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Zürich-nah und doch so einsam

Diese Woche von Dübendorf nach Illnau und Nänikon (ZH)

Das Samstagswetter wird mies sein, und daher setze ich am Donnerstag beim Planen noch vor der Route das Mittagsziel fest. Einen Gemütswärmer und Magenstreichler brauchen wir. Das Rössli in Illnau fällt mir ein, von dem ich viel Gutes gehört habe. Da gehn wir hin!

Samstag morgen, Wanderstart am Bahnhof Dübendorf. Wir halten zur nahen Glatt, schwenken nach links, es ist neblig, der Weg am Fluss ist zum Teil vereist.

Schnell sind wir aus dem Ort, bleiben nun aber lange am Wasser, bis zum Abzweiger nach Hermikon. Adieu Glatt. Über die Bahnlinie, und schon sind wir im Gfenn. Ein leeres Storchennest weckt unsere Neugier, nisten in ihm Störche? Eine Frau mit Hund verneint. Ganz in der Nähe gebe es aber zwei bewohnte Nester

Gfenn heisst Sumpf

Dann eine historische Mauerfassade mit stufig gezacktem Dachrand. Die Lazariterkirche steht unter eidgenössischem Denkmalschutz. Sie stammt aus dem 13. Jahrhundert, war Teil eines Klosters. Die Laienbrüder des Lazarus-Ordens pflegten Leprakranke.

Das Wort Gfenn bedeutet Moor oder Sumpf. Tatsächlich langen wir beim Chrutzelried an. Das Ried und seine Tümpelchen sind die Hinterlassenschaft einstiger Gletscher und ihrer Moränenhügel. Das Chrutzelried enstand dort, wo Wasser von einem solchen Hügel ins Flache floss und eine Rinne bildete.

Schon lange starten und landen auf dem Militärflugplatz Dübendorf keine Armeejets mehr. Schade, denn wir tangieren sein östliches Ende und würden es lieben, wenn jetzt ein zackiges Kampfflugzeug so circa zehn Meter über uns in den Himmel stechen würde – Top Gun in Dübi.

Etwas aufwärts auf den Gfennerberg, etwas abwärts nach Kindhausen, etwas aufwärts zum Hochrain. Und wieder etwas abwärts zu den reizenden Moorseelein im Örmis und wieder etwas aufwärts zum Gstück in Ober-Illnau. Und wieder etwas abwärts nach Illnau.

Die nächsten zwei Stunden im Rössli sind Gaumenglück. Wir essen Wildschwein im Kartoffelmantel, Schnecken mit Kräutersauce, Kalbsburger, Entenbrust mit Zimtquinoa. Und wir trinken reichlich Wein. Ronja nimmt zum Schluss einen Grappa aus einem Hochstielglas, dessen Kelch gut 40 Zentimeter über dem Tisch thront.

Am Schluss des Essens verkündet Roland, dass er jetzt nach Hause geht, ins Bett. Wir anderen montieren unsere Jacken und ziehen weiter. Im Wildert freuen wir uns über einen recht stattlichen, bläulich überfrorenen Kleinsee. Dies ist das dritte Moorgebiet der Tour. Nahe an Zürich, direkt an der Agglo, ist das Gebiet doch erstaunlich einsam.

Massaker bei der S-Bahn

Via die Egg, wo man bei gutem Wetter garantiert grossen Alpenblick hat, kommen wir in den letzten Wald des Tages namens Näniker Hard. Kurz vor Nänikon dann führt uns der Wanderweg zu einem Denkmal. Die Steinpyramide mit Bronzetafel von 1842 erinnert an ein Massaker von 1444.

Damals, im Alten Zürichkrieg, einer vertrackt komplizierten Auseinandersetzung Zürichs mit den alten Orten der Eidgenossenschaft um das Erbe des Grafen von Toggenburg, kam es zur Belagerung der Festung Greifensee. Als sie, die zu Zürich hielt, gefallen war, befahl der Schwyzer Heerführer Ital von Reding der Ältere, dass alle Verteidiger zu töten seien. So geschah es. Auf der Wiese bei Nänikon, die seither Blutmatte heisst und drei Gehminuten vom heutigen S-Bahnhof Nänikon-Greifensee entfernt liegt.

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Route: Dübendorf, Bahnhof - Glatt - Uferweg bis Abzweiger Hermikon - Gfenn - Chrutzelried - Cherwis/Militärflugplatz Dübendorf - Gfennerberg - Kindhausen - Fröschen - Hochrain - Örmis - Ober-Illnau, Gstück - Illnau, Bahnhof - Illnau, Rössli - Illnau, Bahnhof - Wildert - Grindel - Weid - Egg - Gutenswil - Näniker Hard - Nänikon, Blutmatte - Bahnhof Nänikon-Greifensee.

Wanderzeit: 5 3/4 Stunden.

Höhendifferenz: 260 Meter auf-, 250 abwärts.

Kürzer: Die Route zerfällt in zwei Etappen, die einzeln wanderbar sind. Dübendorf - Illnau: 3 3/4 Stunden. Illnau - Nänikon: 2 Stunden.

Wanderkarte: 225 T Zürich und 226 T Rapperswil, 1: 50 000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Charakter: Stadt- und agglonahes Wandern in erstaunlicher Natur. Viele Moorgebiete: Ried und Seelein. Bei gutem Wetter Alpenblick. Perfekt für den Winter.

Höhepunkte: Die winterliche Glatt. Die Lazariterkirche im Gfenn am Rand von Dübendorf. Das Chrutzelried. Der Zmittag im Rössli zu Illnau. Das Seelein im Wildert. Die Blutmatte von Nänikon.

Kinder: Keine Probleme.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Rössli Illnau. Täglich geöffnet. Reservieren!

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.


«Ich tankä mi grad a dir uif»

Diese Woche die Winterwanderung Wirzweli–Gummenalp (NW).


Dallenwil, ich steige aus und stelle fest, dass alle andern im pumpenvollen Zug wohl nach Engelberg wollen. Nur zwei Leute stehen mit mir auf dem Perron. Schneeschuhler.

Wir queren die Schienen, und ich sehe eine Tafel mit einer Telefonnummer: 041 628 23 94. Ein Gratis-Shuttle-Bus zur Wirzweli-Bahn. Während ich noch überlege, ob ich laufen oder fahren soll, hat der eine Schneeschuhler bereits das Handy gezückt. Ich schliesse mich an.

Fünf Minuten später kurvt der Bus heran, wir steigen ein, es geht ein gutes Stück den Hang hinauf zur Talstation, zu Fuss wären das 20 Minuten. Die Frau-am-Steuer parkiert, wechselt ins Bahngebäude und verwandelt sich in die Frau-am-Billettschalter. Alles hübsch familiär hier. Mit dem GA ist die Bergfahrt gratis.

Sie klappern los

Wir gondeln zum Wirzweli hinauf, gut 1220 Meter über Meer, einer Nidwaldner Ferienterrasse unter dem Stanserhorn, deren Namen ich nicht erklären kann. Die Schneeschuhler montieren ihre Kunststoffbretter und klappern los. Ich nehme vorerst einen Kaffee im Restaurant der Bergstation, schaue hinab auf Dallenwil und den Wiesenberg gegenüber, der seine eigene Miniseilbahn hat. Von ihm kommt jener Jodlerclub, der mit seiner Version von «Ewigi Liäbi» («Ich tankä mi grad a dir uif») in die Hitparade kam.

Das Prospektlein der Seilbahn in der Hand, auf dem der Winterwanderweg zur Gummenalp eingezeichnet ist, starte ich. Vorerst muss ich zur Talstation der Gummenbahn. Hernach quere ich auf dem vereisten Strässchen ein kleines Bachtobel. Dann der braune Wegweiser, der vom Strässchen links in den Hang Richtung Langboden zeigt.

Eine gewalzte Piste führt mich via Huismatt aufwärts, bald passiere ich das Alprestaurant Langbodenstubli. Es besitzt eine eigene Mini-Seilbahn zur Eggalp, die derzeit aber ausser Betrieb ist. Kein Problem, denn ich will ja auf die Gummenalp. Die Gehpiste, die streckenweise mit der Schlittelpiste zusammenfällt, zieht bald in der Falllinie bergwärts, praktisch unter der defekten Eggalp-Bahn. Ich keuche und schwitze.

Schliesslich dreht mein Weg links ab Richtung Gummenalp. Herrlich, die Berge der Umgebung: Buochserhorn und Stanserhorn und Pilatus und Gräfimattstand; es ist ein Sehvergnügen. Ganz weit im Norden dampft es. Derweil ich überlege, ob die Fahne des AKW von Gösgen poetisch sein kann und darf, erreiche ich die Ronenhütte. Von ihr könnte ich – auch ein offizieller Winterwanderweg – zur Eggalp und retour laufen.

