strässchen bleiben soll. Eine – nicht besonders präzise Karte – gibt es im herunterladbaren Prospekt von Marbach Tourismus. Die Etappe 1 ist dort beschriftet mit N, die Etappe 2 mit O, die Etappe 3 mit M.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Buslinie Kemmeriboden (beim Hotel Kemmeriboden-Bad) – Bumbach – Schangnau – Marbach – Escholzmatt Bahnhof.

Kürzer: Jede der drei Etappen ist einzeln wanderbar. Auf die Marbachegg kommt man mit der Gondel ab Marbach.

Charakter: Eine der schönsten Winterwanderungen der Schweiz mit grossartiger Aussicht, die ihresgleichen sucht. Offizielle Winterwanderrouten auf unterhaltenen Strässchen. Mittlere Anstrengung. Keine besonderen Gefahren, einzig vor vereisten Stellen muss man sich in Acht nehmen. Und vor Schlittlern.

Höhepunkte: Der Austritt aus der Giftkälte in die Sonne irgendwann nach dem Nesslenboden. Der Blick vom Aussichtspunkt nah der Bergstation der Marbachegg zum Weissenstein und Chasseral. Schrattenfluh und Hohgant als dominierende Berge auf dem Weg von der Bergstation zum Grenzstein und retour. Der Abstieg mit der Sonne im Gesicht nach Bumbach.

Kinder: Gut machbar.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Restaurant Eigerblick auf der Marbachegg, ganze Wintersaison täglich geöffnet. Alpenrose Bumbach, Di Ruhetag. Das Hotel Kemmeriboden-Bad, Mo Ruhetag, liegt nicht an der oben beschriebenen Drei-Etappen-Route. Hin kommt man per Bus von Bumbach. Oder zu Fuss auf dem Winterwanderweg vom Skilift Bumbach der Emme entlang (Langlaufloipe) in 1 ¼ zusätzlichen Stunden. Sehr gute Küche, berühmte Meringues.

Das Gebiet um die Marbachegg, vom Gleitschirm aus gesehen (Quelle: Youtube)

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

In der Schatzkammer Surselva

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Diese Woche von Falera nach Ladir und Ruschein GR

Bei dieser Winterwanderung stimmte letzte Woche alles. Schon die Anreise – der Zug nach Chur war fast leer. Was für ein Komfort, in Ruhe den Walensee betrachten und Kaffee schlürfen zu dürfen.

Schön auch die Busfahrt von Chur nach Flims, Laax, Falera. Das Unterland schien im Nebel gefangen. Im Bündner Oberland behauptete sich die Sonne den ganzen Tag gegen den Ansturm massiver Wolken.

Der Fund des Försters

Erfreulich schliesslich die Ankunft in Falera. Der Bus hielt, ich stieg aus und stand vor dem Informationsbüro. Und es war offen. Die Frau am Schalter sagte mir, wie ich den Winterwanderweg nach Ladir finden würde. Auch konnte ich eine Broschüre mit Informationen zum Parc La Mutta kaufen.

Mutta heisst Hügel. Beim Ortseingang hatten wir ihn passiert samt der alten Kirche. Ich unternahm nun eine Kurzexkursion. St. Remigius stammt aus der Spätgotik, sein Turm gar aus der Romanik. Vom Kirchhof sah ich die Berge rundum, denen der Schnee jede Bedrohlichkeit nahm; sanft und weich und überirdisch hell standen sie im Morgen.

Die Infotafel brachte mir bei, dass die Remigiuskirche eines von drei verknüpften Wundern ist. Ein zweites Wunder entdeckte 1935 der Kantonsförster im Grund. Der Muttahügel ist bronzezeitliches Siedlungsgebiet. Einst stand auf ihm ein Minidorf mit Rundhütten aus Holz; ein zwei Meter hoher Wall schützte die Bewohner gegen Angriffe und den Wind.

