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Die Punker vom Val Strem

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Diese Woche von Sedrun über den Chrüzlipass nach Bristen (GR/UR)

Ich ging schon einmal über den Chrüzlipass, von Bristen im Maderanertal aus: fortgeschrittener Herbst, verlassene Alpen, Nebel über den Bergen, Schnee auf dem Pass. Ich wanderte damals allein und musste die ganze Zeit über an «Goldener Ring über Uri» denken, das legendäre Buch von 1941, dessen Autor Eduard Renner vom magischen Denken der Urner Bergler erzählt. Von einer gestaltlosen, lähmenden oder auch Panik bereitenden Kraft, dem «Es», das sich ausbreitet, wenn die Älpler abziehen. Mir war unheimlich.

Als ich zum zweiten Mal über den Chrüzlipass ging, ab Sedrun diesmal und mit meinem Grüpplein, war alles anders. Golden war der Tag und ganz diesseitig die Landschaft. Das Es hatte im strahlenden Licht keine Chance. Es schmollte wohl in irgendeiner der Kristallgrotten, für die vor allem das Etzlital auf der Urner Seite bekannt ist.

Sind wir in Island?

Kurz wanderten wir zu Beginn in Sedrun auf Hartbelag. Dann Gras, Steine, Geröll. Das Val Strem muss man erlebt haben in seiner Urtümlichkeit, uns war, als seien wir in Island. Der Strem mäandrierte als Glitzerband durch die rötlich-moorige Ebene. Die Stremhörner wiederum – nun, wären sie Menschen, so Jugendliche in der Pubertät. Trotzig, wild, frech, mit zackigen Punkerfrisuren.

Streng war der Aufstieg, der gleichzeitig ein Ausstieg war aus dem Val Strem auf schmalem, doch sicherem Pfad die steile Halde hinauf zum Pass. Oben war alles flach. Wir setzten uns, tranken, freuten uns über die neuen Berge im Westen hinter der Passlücke. Mir fiel ein, dass ich bei der früheren Überquerung hier oben im Schnee eine Gruppe Männer getroffen hatte. Der eine ging barfuss. Ob er nicht kalt habe, fragte ich. «So ist mir am wohlsten», sagte er.

Wir stiegen ab, sahen unser Zwischenziel, die Etzlihütte, die erhaben 70 Meter über der flachen Müllersmatt hockt. Die meiste Zeit freilich fixierten wir den Boden vor uns. Blockschutt, sehr beschwerlich. Dann waren wir unten auf der Müllersmatt. Kurz darauf die Hütte. Wir assen, meine Suppe war köstlich, ich fotografierte sie, wie ich das meist tue, wenn ich auf Wanderungen esse. Ein Bild machte ich auch vom hütteneigenen Whirlpool.

Gut, kommt der Bus noch nicht!

Ingeniös später unsere Wanderpiste zu Tale. Ein schmales, sauber definiertes Band aus Steinen, das durch den brüsken Hang kurvte, ein holpriges Trottoir im Gebirge; ich musste daran denken, dass der Chrüzlipass vom Maderanertal in die Surselva und umgekehrt jahrhundertelang ein wichtiger Saumweg gewesen war. Das Gelände vor uns, die endlose Talrinne des Etzli, lag im Schatten. Weiter unten gingen wir durch eine Halde voller Blacken, der Stein war feucht und glitschig. Irgendwann erreichten wir ein schmales Fahrsträsschen.

War es das? Nein! Beim Sagebrüggli radikalisierte sich der Weg ein letztes Mal. Wir bogen links ab in den Wald. Das folgende Stück war von einer Steilheit, als rebelliere das Gelände gegen die nahe Zivilisation. Ich war froh um meine Stöcke, spürte nun doch meine 52-jährigen Knie. Endlich Bristen. Gut, dass der Bus erst in 50 Minuten kommen würde. Auf der Terrasse des Alpenblicks hielten wir bei Bier und einem Pommes-frites-Teller Rückschau und waren uns einig: selten an einem Tag derart viel Schönheit gesehen!

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Route: Sedrun Bahnhof – Bauns – Val Strem – Chrüzlipass – Müllersmatt – Etzlihütte – Müllersmatt – Etzliboden – Sagebrüggli – Steinmatt – Bristen.

Wanderzeit: 6 3/4 Stunden.

Höhendifferenz: 1050 Meter auf-, 1710 abwärts.

Wanderkarte: 256 T Disentis/Mustér, 1:50’000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Bus von Bristen nach Amsteg.

Kürzer: Abkürzungen gibt es nicht. Aber natürlich kann man die Wanderung auf zwei Tage verteilen und in der Etzlihütte übernachten. Reservieren!

Charakter: Klassische Passwanderung von grosser Schönheit. Steile Abschnitte, keine ausgesetzten Stellen. Aussichtsreich.

Höhepunkte: Die Kurven des Strem in seinem Tal. Die zackigen Berge über dem Val Strem. Der Blick nach dem Pass auf die Etzlihütte. Das endlos weite Etzlital.

Kinder: Weit, besser in zwei Tagen als in einem.

Hund: Keine besonderen Probleme.

Einkehr: Am Anfang und am Ende sowie natürlich in der Etzlihütte, die derzeit durchgehend offen ist.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Der Beitrag Die Punker vom Val Strem erschien zuerst auf Outdoor.


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