Mutter füttert Pommes frites

Ich verzichte auf den Abstecher. Hat nicht auch ein Wanderkolumnist bisweilen das Recht auf eine kurze Unternehmung? Am Vortag war ich im Jura unterwegs und habe müde Beine vom strengen Abstieg. Und so kommt es mir recht, dass ich nach herrlich bequemem Finish praktisch geradeaus die Gummenalp erreiche, 1579 Meter über Meer.

Das Restaurant ist offen, es hat wenig Leute, eine vierköpfige Familie sitzt da, die Mutter füttert dem Buben Pommes frites, der Vater schaut in die Luft. Ich auch; es ist schön, sich zu entspannen und gar nichts zu denken. Das Einzige, was mir hartnäckig durchs Hirn flirrt: Hunger! Bald habe ich meine Schweinsbratwurst mit Rösti vor mir. Es gibt Tage, die sind einfach gut zu einem, denke ich, als ich später mit der Gondel wieder hinab zum Wirzweli schwebe.

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Route: Wirzweli, Seilbahn - Restaurant Waldegg - Seilbahn Gummenalp, Talstation - Abzweiger Langboden - Huismatt - Langboden - Dürrenboden - Ronenhütte - Gummenalp (Seilbahn, Bergstation). Offizieller, unterhaltener und gewalzter Winterwanderweg gemäss Prospekt.

Wanderzeit: 2 Stunden.

Höhendifferenz: 390 Meter auf-, 40 abwärts.

Wanderkarte: 245 T Stans, 1: 50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Per Gondel von der Gummenalp nach Wirzweli (die Gondel fährt auf Verlangen).

Länger: Bei der Ronenhütte Abstecher zur Eggalp und retour. Zusätzlich 3/4 Stunden. Die Seilbahn Langboden - Eggalp (die man für diesen Abstecher nicht braucht) ist derzeit defekt.

Charakter: Angenehmes Winterwandern zuerst durchs Dorf Wirzweli, dann auf gewalzten Pisten. Der Mittelteil ist ziemlich coupiert. Zeitweise geht man auf dem Schlittelweg, Vorsicht! Über vereiste Stellen helfen Stöcke und Schuhkrallen. Äusserst aussichtsreiche Route mittlerer Anstrengung.

Höhepunkte: Die Gondelfahrt Dallenwil - Wirzweli mit Blick auf den Wiesenberg. Pilatus und Stanserhorn von der Ronenhütte aus. Ankunft und Einkehr im Bergrestaurant auf der Gummenalp.

Kinder: Keine Probleme. Vorsicht vor den Schlittlern.

Hund: Keine Probleme. Vorsicht vor den Schlittlern.

Einkehr: Wirzweli. Langbodenstubli, im Winter durchgehend geöffnet. Gummenalp, im Winter durchgehend geöffnet.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Verliebt ins schwarze Kätzchen

Diese Woche von Müllheim über den Seerücken nach Steckborn TG

Wir starten an der Station Müllheim-Wigoltingen, die ziemlich genau in der Mitte zwischen Frauenfeld und Weinfelden liegt, und ich denke auf den ersten Metern: Das muss jetzt ein Kälteluftsee sein! Die Eisluft kann nicht aus der Ebene entweichen, wir schlottern alle.

Der schummrig grüne Horizont vor uns ist erhöht, der Seerücken wartet auf uns. Aber zuerst müssen wir durch die Ackerfläche hinüber nach Müllheim, von dem ich einzig weiss, dass dort der Komponist des Thurgauerliedes geboren wurde, Johann Wepf. 1810 wars, sagt mir der Wikipedia-Eintrag, den ich schnell abrufe.

Thurgauer Anti-PR

Kennen die Nichtthurgauer das Thurgauerlied? Mich irritiert an der inoffiziellen Kantonshymne stets die Doppelzeile «O Thurgau, wie liebe, wie schätze ich dich! / Wohl locken viel schönere Gegenden mich.» Texter Johann Ulrich Bornhauser war wohl kein Genie der PR. Deren erster Grundsatz lautet: Nie, nie, nie zugeben, dass andere ein besseres Produkt haben! Stattdessen: Selbstbewusstsein zeigen, bloss von sich reden und Vergleiche nur dann ziehen, wenn man obenaus schwingt.

Müllheim, voilà. Wepfs Geburtshaus mögen wir nicht suchen, zu frostig ist es. Gleich nach dem Ort kommt Gelegenheit, den Kreislauf endgültig auf Touren zu bringen. Das Waldstück auf die Egg ist coupiert, der Weg führt schnurgerade in einer Art Gasse hinauf, bereits zieht sich das Feld in die Länge. Vorn, wie immer, Ronja. Im Mittelfeld Josephine und Stefan. Und hinten Roland mit pinkelbedingtem Rückstand.

Schloss Klingenberg tarnt sich mit Blattwerk. Bevor es das herrschaftliche Gemäuer gab, stand am Ort schon eine Burg, aber die ist weg. Der Adelssitz würde uns noch mehr Eindruck machen, wenn da nicht das schwarze Kleinstkätzchen wäre, das neben uns einherbeinelt und lange nicht weichen will. Das Maunzeding ist zu süss, wir sind alle verliebt.

Wir sind nun endgültig auf dem Seerücken, grandiosem Wandergebiet. Das karge Plateau gehört zu den am dünnsten besiedelten Gegenden im Schweizer Mittelland. Ab und zu ein Hof, mehr ist da nicht. Und das eine oder andere Dorf wie Homburg, das wir nun passieren. Mit dem berühmten Hut gleichen Namens, den Winston Churchill und Konrad Adenauer leidenschaftlich trugen, hat dieses Homburg nichts zu tun. Der Hut entstand im hessischen Bad Homburg.

Unterhalb der Kirche steht ein Schneemann mit schwarzer Dächlikappe und lila Schal. Es muss in den letzten Tagen getaut haben, der schmutzig-weisse Mann ist eingesunken. Verhutzelt sieht er aus, die Steinaugen machen Angst; Stephen King im Thurgau.

Importwärme aus Italien

Wieder geht es hinaus ins Feld, öder noch wird die Hochfläche, die Bise zerrt an unseren Jacken, bis wir ein Waldstück erreichen. Und das Haidenhaus. Es ist bekannt als Startpunkt für Langläufer, die auf den Loipen des Seerückens ihre Runden drehen. Wir kehren ein, bestellen etwas zu trinken. Ich nehme ein Rivella. Der Frostwind trocknet aus.

Die letzte Etappe der Winterwanderung ist schnell absolviert. Durch den Wald geht es abwärts, einmal in einem Graben aus gefrorenem Erde-Laub-Matsch, mühsam. Dann haben wir den Untersee vor uns und langen in Steckborn an. In der Sonne gönnen wir uns eine Pizza und eine Flasche Rotwein. Importwärme aus Italien.

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Route: Station Müllheim-Wigoltingen - Müllheim - Egg - Schloss Klingenberg - Homburg - Haidenhaus - Steckborn.

Wanderzeit: 3 1/4 Stunden.

Höhendifferenz: Je circa 320 Meter auf- und abwärts.

Wanderkarte: Am praktischsten ist die Karte 1:60'000 Bodensee von Kümmerly + Frey.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Thurgauerlied: Hier hören.

Länger: Von Steckborn nach Mammern und Stein am Rhein in drei Stunden. Eingeschränkt attraktiv, da das Seeufer weitgehend unzugänglich ist.

Charakter: Etwas flaches Land und viel Seerücken, also karges Hochplateau. Einsame Bauerngegend, angenehm still. Einige Stücke Hartbelag.

Höhepunkte: Schloss Klingenberg. Die Einkehr im abgelegenen Haidenhaus. Der Anblick des Untersees gegen Schluss.

Kinder: Keine Probleme.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: In den Dörfern. Haidenhaus nach 2 1/2 Stunden. Restaurants in Steckborn.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Nebelsuppe und Wiener Schnitzel

Diese Woche von Müntschemier auf den Mont Vully und nach Vallamand-Dessus (BE/FR/VD)


Im Zug freuen wir uns vorerst, dass die Sonne scheint. Doch nach Bern wird es dunkel. In Müntschemier, wo wir aussteigen, klebt der Nebel. Mein Grüpplein murrt und knurrt. Letztlich folgt es mir aber doch brav ins Grau.

Die erste Etappe führt durch das Grosse Moos, das bis zu seiner Meliorierung ein böser Sumpf war; seither füttert es die halbe Schweiz mit Gemüse. Die gezähmte Fläche riecht nach den Kohlstrünken, die allenthalben auf der schwarzen Erde liegen.