Das dritte Wunder waren die Megalithen auf der Wiese Planezzas neben der Kirche: drei Dutzend Menhire, zu Kultzwecken aufgerichtete Steine, von denen einige keck aus dem Schnee schauten. In meiner Broschüre hatte ich gelesen, dass manche Steinreihen astronomische Phänomene anpeilen und etwa anzeigen, wann zu den Tagundnachtgleichen die Sonne aufgeht. Die frühen Menschen der Gegend waren Himmelsexperten.

Ich ging wieder zu meinem Startpunkt, folgte der grossen Strasse durchs Dorf Richtung Westen, ignorierte den Abzweiger zum Curnius-Skilift. Kurz darauf fand ich beim Volg das Winterwanderschild nach Ladir und war eingespurt. Ein Tipp für alle, die es noch einfacher haben möchten: Die gewalzte, breite Winterroute vom einen Dorf zum anderen ist identisch mit dem Sommerweg.

Bald war ich im Wald. Gut, dass die Bäume nicht dicht standen und es mancherorts Lichtungen gab, so kam ich zu meiner Sonne. Das Gehen war mühelos, nirgendwo ging es steil aufwärts oder abwärts, während ich drei Bergbäche querte. Vor allem aber servierte mir der Weg das grösste Luxusgut der Neuzeit: Stille.

Schnitzeleuphorie bricht aus

Kurz vor Ladir teilte sich der Weg in zwei Varianten. Ich wählte die linke, umkreiste den Hügel Bual, erreichte die Strasse und war fünf Minuten später in Ladir. Wanderende! Wanderende? Ich beschloss: Verlängerung. Auf einer Nebenstrasse spazierte ich in 20 Minuten ins nahe, tiefer gelegene Nachbardorf Ruschein. Eine gute Entscheidung – wieder ein stimmungsvolles Dorf. Bei seiner erhaben gelegenen Kirche las ich, dass es auch um sie herum prähistorische Steine gibt.

Hernach fand ich Gefallen am Kapellchen Nussadonna gleich bei der Bushaltestelle. Die Surselva ist eine Schatzkammer der Kirchen. Auf dem Mäuerchen liess ich mich von der Sonne wärmen. Das panierte Schnitzel mit Nüdeli im Hotel Alpina gleich gegenüber war dann ausgezeichnet und schmeckte mir besser als manches ausgeklügelte und teure Menü der letzten Wochen. Ein stimmiger Tag eben.
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Route: Start in Falera, Post (Bushaltestelle, Infobüro mit Prospekten, Dorfkirche). Für die Exkursion zum fünf Gehminuten entfernten Remigiuskirchlein und retour samt Besichtigung von Kirchlein und Menhiren braucht man 30 Minuten bis eine Stunde. Hernach von Falera, Post in Westrichtung auf der Strasse zum Volg. Dort steht das erste Winterwanderschild in Pink nach Ladir. Der Weg bis Ladir ist identisch mit dem Sommerwanderweg; er ist ein offizieller Winterwanderweg, wird gepfadet und ist leicht zu begehen. Das Stück Ladir–Ruschein verläuft hernach auf einer asphaltierten Nebenstrasse.

Wanderzeit: Falera–Ladir 1.40 Std. Ladir–Ruschein 0.20 Std.

Höhendifferenz: 230 Meter auf-, 290 abwärts von Falera bis Ruschein.

Wanderkarte: 247 T Sardona, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Mit dem Bus von Ruschein zum Bahnhof Ilanz.

Charakter: Zuerst ein Ausflug in die Prähistorie. Dann eine komfortable Winterwanderung auf gewalzter Piste. Viel Stille, viel Aussicht bei abnehmender Vertouristisierung; Falera ist einigermassen, Ladir und Ruschein sehr ruhig. Viel Kirchenkunst.

Höhepunkte: Der Weitblick vom Remigiuskirchlein in Falera, die Menhire im Schnee. Der Anblick des Kirchturms samt dem Piz Mundaun kurz vor Ladir. Die stimmungsvolle Nussadonna-Kapelle in Ruschein und das Essen im Alpina daselbst.

