Diese Woche von Herisau via Stein und Haslen nach Appenzell (AR/AI)
Unser Samstagsplan ist klar und simpel. Wir wollen von Herisau nach Appenzell wandern, vom Ausserrhoder zum Innerrhoder Hauptort.
Stopp, halt! Fehler. Appenzell Ausserrhoden hat streng genommen keinen Hauptort. Klar, faktisch ist Herisau als Sitz der Regierung und des Kantonsrates das politische Zentrum. In der Vergangenheit aber war Trogen, wo die Justiz angesiedelt ist, eine Zeit lang der Hauptort. Herisau wehrte sich heftig gegen den Landsgemeinde-Beschluss von 1597 und schaffte es, dass die Sache wieder unklar wurde. Irgendwann war man der Sache müde, und so ist seit gut 180 Jahren Ausserrhoden hauptortlos. Weder die Kantonsverfassung noch ein Gesetz bezeichnen einen Hauptort.
Der Mord im Tobel
Via den Herisauer Gutsbetrieb Kreckel, das Kinderparadies Sedel mit Bahnen und Schaukeln, die Egg und den Churzenberg erreichen wir die gedeckte Holzbrücke von 1778 über die Urnäsch. Als sie zwei Jahre alt war, erlebte sie, wie zwei Einheimische bei ihr einen Zürcher Oberländer Viehhändler töteten und sein Geld an sich nahmen; später beseitigten die Mörder einen Mitwisser. Der historische Roman «Mit einem Schlag» von Walter Züst erzählt die wahre Geschichte nach.
Kaum dem sinistren Tobel entkommen, biegen wir unterhalb des Dorfes Hundwil beim Moos nach links ab und betreten das nächste Tobel, das des Sonderbaches, den ein schmaler Steg quert. Über Wilen und die Haltenweid halten wir anschliessend hinauf nach Stein – und nun wird es für mich kurz sehr persönlich: Ich bin Bürger von Stein und in Stein aufgewachsen; mein Elternhaus steht hier. Im Dorf zeige ich den anderen das Haus meiner Grosseltern beim Brunnen. Es ist längst verkauft und heute ein B&B.
Bei der Schaukäserei kehren wir ein, trinken etwas, kaufen Appenzeller Käse, die anderen rässen, ich milden. Toll der Besuch im angrenzenden Appenzeller Volkskunde-Museum, das die Welt der Sennen und der Textilheimarbeiter zeigt und dazu alte und neue Bauernmalerei. Eine Malerei von 1598 zeigt eine Eule, der andere Vögel zusetzen; gross und flehend sind die Eulenaugen, sie gehen mir die nächsten Stunden nicht aus dem Kopf (wer meine Kolumne im Internet anschaut, findet in der Bildstrecke ein Foto).
Ekliger Niederflurhund
Nächstes Ziel ist Haslen. Zuvor müssen wir über die Sitter, wieder ein Tobel, wieder ein Steg; der Fluss ist die Kantonsgrenze. Oben in Haslen, jetzt also in Innerrhoden, erinnern wir uns an eine frühere Wanderung, auf der wir im Dorf zu Mittag assen. Diesmal laufen wir durch, unsere Vision ist es, erst am Schluss in Appenzell zuzuschlagen. Die Route verschafft uns weiter viel einsames Bauernland: unteres Nördli, Büel, Rüti sind Orte, an denen wir durchkommen. Ein Kläffblässli setzt uns bei dem einen Hof zu. Das Niederflurtier bellt uns um die Fersen, als seien wir Heugabeldiebe.
Nach dem Anker müssen wir ein Stück auf der Strasse von Haslen nach Appenzell laufen – diese Art Wanderweg mögen wir gar nicht. Alsbald sind wir vollends im Talkessel von Appenzell und gleichzeitig auf einem Kapellenweg. Als wir dann ankommen im, jawohl, Hauptort der Innerrhoder, sind wir froh. Uff, das war wieder einmal eine lange Wanderung. Und jetzt? Suchen wir uns ein Restaurant, wo es Siedwurst gibt und einen guten Roten dazu.
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Route: Herisau Bahnhof – Kreckel – Sedel – Egg – Churzenberg – Ufem Tobel – Alte Tobelbrücke – Moos – Sonderbachsteg – Wilen – Haltenweid – Stein, Dorf – Stein, Schaukäserei und Appenzeller Volkskunde-Museum – Auf Stein – Horgenbühl – Würzen – Sittersteg – Haslen – Unteres Nördli – Honegg – Büel – Rüti – Sägibachsteg – Lankerholz – Anker – Sitterbrücke – Franzistlis – Mettlen – Appenzell – Appenzell Bahnhof.
Wanderzeit: 6 Stunden.
Höhendifferenz: 860 Meter auf-, 820 abwärts.
Wanderkarte: 227 T Appenzell, 1:50’000.
GPX-Datei: Hier downloaden.
Retour: Mit der Bahn von Appenzell direkt nach Herisau und Gossau oder nach St. Gallen.
Kürzer: Die Teilstücke Herisau – Stein und Stein – Haslen – Appenzell sind annähernd gleich lang. Beide Etappen lohnen sich auch einzeln.
Charakter: Stilles, weitgehend untouristisches Appenzellerland (kleine Ausnahme: Schaukäserei/Volkskunde-Museum in Stein; grosse Ausnahme: Appenzell am Schluss). Wiese und Wald und immer neue kleine und grosse Tobel. Bei Nässe sind einzelne Partien rutschig.
Höhepunkte: Die alte Grubenmannbrücke zwischen Herisau und dem Moos, Hundwil. Die historischen Bauernmalereien im Volkskunde-Museum in Stein. Die Kirche Haslen. Die Siedwurst zum Schluss.
Kinder: Als Ganzes etwas weit. Vorsicht in den Tobeln!
Hund: Keine Probleme.
Einkehr: Diverse Möglichkeiten in allen Dörfern.
Schaukäserei Stein: Man kann zuschauen, wie gekäst wird, Käse kaufen und auch einkehren. Hier der Link.
Appenzeller Volkskunde-Museum Stein: Der Besuch lohnt sich: Sammlungen zu Textilheimarbeit, Sennenkultur, Bauernmalerei. Das Museum liegt gleich neben der Schaukäserei. Grosser Kiosk mit Souvenirs.
Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.
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Der Beitrag Als seien wir Heugabeldiebe erschien zuerst auf Outdoor.