Entlang des «Hauptkanals» geht es schnurgerade durchs Moos, wobei wir irgendwann die Bahnlinie von Ins nach Sugiez queren. Dann folgen wir dem Broyekanal nach Sugiez hinein. Wir brauchen jetzt etwas Gutes, Nebel demoralisiert. Toll, die Bäckerei Guillaume hat offen. Noch toller, es gibt Kaffee. Und am tollsten: Die haben Gâteau du Vully. Ronja nimmt die Regionalspezialität salzig mit Speckwürfeli, ich nehme sie süss und liebe den gezuckerten Rahmbelag. Das isst sich wie Nidelzeltli.

Der Vully, ein Keltenberg

Hernach machen wir uns an den Berg, dessen Namen der Kuchen trägt. Ein Mann mit Hund kommt uns entgegen, wir fragen ihn:«Avez-vous vu le soleil?» Nein, sagt er, keine Sonne auf dem Vully. Als wir auf dem Gipfel anlangen, stimmt das nicht mehr ganz. Die Sonne ist ein bisschen zu sehen. Sie kämpft mit dem Nebel, ohne wirklich zu obsiegen.

Weil es kurz etwas heller wird, ist uns der Anblick des Chasseral vergönnt, auf der anderen Seite zieht sich der Alpenkranz als graue Zackenlinie am Horizont. Mehrere Familien sind gerade daran, ein Feuer zu entfachen; sie packen Kaffeekrüge aus, Unmengen von Schüsseln mit Nahrung, Weinflaschen. Das wird ein Grossgelage.

Drei Dinge machen den Vully berühmt, abgesehen natürlich vom Kuchen und vom Wein. Erstens: Sandsteinhöhlen, die wir im wieder aufwallenden Nebel aber nicht finden. Zweitens: militärische Befestigungen aus dem Ersten Weltkrieg, an denen wir bald vorbeikommen. Die Bunker gehören zur Fortifikation Murten, die verhindern sollte, dass Angreifer von Westen Richtung Bern und Mittelland vorstossen.

Weiter unten die dritte Attraktion. Den Vully, der so imposant den 30 Kilometer breiten offenen Raum zwischen Jura und Saane bewacht, bewohnten schon die Kelten. Der Stamm der Helvetier errichtete ein Oppidum, eine befestigte Siedlung. Wie das aussah, demonstriert ein in unserer Moderne hergerichteter Erdwall, der mit Holzpfählen gesichert und mit Trockenmauern verkleidet ist.

001 starb jung

Nun geht es abwärts mit uns. In Lugnorre eine schöne Überraschung, die Auberge des Clefs. Wir treten ein, finden Platz, lassen uns nieder und stellen anhand der Karte fest, dass hier anspruchsvoll gekocht wird; meine iPhone-Recherche ergibt, dass das Lokal mit 16 «Gault Millau»-Punkten bedacht wurde. Macht nichts. Wir fühlen uns trotzdem wohl. Der Service ist unaffektiert. Und das Essen – ich habe ein Wiener Schnitzel – mundet ausgezeichnet.

Wir könnten nun den Bus nehmen. Aber der volle Bauch will Bewegung. Daher halten wir, durch Wiesen und Reben, via Mur – schönes Schloss! – nach Vallamand-Dessus. Dort erinnert ein Gedenkstein an Ernest Failloubaz, 1892 geboren, Sohn und Erbe eines reichen Weinhändlers. Er war Pilot, erhielt die Fluglizenz Nr. 1 des Landes, übernahm 1912 die Leitung des Flughafens Dübendorf und starb 1919 jung. Nein, kein Flugunfall. Er hatte sich geschäftlich ruiniert und erlag der Tuberkulose. Sie nannten ihn «fliegender Bub».

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Route: Müntschemier Bahnhof - Spitzallme - Weg am Hauptkanal - Lindergut - Brücke über den Broyekanal (Pont Rotary) - Sugiez - Mont Vully - Lugnorre - Mur - Les Dailles - La Motte - Le Tertre - Vallamand-Dessus.

Wanderzeit: 5 Stunden.

Höhendifferenz: 320 Meter auf-, 240 abwärts.

Wanderkarte: 242 T Avenches, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Die Postautolinie Cudrefin–Avenches führt durch Vallamand-Dessus.

Rückkehr zum Ausgangspunkt: Es gibt verschiedene Varianten, Fahrplan online konsultieren.

Kürzer: Viele Abkürzungsmöglichkeiten, Beginn erst in Sugiez, Wanderende schon in Lugnorre. Auch verlängerbar ist die Wanderung, wenn man z. B. weiter nach Avenches zieht.

Charakter: Zuerst eine riesige Ebene, dann ein reizender Berg mit Weitsicht über das Gebiet der Trois Lacs und Rebhänge. Abwechslungsreich, nicht besonders streng.

Höhepunkte: Die den Frühling anvisierende Ebene des Grossen Mooses. Der Alpen- und Chasseralblick vom Mont Vully bei Nebelfreiheit. Die alten Bunker und Keltenbefestigungen auf dem Vully. Das grossartige Essen in Lugnorre.

Kinder: keine Probleme. Auf dem Mont Vully sollte man Kinder beaufsichtigen, der Flühe wegen.

Hund: keine Probleme.

Einkehr: Mehrere Lokale. Hervorragend isst man in der Auberge des Clefs in Lugnorre. Mi/Do geschlossen. Reservieren!

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Die Zentralschweiz als Spektakel

Von Zug zum Michaelskreuz und via Küssnacht nach Immensee (ZG, LU, SZ)

Auf dem Rooterberg, beim Michaelskreuz, wurden wir erleuchtet. Wirklich! Der Tag war schon auf dem langen Anmarsch speziell schön gewesen, strahlend. Als wir dann die Kapelle auf ihrem Gupf vor uns hatten, schillerte der Himmel um sie in allen Farben, das war Lichtmagie. Die Meteorologen, ein nüchternes Volk, nennen es «irisierende Wolken»; das Phänomen ist optisch eng verwandt mit dem Regenbogen.

Um gleich weiterzuschwärmen: Dies ist eine grosse Route. Sie präsentiert die Zentralschweiz als Spektakel. Da ist die immer wieder aus neuen Winkeln sich zeigende, durch ihre Horizontalbänder geometrisch auftretende, seriös wirkende Rigi. Da ist aber auch ihr Rivale, der Pilatus; ein wilder Geselle, der seine Zacken dem Himmel zustreckt. Und dazwischen vollendet blaues Wasser, die Fläche des Zugersees zuerst, später der Vierwaldstättersee und dessen Küssnachter Finger.

Und überall hockt Geschichte

Als sei dies nicht genug, kommt man unterwegs an grossen und kleinen Kirchen vorbei wie dem erwähnten Michaelskreuz oder dem stillen Bijou St. Katharina in Haltikon. Und überall hockt Geschichte. Chams Villettepark etwa, öffentliches Gelände, erzählt vom Zürcher Bankier und Handelsunternehmer Heinrich Schulthess-von Meiss, der die Lustwandelfläche am Zugersee anlegte samt einem Palast im Neurenaissance-Stil. Die Gesslerburg von Küssnacht wiederum und die Hohle Gasse bei Immensee beschwören den Gründungsmythos der Eidgenossenschaft und wecken gleichzeitig Zweifel: Die Hohle Gasse ist ein Kunstprodukt. Eine Fantasie von heute, wie es gestern gewesen sein soll.

Oh weh, mir bleibt nun nicht der Platz, unsere Unternehmung detailreich zu schildern. Halten wir fest, dass man 7 1/4 Stunden unterwegs ist, gut 630 Meter auf- und 580 Meter absteigt. Dass es aber auch möglich ist, die drei Etappen einzeln zu laufen. Etappe eins ist die leichte Uferschlenderei von Zug via Cham nach Buonas; man braucht dafür 2 3/4 Stunden.

Wer diesen flachen Vorspann weglassen will, beginnt in Buonas bei der Bushaltestelle Neuhofstrasse. Die Mitteletappe von 3 1/4 Stunden führt von dort via Meierskappel und den Dietisberg auf den Rooterberg zum Michaelskreuz, dem besten Aussichtspunkt weit und breit; einst soll ein Einsiedler auf Geheiss des Erzengels Michael hier auf knapp 800 Metern ein Kreuz aufgerichtet haben, die Kapelle folgte später. Freude spendet das Restaurant 100 Meter weiter, in dem man gut kocht, just heute Freitag öffnet es nach den Betriebsferien wieder. Reservieren! Nach dem Zmittag steigt man ab via Haltikon nach Küssnacht, dessen Namenszusatz «am Rigi» vor einigen Jahren gestrichen wurde.