Kinder: Perfekt, weil kurz; um die Menhire lässt sich viel erzählen.

Hund: Problemlos.

Einkehr: Alpina in Ruschein. So ab 16 Uhr und ganzer Mo geschlossen.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.
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Unter uns ist alles wattiert

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Diese Woche vom Weissenstein auf die Hasenmatt und nach Gänsbrunnen (SO)

Nebelsuppe im Mittelland. Mit Frau K. nehme ich bei der Station Oberdorf die neue Weissenstein-Gondelbahn, die zu Weihnachten startete. Dem alten Sessellift mit Quersitzen trauere ich nicht nach; ich weiss noch, wie ich bei früheren Bergfahrten fast am Gestänge festfror.

Oben scheint die Sonne, erfreut hüpfen wir zur Terrasse des Kurhauses. Unter uns ist alles wattiert. Vis-à-vis zieht sich der Alpenkranz von Säntis bis Wallis. Auf der Terrasse hocken die Sonnenanbeter, manche haben in der Nähe den Rollator parkiert.

Vorsicht: steil

Wir ziehen los nach Hinter Weissenstein auf einem brutal vereisten Strässchen. Schnell wechseln wir in die Wiese, man will sich ja nicht die Schreibhand brechen; im Schnee gibt es einen Trampelpfad. Viel Volk ist unterwegs, das Fondue in der Bauernwirtschaft Hinter Weissenstein lockt.

Kurz vor ihr zweigen wir links ab Richtung Hasenmatt, sind sofort ziemlich allein – und ich muss zwei Dinge loswerden. Erstens ist der Rest der Route auf dem Sommerwanderweg oft von früheren Fussgängern ausgetreten. Aber nicht immer. Wer auf Nummer sicher gehen will, nimmt die Schneeschuhe mit. Und zweitens können die steilen Abschnitte unheimlich rutschig sein. Man rüste sich mit Schuhkrallen und Stöcken und sei vorsichtig.

Frau K. und ich finden gute Verhältnisse vor. Ein erster Steilabschnitt im schattigen Wald ist rutschig, aber aufwärts winterwandert es sich grundsätzlich einfacher als abwärts. Beim Punkt 1292 queren wir ein Strässchen. Nähmen wir es, kämen wir direkt zum Althüsli.

Wir wollen zuerst zur Hasenmatt. Eine knappe halbe Stunde später sind wir oben, auf 1445 Metern. Mitten im Hochwinter liegt die Felsklippe, übrigens der höchste Punkt des Kantons Solothurn, nackt und kahl da. Die Sonne hat den Schnee weggeheizt. Die Aussicht ist zum Weinen, Röti, Raimeux, Montoz, Grenchenberg und all die anderen Juraberge sind zum Greifen nah. Das AKW Gösgen grüsst per Dampffahne.

Wir treffen ein Paar, das vom Althüsli unten kommt und warnt, der Pfad sei schwierig. Aber indem wir den Abstieg langsam angehen, uns an Ästen halten und wo immer möglich vom Eis in den Schnee wechseln, schaffen wir den Zickzackkorridor gut. Zwei drei Mal denke ich freilich, dass es am einfachsten wäre, auf dem Hintern talwärts zu rutschen.

Im Althüsli begrüsst uns der Wirt, ein netter Kerl, mit lauter Stimme und öffnet uns das Nebenräumchen, weil die Stube bereits voll ist. Ich mag es, wie speditiv das Essen kommt: Pommes-Frites und Bauernbratwurst für mich, Gerstensuppe und Pommes Frites für Frau K. An der Wand hängen Karabiner. Es läuft Blasmusik.

Wieder draussen, kraulen wir das Hündli und die Katze in der Sonne. Dann halten wir in den Schatten des Rüschgrabens. Als ich ihn in einem früheren Winter durchzog, lag der Schnee hüfthoch. Diesmal reicht er höchstens bis zu den Knöcheln.