Berauschender Glanztag

Eher ein Spaziergang von gut 1 1/4 Stunde ist, wenn man sie separat absolviert, die dritte Etappe vom Bahnhof Küssnacht zum See, dann durch den Dorfkern mit vielen historischen Häusern zur Gesslerburg und weiter zum Bahnhof Immensee; natürlich wird man bei aller geschichtlichen Fragwürdigkeit die Hohle Gasse besichtigen.

Als wir an unserem Glanztag in Immensee ankamen, waren wir glücklich und müde. Es dunkelte ein. Wir fanden das Café Bijou offen vor. Musiker trugen gerade ihr Gerät hinauf in die Gaststube im ersten Stock; ein Geburtstag war angesagt, alle Tische dekoriert. An der Bar trafen wir zwei Männer, die schwer Alkohol geladen hatten. Doch waren vielleicht auch wir die Betrunkenen. Berauscht von der Sonne und einem Übermass an Schönheit.

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Route: Zug Bahnhof - Cham - Buonas - Meierskappel - Dietisberg - Rooterberg/Michaelskreuz - Robmatt - Haltikon/St. Katharina - Küssnacht, Bahnhof - Küssnacht, See - Gesslerburg - Hohle Gasse - Immensee, Bahnhof.

Wanderzeit: 7 1/4 Stunden.

Höhendifferenz: 630 Meter auf-, 580 abwärts.

Wanderkarte: 235 T Rotkreuz, 1: 50'000.

Kürzer: Man kann drei Etappen einzeln wandern. Erstens: Am See von Zug via Cham nach Buonas (Bushaltestelle Neuhofstrasse), 2 3/4 Stunden, wenig Höhendifferenz. Zweitens: Buonas - Michaelskreuz - Haltikon - Küssnacht Bahnhof, 3 1/4 Stunden, 460 Meter aufwärts, 420 abwärts. Drittens: Küssnacht Bahnhof - See - Gesslerburg - Hohle Gasse - Immensee Bahnhof, 1 1/4 Stunde, je 100 Meter auf- und abwärts.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour zum Ausgangspunkt: Immensee - Zug mit einmal Umsteigen in Arth-Goldau per Zug. Es gibt auch andere, leicht kürzere Varianten, siehe Fahrplan.

Charakter: Unglaublich abwechslungsreich, unglaublich aussichtsreich, unglaublich schön. Zentralschweiz als grosses Kino. Berge, Seen, Kunst und Historie verschränken sich. Anstrengend in der Länge, aber - siehe oben - gut etappierbar.

Höhepunkte: Der Zugersee und dahinter die Rigi von Zug aus gesehen. Der Villettepark in Cham. Das erhabene Kapellchen auf dem Michaelskreuz und gleich danach die Einkehr im Gipfelrestaurant. Küssnachts Gesslerburg.

Kinder: Lange Route. Auf der Gesslerburg muss man auf die Kinder aufpassen.

Hund: Lang, aber keine Probleme.

Einkehr: Viele Restaurants. Das Restaurant Michaelskreuz ist Mo/Di zu. Reservieren!

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Das Stockhorn boykottierte uns

Diese Woche von der Station Burgistein nach Amsoldingen BE

Dass es während unserer Berner Wanderung kalt war, dass zeitweise Nieselregen fiel: kein Problem. Was uns hingegen wirklich wurmte, war die fehlende Sicht; es nebelte auch. So sahen wir das Stockhorn nicht, den Riesenzahn, der unsere Unternehmung hätte überragen, leiten, inspirieren sollen.

Aber wie das im Leben so ist – wenn etwas fehlt, konzentriert man sich auf das, was da ist, und weiss dieses Vorhandene umso mehr zu schätzen. Entlang der Gürbe zogen wir von der Station Burgistein vorwärts, mochten die Ruhe des Weges, die Stille der Äcker, die Haselstauden, das angenehme Geradeaus, das zögerliche Erwachen der Natur. Als Kunst im Gelände, als bizarre Tentakel-Installationen, nahmen wir die Strommasten wahr.

Vier Attraktionen auf einen Streich

Einige Zeit nach Wattenwil gingen wir durch eine gedeckte Holzbrücke, kamen ins Gebiet Längmoos, liefen auf einer Art Dammweg und tauschten die Gürbe gegen den Fallbach ein. Dann der Campingplatz im einstigen Kurpark des Bades Blumenstein, dessen Geschichte 1611 begann, als der damalige Besitzer die Lizenz für einen Badebetrieb erhielt. Zügig – Hunger! – querten wir danach Blumenstein, zogen durch das «Moos» Richtung Pohlern, waren nun im Stockentäli.

Dessen Namen erinnerte uns wieder ans Stockhorn. Wo war es? Weiterhin zeigte es sich nicht, ach je!

Wir blieben nicht allzu lange im Stockentäli, verliessen es kurz vor Pohlern, indem wir auf den Wanderweg nach Amsoldingen abbogen, unser Ziel. Amsoldingen enttäuschte uns nicht. Alle vier Attraktionen, die ich meinem Grüppli angekündigt hatte, gefielen. Erstens – vielleicht ein bisschen reserviert, aber doch sehr schön in seinem geschützten Riedgürtel – der Amsoldingersee, ein stattliches Gewässer von gut einem Kilometer Länge.

Zweitens beschauten wir das Schloss; von aussen, versteht sich, es ist Privatbesitz, patrizisches Eigentum. Mit ihm verbindet sich der Name der legendären Madame de Meuron, die es von ihrem Vater erbte, während ihr die Mutter Schloss Rümligen vermachte. Die Madame, 1882 bis 1980, war altes Bern in der Moderne. Lebenslänglich trug sie Trauerkleidung, nachdem ihr Sohn sich das Leben genommen hatte, und führte ein Hörrohr mit sich. «So ghör i nume, was i wott», sagte sie.

Die ottonische Basilika

Drittens besichtigten wir die berühmte Kirche, die einst, vor der Reformation, dem heiligen Mauritius gewidmet war. Es gibt in der Thunerseegegend eine ganze Gruppe frühromanischer Kirchen, diejenige von Amsoldingen hatte ich noch nicht gesehen. Irgendwie unbernisch mutete diese sogenannte ottonische Basilika der Wende vom ersten zum zweiten Jahrtausend an – eine weit nach Norden ausgezogene Botschafterin der lombardischen Architektur. Im Innern war niemand, perfekt, wir verharrten lange, ich schloss die Augen, wäre fast eingeschlafen, wenn nicht mein Magen geknurrt hätte. Ich setzte mich wieder gerade hin und schaute ein paar Dinge auf meinem Handy nach. Interessant: Die originalen Stützen in der Krypta waren römischen Ursprunges und kamen aus Aventicum, also Avenches; im 19. Jahrhundert wurden sie ersetzt und kamen ins Museum.

Fünf Gehminuten weiter fanden wir unsere vierte Attraktion, das Kreuz von Amsoldingen, eine Dorfbeiz, in der man währschaft und doch mit Finesse kocht. Der Rotwein, den wir zum Essen tranken, half, die Fantasie zu beflügeln; so halluzinierten wir uns das Stockhorn herbei, das wir die ganze Wanderung über nicht gesehen hatten.

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Route: Station Burgistein - Gürbe - Wattenwil - Holzbrücke beim Längmoos - Bad Blumenstein - Blumenstein - Mühle - Pohlern - Hof - Kistlern - Glend - Ruedismatt - Kirche und Schloss Amsoldingen - Kreuz, Amsoldingen (Bushaltestelle).

Wanderzeit: 31/4 Stunden.

Höhendifferenz: 156 Meter auf-, 187 abwärts.

Wanderkarte: 253 T Gantrisch, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Bus nach Thun, S-Bahn zur Station Burgistein.

Charakter: Die meiste Zeit geht es angenehm flach der Gürbe entlang. Aparte Kanälchen und Waldwege. Am Schluss Geschichte und Architektur in Amsoldingen.

Höhepunkte: Die Kirche Amsoldingen samt dem Schloss nebenan. Der See von Amsoldingen.

Kinder: Leicht.

Hund: Leicht.

Einkehr: In Amsoldingen das Kreuz. Di/Mi Ruhetage.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Wir machten aus dem Hunger eine Kunst

Diese Woche von St. Gallen auf den Kaienspitz und nach Heiden (SG/AR)

Mir und meinem Grüpplein gefällt das immer wieder: aus einer Stadt hinauswandern. Diesmal ist unser Startpunkt St. Gallen und das Ziel der Ausserrhoder Kurort Heiden hoch über dem Bodensee. Dessen Glück wurzelt im Unglück: 1838 brannte Heiden in einem Feuer nieder, das der Föhn nährte. Der Wiederaufbau machte das Dorf zum klassizistisch-biedermeierlichen Bijou.

Vom Bahnhof St. Gallen ziehen wir an den Rand des Klosterviertels. Am Wildbach Mülenen geht es, parallel zum Mühlegg-Bähnchen, steil aufwärts. Oben erreichen wir einen Panoramaweg: Zur Rechten zieht sich das Areal Drei Weieren, eine der schönsten Badeanlagen im Land. Zur Linken liegt unter uns die Stadt. Hinter ihr glitzert der Bodensee in der Sonne – wir haben strahlendes Wetter und strahlen selber.

Gemein, Restaurant zu!

Bei der Notkersegg erreichen wir das Kloster Maria vom guten Rat. Eine Kapuzinerinnen-Gemeinschaft hält sich hier tapfer. Wir schauen kurz in die Kirche. Dann eine stark befahrene Strasse mit angegliedertem Bahngeleise, die Verbindung St. Gallen–Speicher–Trogen. Hernach wird es sehr schnell sehr ländlich. Und es geht bald abwärts ins Gebiet Schaugen. Feucht ist es in dem Geländeloch und sumpfig, dafür erfreuen uns Primelteppiche. Über zwei kleinere Bäche kommen wir zur Goldach. Sollen wir in der Achmühle einkehren? Es ist noch etwas früh, wir verzichten schweren Herzens; Internetauftritt und Karte sind anmächelig.

Was wir an Höhe verloren haben, müssen wir uns nun wieder erkeuchen. Wir schwitzen in der Sonne, freuen uns auf das «Urwaldhaus» in der Streusiedlung Robach – dort wollen wir essen. Gemein, dass das Lokal, das ich noch aus meiner Kindheit kenne, geschlossen ist: Wirtewechsel. Es öffnet im Mai wieder.

Das Urwaldhaus ist ein Appenzeller Unikat. Nur schon der Name. Eigentlich heisst die Wirtschaft in dem Haus aus dem 16. Jahrhundert Bären. Aber seit in ihm vor gut 60 Jahren die «Bären-Frieda» wirtete, die die Balken des Hauses mit Urwald-Baumstämmen verglich und das passende Fantasie-Schild malen liess, dominiert der exotische Name. Hier gibt es übrigens auch eine Zimmerschützenanlage von neun Metern Länge, ein Gaudi für Gruppen.

Aufwärts und aufwärts und aufwärts, ein Knurren im Magen. Im Gupf, einem Restaurant mit aufwendiger Küche, könnten wir wieder einkehren, der Blick zum Säntis und zum Bodensee ist überwältigend. Wir müssen allerdings feststellen, dass der hinterste und letzte Platz besetzt ist. Und das ganz offensichtlich von Nichtwanderern; der Parkplatz ist vollgestellt mit teuren Autos, zudem steht neben dem Restaurant ein Helikopter.

Schneeschlittern

Gefasst gehen wir weiter, die Wiesen, der weite Himmel und die letzte Steigung zum Kaienspitz lenken uns ab. Nicht, dass dieser Hügel etwas ganz Besonderes wäre; er ist Teil der allgemeinen Kupiertheit der Gegend, bildet aber doch mit 1122 Metern den höchsten Punkt unserer Route. Hernach ein übriggebliebenes Schneefeld, das wir hinabschlittern und dabei grinsen wie Kinder.

Das Naturfreundehaus Kaien ist offen. Wir kehren ein, trinken ein Bier, essen aber immer noch nichts; wir haben uns unterdessen geeinigt, aus dem Hunger eine Kunst zu machen und erst am Schluss in Heiden zuzulangen. Herrlich ist der Apéro in der Frühlingssonne. Bald darauf erreichen wir Heiden und haben derart Appetit, dass wir die Biedermeierhäuser kaum anschauen. Wanderer sind durchaus interessiert an Kunst und Kultur. Aber nur, wenn die Kalorien gesichert sind.

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Route: Bahnhof St. Gallen - Mühlegg-Bähnli - Drei Weieren - Notkersegg - Hueb - Schaugen - Riet - Schaugentobel -  Tobel - Sumpf - Städeli - Achmühle - Ochsenbühl - Robach - Berg - Gupf - Oberkaien - Kaienspitz - Naturfreundehaus - Schwanteln - Ober Brunnen - Heiden, Dorfplatz/ Post (Bus).

Wanderzeit: 5 Stunden.

Höhendifferenz: 767 Meter auf-, 635 abwärts.

Wanderkarte: 227 T Appenzell und 217 Arbon, 1: 50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Postauto von Heiden nach St. Gallen.

Charakter: Befreiung von der Stadt St. Gallen, Eroberung des Appenzeller Hügellandes. Aussichtsreich und recht anstrengend, weil das Gelände kupiert ist. Schöner Bodensee- und Alpsteinblick.

Höhepunkte: St. Gallen und der Bodensee von Drei Weieren aus. Die Badeanlage Drei Weieren selber. Die Achmühle in ihrem Loch. Der kecke Kaienspitz als Inbegriff appenzellischen Hügelwesens.

Kinder: Keine Probleme.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Mehrere Möglichkeiten. Achmühle: Mi bis Sa ab 11 Uhr, So ab 10 Uhr. Durchgehend warme Küche, schöne Karte mit deftigen Speisen. Das Urwaldhaus ist im Umbau und erst ab 6. Mai wieder offen. Gupf: Mi bis So. Teures Lokal. Naturfreundehaus Kaien (Kaienhaus): Jeweils von Sa 14 Uhr bis So 17 Uhr. Einfache Speisen, schöne Terrasse. Am Schluss in Heiden gibt es mehrere Möglichkeiten.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Eine Sennhütte mitten im Aargau

Diese Woche von Brugg nach Laufenburg AG

An einem schönen Sonntagmorgen fahre ich ohne Plan nach Brugg. Warum Brugg? Weil ich die alte Stadt mag und der Jura nahe ist. In dieser Gegend kann man immer wandern. Um acht komme ich an, steige aus, studiere die Wegweiser. Köstliche Qual der Wahl. Schliesslich entscheide ich mich für den Weg nach Laufenburg.

Einen Kaffee noch, dann ziehe ich los, ohne den Zwang, schnell sein und zu einer bestimmten Zeit ankommen zu müssen – dies ist die beste aller Gangarten. Vorbei am Stadthaus, einem mit Rokoko-Zierrat geschmückten Prachtgebäude, gehe ich hinunter zur Aare. Der Tatsache, dass der Fluss sich auf dieser Höhe zu seiner schmalsten Stelle im Mittelland verengt und zudem beide Ufer leicht zugänglich sind, verdankt der Ort seine Bedeutung; hier war einst gut eine Brücke bauen.

Der Freiluftkiosk wartet schon

Über die Aare und auf Kopfsteinpflaster den Hansfluhsteig hinauf, schon bin ich im Wald und schlage jene Nordwestrichtung ein, die mir bis Wanderende bleiben wird. Durch eine grössere Siedlung, die wohl zu Riniken gehört, und vorbei an einem Schild, das den Schiessplatz Krähtal anzeigt, erreiche ich Kirchbözberg. Ein Bilderbuchweiler ist das mit einer Kirche, die in der Urform im 11. Jahrhundert an dieser wichtigen Wegkreuzung entstand, bei der sich die Routen Brugg–Laufenburg und Stilli–Fricktal schneiden. Zur Kirche gehören ein spätgotisches Pfarrhaus und die Pfarrscheune; so ein Geistlicher muss auch essen.

Weiter oben am Hang liegt Oberbözberg. Wieder eine Grossportion Wald, und schon komme ich im Weiler Sennhütten an. Eine Art Freiluftkiosk erwartet mich. Ich kaufe mir einen Sirup, setze mich auf eine Bank und horche in den Morgen; einzig ein Biker stört die Ruhe, indem er laut auf seinem Handy telefoniert. Ein Paar wirtet in der Sennhütte, das sich einst in der Dimitri-Schule in Verscio im Tessin kennen lernte; man war danach mit Zampanoo’s Variété unterwegs, tourte mit einem eigenen Programm. Später verwirklichten sich Eva und Pesche Panero ihren Lebenstraum, so die Website, und kauften die Liegenschaft Sennhütte, die halb Herberge, halb einfache Beiz ist.

Auf den letzten Kilometern

Durch den Marchwald halte ich zum Schinberg hinüber. Zur Rechten hebt sich der Cheisacherturm aus dem Wald, ein Panoramaturm, der 2010 eröffnet wurde und das neue Wahrzeichen der Gegend ist. Angesichts des hellen Holzturms packt mich Wehmut. Lange ist es her, dass mein Grüppli und ich ihn erstiegen. Karin und ihr Partner René, zwei liebe Menschen aus einem nahen Dorf, erwarteten uns damals am Fuss des Turmes und bewirteten uns aufs Feinste. Zwei Freundinnen, die damals mitwanderten, sind mittlerweile nicht mehr am Leben; der Tod hat auch mein Wandergrüpplein heimgesucht.