Ein Glas Messwein, das wärs jetzt

Beschwingten Herzens langen wir in Gänsbrunnen an. 55 Minuten bis zum nächsten Zug. Die Dorfbeiz hat Ruhetag. Ein Abstecher zur spätgotischen Pfarrkirche leicht oberhalb drängt sich auf. Bald sitzen wir in der Kirchenbank, vor uns den Hochaltar, hinter uns den Mesmer, der grad aufräumt. Ein Glas Messwein, das wärs jetzt, denke ich.

Den Rest der Wartezeit verbringen wir im Wartsaal der Station Gänsbrunnen. Kalt ist er. Und kahl mit einem alten Holztisch und harten Bänken. Bildlos und trostlos. Und schummrig an diesem Winternachmittag. Hier die Anregung von Frau K. und mir an die Bahnhofsbetreiber: Bitte mehr Licht! Heizung aufdrehen! Und ein paar Fotoposter an die Wände!

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Route: Weissenstein, Bergstation und Kurhaus - Hinter Weissenstein - Schilizmätteli - Punkt 1292 Meter (Strasse, Abzweiger zum Althüsli) - Hasenmatt - Althüsli - Gross Chessel - Rüschgraben - Schmelziwald - Gänsbrunnen, Dorf - Gänsbrunnen, Station.

Wanderzeit: 3 1/2 Stunden.

Höhendifferenz: 300 Meter auf-, 835 Meter abwärts.

Wanderkarte: 223 T Delémont, 1: 50 000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Von der Station Gänsbrunnen per Zug nach Oberdorf, Station und Solothurn.

Sicherheit: Leicht ist das Teilstück von der Bergstation Weissenstein zum Hinter Weissenstein (Restaurant) und retour auf dem Strässchen - eine perfekte Schlenderei von 45 Minuten mit dem Alpenkranz vor Augen. Allenfalls braucht man, wenn das Strässchen vereist ist, Schuhkrallen. Das Stück Hinter Weissenstein - Hasenmatt - Althüsli - Gänsbrunnen wird oft begangen, meist ist der Weg im Schnee ausgetreten. Wer auf Nummer sicher gehen will, muss aber Schneeschuhe mitnehmen. Zwei Passagen im Aufstieg sind steil. Heikler ist das kurze Wegstück Hasenmatt - Althüsli, es ist sehr steil (Zickzackweg), liegt im Schatten, ist oft vereist; Begehung auf eigene Gefahr. Ebenfalls steil ist der Abstieg vom Althüsli in den Rüschgraben. Für die ganze Route empfohlen: Schuhkrallen und Stöcke. Nicht allein gehen! Bei Problemen umkehren!

Charakter: Anstrengende Winterwanderung (den Beginn bis Hinter Weissenstein ausgenommen), entsprechende Fitness und Ausrüstung nötig. Grossartiger Blick auf die Juragipfel und zu den Alpen.

Höhepunkte: Die Fahrt mit der neuen, speditiven Gondelbahn auf den Weissenstein. Der Blick von der Terrasse des Kurhauses über das Mittelland zum Alpenkranz. Die Einsamkeit auf der Hasenmatt und später im Rüschgraben. Die Einkehr im Althüsli. Empfehlenswert ist in Gänsbrunnen der Abstecher zur Pfarrkirche St. Joseph etwas oberhalb des Dorfes (hin und zurück 15 Minuten); Spätgotik, schöner Hochaltar.

Kinder: Vorsicht zwischen Hinter Weissenstein und Punkt 1292 sowie auf dem Gipfel: steile Fluhen in der Nähe. Im Rüschgraben ist Stille angebracht, um das Wild nicht aufzuschrecken.

Hund: Keine Probleme. Anleinen in allen Waldstücken!

Einkehr: Auf dem Weissenstein.  Althüsli (Mi, Do Ruhetag). St. Joseph in Gänsbrunnen (Mo, Di Ruhetag).

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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