Fertig Düsternis, die Natur ist beeindruckend schön. Am Hang des Schinbergs entlang, der geologisch zum Tafeljura gehört, wandere ich durch dichtes Laub vom Vorjahr und muss aufpassen, dass ich in der Steilpartie hinab zum Sulzerberg nicht stürze. Bald darauf bin ich in Laufenburg und gehe mir das alte Städtchen anschauen.

Ah ja, etwas Kurioses muss ich zu der Route noch erwähnen. Oberhalb von Laufenburg sah ich im Wald einen Steinsockel, der in eine Soldatenbüste mit Helm übergeht. Die Inschrift stammt von Soldaten des Zweiten Weltkriegs, die wohl ein wenig frustriert waren. Sie lautet: «Hier ruht unser Urlaub 1939–1945.»
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Route: Brugg SBB - Altstadt, Brücke über die Aare - Langibirche - Röti - Chrendel - Wüestwald - Kirchbözberg - Chapf - Oberbözberg - Letzi - Sennhütten - March - Solbacher - Chesselmatt - Sulzerberg - Waldhaus - Laufenburg SBB.

Wanderzeit: 51/2 Stunden.

Höhendifferenz: 577 Meter auf-, 611 abwärts.

Wanderkarte: 215 T Baden und 214 T Liestal, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Bus oder Bahn, Fahrplan konsultieren.

Charakter: Schöne, mittelstrenge Wanderung mit viel Wald und Wiesen und gutem Ausblick. Einige Stücke auf Hartbelag.

Höhepunkte: Bruggs Altstadt. Der historische Weiler Kirchbözberg. Der einsame Abstieg durch die Schinbergshalde.

Kinder: Gut machbar.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Sennhütte in der Mitte der Wanderung. Einfaches Beizli. Sommer-Öffnungszeiten: Di bis Fr. 11 bis 19 Uhr. Sa 10 bis 19 Uhr. So 9 bis 18 Uhr. In der Sennhütte kann man auch (Doppelzimmer oder Dachstock) übernachten. Achtung: Betriebsferien vom 13. April bis 20. April.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Ein Kamel, ein Storch und ein Stubenküken

Diese Woche aus dem Laufental via Flüh nach Basel (BL/SO/BS)

Wir fuhren mit dem Zug ins Laufental, stiegen in Zwingen aus, das Wetter war mild. Der Bahnhof lag etwas abseits, wir hielten in den Ort hinein, musterten das Schloss und querten die Birs. So begann der Wandertag.

Eine erste Steilstufe auf das Plateau über Zwingen durch den zaghaft ergrünenden Wald; das Braun alten Laubes dominierte noch. Bald erreichten wir das Dorf Blauen. Dahinter die zweite Herausforderung des Tages, wesentlich härter als die erste: der Ost-West-Riegel des Höhenzuges Blauen.

Dessertekstase

Auf dem Blauenpass waren wir ausser Atem. Ein schmaler Weg führte nun wieder talwärts, der Kalkstein war von der Morgenfeuchte glitschig. Als wir aus dem Wald kamen, hatten wir vor uns das Ausflugsrestaurant Bergmatten. Es bietet eine grosse Aussicht, weit hinten zeigte sich Basel. Vor allem sein neuer Roche-Turm. Der 178-Meter-Zacken bindet den Blick, sodass man für den Rest der Stadt keine Augen hat.

In der Nähe weidete ein Pferd. Und daneben ein ausgewachsenes Kamel. Schmuddelig und sehr zufrieden sah es aus, es hatte sich eben im Dreck gewälzt. Der Wirt der Bergmatten, den wir auf das Tier ansprachen, erklärte uns, dass man hier oben schon seit 20 Jahren Kamele halte, eine Mutter und ihr Junges seien es momentan. Und nein, frieren würden die Tiere im Winter nicht. Dies seien mongolische Kamele, sie seien Kälte gewohnt.

Gleich danach eine neue Überraschung, der Chälengraben: Ein liebevoll durch Treppenstufen, Geländer, Stege gebändigter Geländeschlitz. Bei einer Feuerstelle unter überhängender Wand sass ein junger Typ, neben sich eine Drohne mit montierter Kamera. Er erklärte uns das Ding, sagte, er habe fotografiert, jetzt sei der Akku leer. In der Freizeit pilotiere er Helikopter. Richtige, grosse.

Rasch querten wir Hofstetten, stiegen hernach schon wieder auf, zum Chöpfli diesmal. Vom vordersten, ungesicherten Teil der Kalkfluh, markiert durch ein grosses Kreuz, sahen wir direkt hinab auf Flüh, freuten uns auf unser Mittagessen im Restaurant Martin. Auf dem Felszacken vis-à-vis eine Ruine wie ein alter, brüchiger Weisheitszahn: die Festung Landskron, die bereits auf französischem Gebiet steht.

Im Martin fühlten wir uns wohl und assen hervorragend: Ich hatte ein sagenhaft zartes Stubenküken und geriet vollends in Ekstase über die Friandises, die Süssigkeiten zum Kaffee. Da war ein Gelee-Ding, Passionsfrucht, wunderbar frisch. Der Chef kam aus der Küche, freute sich über meine Freude und spendiert gleich ein paar mehr von den Wahnsinnswürfeln.

Die Royals sind easy

Wir kamen ins Gespräch mit Manfred Möller und seiner Frau Claudia. Er erzählte vom renommierten Walserhof in Klosters, wo er einst kochte, und von den englischen Royals, die einfache und angenehme Gäste seien. Und wir erfuhren, dass Möller auch ein paar Jahre im luxuriösen Direktionsrestaurant der Novartis gekocht hatte.

Wir zogen weiter, die Möllers winkten von der Tür aus zum Abschied. Via Bättwil eroberten wir uns die Egg, einen langgezogenen Kamm, die Promenade und Joggingstrecke der Leute aus den Dörfern rundum. Die Wanderung wurde nun noch einmal richtig einsam. Hart an der Landesgrenze hielten wir vorwärts durch Wald und Wiesen, extraschnell, um Kalorien zu verbrennen. Die letzte Begegnung, bevor wir im Bahnhof Basel einliefen: ein Storchennest am Rand des Zoos Basel. Und darin ein Storch, der uns flügellos durchs Leben füsselnde Menschlein indigniert musterte.

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Route: Zwingen, Bahnhof - Zwingen, Birsbrücke - Blauen (Dorf) - Blauenpass - Bergmatten - Chälengraben - Hofstetten - Chöpfli - Flüh - Bättwil - Egg - Benken - Biel - Oberchems - Hof - Herzogenmatten - Dorenbach - Zoo Basel - Basel SBB.

Wanderzeit: 6 Stunden.

Höhendifferenz: 690 Meter auf-, 760 abwärts.

Wanderkarte: 223 T Delémont (für die ersten 500 Meter) und 213 T Basel, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Kürzer: Dank der Dörfer am Weg kann man die Wanderung beliebig kürzen.

Charakter: Aparter Jura hart an der Landesgrenze. Viel Aussicht von den Höhen auf die Stadt Basel, die Festung Landskron, das Sundgau.

Höhepunkte: Das Kamel von der Bergmatten und gleich anschliessend der Chälengraben. Die Aussicht und der jähe Tiefblick vom Chöpfli über Flüh und etwas später der Zmittag im Restaurant Martin in Flüh.

Kinder: Auf dem Chöpfli muss man auf Kinder aufpassen, der Aussichtspunkt ist nicht gesichert.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Bergmatten, Mo, Di geschlossen. Restaurant Martin in Flüh, So, Mo geschlossen. Reservierung an beiden Orten empfohlen!

Rückkehr zum Ausgangspunkt: Mit dem Zug von Basel direkt nach Zwingen.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Jedem Bauern sein eigener Gupf

Diese Woche von Entlebuch via Bramboden nach Romoos LU

Diese Entlebuch-Wanderung, es sei vorausgeschickt, hat mir selten starke Bilder geschenkt. Sie ist eine der schönsten Routen meines Wanderlebens. Das erste grosse Bild schob sich uns vor Augen, als wir vom Bahnhof Entlebuch Richtung Bergli und Schüpferegg aufstiegen: das Land ein unablässiges Wellen, die Hügel keck mit Einzelbäumen, die Wiesen parzelliert in allen Stufen von Grün. Ein Mensch aus der Wüste, dem man hier die Augenbinde abnähme, würde rufen: «Ich bin im Paradies!»

Auf der Obstaldenegg – oder war es zuvor auf der Schüpferegg? – Peter in den Frühlingswiesen, die Arme mit den Stöcken ausgebreitet, eine Pose der Seligkeit. Wie ein Engel, der sich anschickte, uns zu entfliegen.

Wir stiegen ab zur Grossen Fontanne, einem der goldhaltigen Bäche des Napfgebiets. Und wir stiegen wieder auf und kamen zum Bramboden. Der Romoos zugehörige Weiler ist derart abgelegen, dass man ihn einst mit einer eigenen Kirche ausstattete. Daneben das Seminarhotel, in dem samstags und sonntags auch der Passant etwas trinken oder das Menü bestellen kann. Wir setzten uns auf die Terrasse, tranken Rivella, Tee, Mineral und dergleichen.

Urritual beim Fäligüetli

Gleich wieder abwärts. Ziegen drängten heran auf dem Weg in den Schlitz des Seeblibaches, leckten uns die schweissig-salzigen Hände. Tiefer unten ein Meiler, wir begingen auf diesem Abschnitt den Köhlerweg von Romoos. Freilich war es zu früh im Jahr, dass der Meiler geraucht hätte.

Unten folgten wir dem Seeblibach, flirrendes Licht in den Augen und tanzende Schmetterlinge, das Wasser im braunen Bachbett Glitzerstoff, die Nagelfluhhänge wie Canyonwände in einem Indianerfilm. Und erneut mussten wir hinauf und waren nun in einer Gegend ähnlich derjenigen, die wir am Anfang bewundert hatten: alles rund. Aber auch: alles coupiert. Jedem Bauern sein eigener Gupf. Ziegen, Kühe, kläffende Hunde, ein Mann mit Stumpen auf einem Töffli.

Obergrossegg, Oberhetzlig, schliesslich das Fäligüetli. Wir wichen vom signalisierten Wanderweg ab, hielten hinauf zum Waldrand zur Feuerstelle der «Schweizer Familie», packten Bürli aus, schnitten Holzspiesse zurecht, entkorkten Rotwein und steckten Würste auf. Allem aber vorgeordnet jenes Urritual, das mich immer in die Kindheit zurückwirft, als ich mit meinem Freund Ernst im Wald bei der Bisersweid in Stein die schulfreien Nachmittage verbrachte: Wir machten Feuer.

Die Bise sieht man nicht

Nach dem Essen noch einmal Frühlingsherrlichkeit: gelb beblumte Wiesen, der Wald noch feucht, Vogelgesang. Vor mir Ronja mit einem Plastiksack voller Abfall, den zu schleppen sie verdienstvollerweise angeboten hatte; unten in Romoos wurde sie ihn los. Endlich das letzte Bild der Wanderung: Einkehr im Kreuz, dem stilvollen, gelbfassadigen, weit über hundertjährigen Gasthaus von Romoos. Im Garten tranken wir ein Bier und waren uns einig, dass so ein Wandertag sein muss.

Mit einer Einschränkung. Etwas ist auf meinen vielen tollen Fotos der Entlebuch-Tour nicht zu sehen: die Bise. Wir klapperten trotz der Sonne mit den Zähnen, so eisig war der Wind. Gut so! Wäre die Bise nicht gewesen, wäre diese Wanderung perfekt gewesen. Also geradezu unheimlich schön.

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Route: Entlebuch Bahnhof - Bergli - Schüpferegg - Obstaldenegg - Fontanne - Ärbsegg - Bramboden - Luegmoos - Drachslis - (bachabwärts) - Obergrossegg - Oberhetzlig - Fäligüetli - Hängele - Säumettle - Weierhüsli - Romoos.

Wanderzeit: 61/4 Stunden.

Höhendifferenz: 980 Meter auf-, 870 abwärts.

Wanderkarte: 244 T Escholzmatt und 234 T Willisau, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Von Romoos Post mit dem Bus nach Wolhusen. Zurück zum Ausgangspunkt Entlebuch von Wolhusen per Bahn.

Charakter: Wunderschöne Hügelschweiz mit tiefen Tobeln dazwischen. Wiesen, Nagelfluh, Bäche im steten Wechsel. Anstrengend wegen des Auf und Ab.

Höhepunkte: Die Aussicht von der Schüpferegg. Der rührende Weiler von Bramboden. Das Brätlen beim Fäligüetli.

Kinder: Etwas weit. Etwas Vorsicht im Gebiet Drachslis, steile Wege, Nagelfluhhänge.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Das Seminarhotel Bramboden widmet sich vor allem angemeldeten Gruppen. Samstag und Sonntag circa ab 11 Uhr ist es auch für Passanten offen, man kann etwas trinken oder das Menü essen. Keine À-la-Carte-Bestellungen. Am Schluss im Kreuz in Romoos, Montag ist Ruhetag.

Brätlen: Beim Fäligüetli gibt es eine Feuerstelle der «Schweizer Familie».

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Die Oberaargauer Steintour

Diese Woche von Attiswil via Wiedlisbach nach Oberbipp BE

Attiswil ist ein Dorf zwischen Oensingen und Solothurn, ich fuhr früh los, war früh da. Nebel lag auf dem Land, sodass ich die erste Jurakette über mir nicht sah. Balmberg, Chamben, Rüttelhorn: alle unsichtbar.

Zuerst ein Abstecher zur Kirche. Ich wollte den Freistein besichtigen, einen nahen Menhir; er gilt als der einzige im Kanton Bern. Zur Erinnerung: Menhire oder Hinkelsteine sind längliche Steine, oft Findlinge, die von Menschen in der Vorgeschichte aufgerichtet wurden.

Unterwegs zur Kirche passierte ich das Atelier von Bildhauer Schang Hutter. Vor dem Gebäude am Boden eine Menschengestalt aus rostrotem Eisen, den einen Arm um den Kopf gekrümmt, den anderen flehentlich ausgestreckt.

Gab es beim Stein Asyl?

Gleich danach die Kirche und weiter vorn zur Rechten in der Wiese der Freistein. Gut 3,60 Meter hoch ist er und wurzelt zur Hälfte im Boden. Angeblich waren einst Flüchtige für eine gewisse Zeit unbelangbar, wenn sie bei ihm verharrten. Wirklich belegt ist das nicht.

Auf der nahen Strasse fuhren Autos vorbei, die Insassen glotzten: Was macht der Knülch da in der Wiese? Ich kehrte zurück zur Station. Der Wanderweg zog durch das Dorf in den Hang, drehte nach rechts, führte vorbei am Gerberhof in den Burchwald. An seinem Ende verliess ich den signalisierten Weg: Ich bog links ab, stieg am Waldrand auf, hielt wieder in den Wald hinein. Laub, morsche Äste, eine Krete. Auf der anderen Seite der Bernerstein, ein vermooster Findlingklotz von 200 Kubikmetern. Auf dem Rhonegletscher ritt er einst vom Dent-Blanche-Gebiet heran. Trutzig hockte er da, eine Inschrift verkündete: «Fündling staatlich geschützt.»

Bald war ich wieder auf dem Wanderweg, langte einige Zeit später in Wiedlisbach an. Die Grafen von Frohburg legten es um 1240 an zwecks Kontrolle der Hauensteinstrasse. Zwei Gassen und drei Häuserreihen, was für ein rührender, tapferer Winzling von Stadt.

30 Tote in Oberbipp

Das letzte Stück nach Oberbipp war kurz. Schloss Bipp hoch am Hang war nur knapp auszumachen, blieb eine Märchenskizze im Dunst. In Oberbipp fand ich auf der Hinterseite der Kirche den dritten Stein meiner Wanderung. Eigentlich war es ein Steinarrangement: Seitenblöcke und darüber eine Platte von sechs Quadratmetern. Ein prähistorisches Kammergrab, ein Dolmen. Dieser, gut 5000 Jahre alt, lag ursprünglich in einer Wiese an der nahen Steingasse, nur ein Teil lugte aus dem Boden. 2011 realisierte man, um was es sich handelte. Man grub und fand die Knochen von gut 30 bestatteten Menschen. Später zügelte man den Dolmen zur Kirche. Wobei: Nur die Deckplatte ist echt. Die Seitenblöcke mussten ersetzt werden.

Ich war beeindruckt. Bloss der Hunger irritierte meinen spirituellen Höhenflug. Ich schaute mich um und fand den Bären. Bald darauf wurde mir ein hervorragendes Mittagsmahl serviert, und ich dachte: Jungsteinzeit, sehr interessant. Aber essen tut man in der Neuzeit ganz sicher besser.

PS: Eben ist ein Wanderführer aus der bewährten Rother-Reihe erschienen, der punkto Gegend in diese Kolumne passt: «Emmental mit Oberaargau und Entlebuch». Zusammengestellt hat die 50 Routen der Berner Wanderautor Daniel Anker. Eine gute Sache. Der Bernerstein kommt übrigens auch vor.

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Karte: Auf der Wanderkarte 1:50'000 «Delémont» sind weder Freistein noch Bernerstein eingezeichnet. Auf der Landeskarte 1:25'000 ist der Freistein eingezeichnet und der Bernerstein als «Err. Bl.» (Erratischer Block) im Burchwald markiert; genau gleich verhält es sich mit der digitalen Karte von Schweizmobil.

Route: Attiswil Station - Kirche - Freistein (man sieht ihn bereits von der Kirche in der Wiese südlich) - wieder retour zur Kirche und zur Station - Gerberhof - Burchwald - Abstecher zum Erratischen Block und retour - Eichholz - Dettenbühl/ Alters- und Pflegheim Dahlia - Wiedlisbach Station - Städtchen - Oberbipp Kirche - Oberbipp Station.

Wanderzeit: 2 Stunden.

Höhendifferenz: 215 Meter aufwärts, 190 abwärts.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Die Bahnlinie Oensingen - Solothurn bedient Attiswil, Wiedlisbach und Oberbipp.

Charakter: Leichte Halbtageswanderung. Reizvolle Terrasse unter der ersten Jurakette, viel Historie.

Höhepunkte: Der Freistein. Der abenteuerlich gelegene Bernerstein. Das alte Städtchen Wiedlisbach. Und das stimmungsvolle Dolmengrab. Sowie die Einkehr im Bären Oberbipp.

Kinder: Keine grossen Probleme. Im improvisierten Steilstück zum Bernerstein muss man sie im Auge behalten.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: In den Dörfern. Hervorragend isst man im Bären in Oberbipp am Schluss. Täglich geöffnet, reservieren!

Neuerscheinung: Daniel Anker, «Emmental mit Oberaargau und Entlebuch», Rother-Wanderführer. 50 Touren samt Kärtchen, Höhenprofilen, Fotos. 208 Seiten, 20.90 Franken. Ein neuer Band aus der Standardreihe im praktischen Kleinformat.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Mit einem Pfadi auf dem Sprung

Diese Woche von Airolo durchs Bedrettotal nach All'Acqua TI

Airolo, Gehstart, Tröpfelwetter. Doch um es vorwegzunehmen – der Regen kam bis zum Schluss nicht. Schwarze Wolken dräuten zwar aus Norden heran, scheiterten aber beim Versuch, auch das Tessin zu belästigen. So genoss ich eine glückliche Wanderung ins Bedrettotal.

Sie begann am Bahnhof von Airolo. Die ersten zwanzig Minuten präsentierten ein Geschlinge und Gemenge von Strassen und Autobahn, Industriebauten, Elektriztitätsanlagen, Stauvorrichtungen. Ich kam an einer Wandnische mit der Heiligen Barbara vorbei, Schutzpatronin der Tunnelbauer, überquerte auf einer hohen Brücke den jungen Tessin, erreichte bei der Pesciüm-Seilbahn eine Schaukäserei.

Botta am Hang

Hernach beruhigte sich die Gegend. Rechterhand hoch am Hang sah ich die Schlingen der Gotthard-Passstrasse sowie allerlei Militärbauten, so auch Mario Bottas Kasernenbau. Darüber hohe Berge. Es reihten sich der Pizzo Lucendro, Pizzo Pesciora, Pizzo Rotondo und - fertig poetische Latinità - das Chüebodenhorn.

Zwei Dörfer tangierte der Weg, ich mochte Fontana und hernach Ossasco um ihrer rührenden Kleinheit wegen. Das Bedrettotal serbelt, die Jungen wandern ab, der Tourismus in der warmen Jahreshälfte bringt etwas Einkommen, aber wohl nicht genug. Ein Grund mehr, hinzuwandern und Geld auszugeben.

Nach Ossasco zog der Weg wieder etwas höher in den Hang. Ich traf einen Mann mit einem Sichtmäppchen, darin ein Block und ein Kugelschreiber. Ein Tessiner Pfadfinder am Rekognoszieren für ein Lager. Zusammen meisterten wir mit Bravour eine schwierige Stelle bei Schiavù. Ein Wildbach hatte einen Steg weggerissen, wir mussten springen und aufpassen, bei der Landung nicht auszurutschen; immer gut, in solchen Situationen einen Pfadi an der Seite zu haben.

Bei Gana senkte sich der Pfad wieder zur Bedrettostrasse, die ich in Sichtweite eines unschönen Schrottplatzes überquerte, um nun (in Gehrichtung gesehen) rechterhand des Tessin zu wandern. Gleich war ich wieder im lichtem Wald und fand, dass dies eine wirklich schöne Route war. Es war sozusagen bereits das Fazit. Bei All’Acqua nämlich, dem letzten Dorfweiler des Tals vor der eigentlichen Nufenen-Passstrecke, hatte ich mein Ziel erreicht.

Büdree?

Ich kehrte im Ristorante All'Acqua ein, bestellte, hatte bald eine saftige Kalbshaxe mit Gemüse und Polenta vor mir, dazu einen Boccalino mit Rotwein. Vom Dialekt der Einheimischen hinter mir verstand ich nur jedes zehnte Wort. «Bedretto» sprechen sie übrigens, hatte ich gelesen, «Büdree» aus.

Nach dem Essen besuchte ich das Kapellchen beim Restaurant. Dann der letzte Akt der Wanderung: Um die oberste dauerhaft bediente Haltestelle der Postautolinie durchs Tal zu erreichen, ging ich am Rand der Passstrasse 15 Minuten abwärts bis Cioss Prato - Vorsicht Autos, liebe Nachmacher!

Hübsches Zwischenspiel beim Warten: zwei ausgemergelte und ausgepumpte Holländer auf Rennvelos hielten und tranken, nein soffen aus ihren Bidonflaschen. Kurz darauf hielt ein Kleinbus. Zwei Frauen, wohl ihre Gattinnen, riefen durch das offene Fenster mir unverständliche, frech klingende Dinge und fuhren kichernd weiter. Die zwei Passhelden aber stiegen wieder auf und pedalten im Schneckentempo Richtung Nufenen.

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Route: Airolo Bahnhof - Schaukäserei/Pesciümbahn - Tamblina - Fontana - Ossasco - Schiavù - Gana - All'Acqua. Danach auf der Strasse in 15 Minuten hinab zur obersten auch im Frühling täglich bedienten Postautohaltestelle im Tal, Cioss Prato.

Wanderzeit: 4 1/4 Stunden.

Höhendifferenz: 627 Meter auf-, 220 abwärts.

Wanderkarte: 265 T Nufenenpass, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Buslinie Cioss Prato - Airolo.

Charakter: Leichte Wanderung, die Höhenmeter sind gut verteilt. Meist geht man abseits der Dörfer. Vorsicht am Schluss auf der Nufenenstrasse zwischen All'Acqua  und Cioss Prato! - Schöne Berge rundum, stilvolle Dörfer (die meisten sieht man aus der Distanz).

Höhepunkte: Die Dörflein Fontana und Ossasco. Die Ankunft im Restaurant All'Acqua und der erste Schluck Rotwein aus dem Boccalino.

Kinder: keine besonderen Probleme. Vorsicht auf den 15 Gehminuten am Rand der Strasse.

Hund: Problemlos.

Einkehr: Ristorante All'Acqua in All'Acqua. Die Öffnungszeiten hängen in dieser Jahreszeit u.a. vom Wetter und vom Zustand der Passstrasse ab. Am besten ruft man zuvor an: 091 869 11 11.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Was kommt zuerst: Das Alpstöbli oder der Regen?

Diese Woche von der Schwägalp-Passhöhe via Hinterfallenchopf und Mistelegg nach Hemberg SG


Schlierig der Himmel, warm die Luft. Am Nachmittag kämen von Westen Gewitter, hat der Radiomorgenmann gesagt. Wir sind erstens in der Ostschweiz und zweitens früh dran, es sollte also reichen, dass wir vor dem Unwetter ans Ziel kommen, nach Hemberg.

Bei der Schwägalp-Passhöhe steigen wir aus dem vollen Bus. Autos, Velos, Töfffahrer, was für ein Rummel!

Häslibeier?

Indem wir als Nahziel den Chräzerenpass wählen, sind wir all das schnell los. Noch besser: Uns wird ein Naturidyll geschenkt. Ruppig ist der Waldpfad, es geht auf und ab, Wurzeln bringen uns ins Stolpern, in den Senken ist der Boden moorig mit hilfreichen Holzstegen. Hier wachsen Heidelbeeren, Häslibeier genannt in meinem Dialekt, der zehn Kilometer entfernt gewachsen ist.

Den Chräzerenpass, einen längst bedeutungslosen Übergang vom Toggenburg ins Ausserrhoder Hinterland, haben wir schnell hinter uns. Im Gebiet Horn geraten wir in klassisches Alpgelände, wandern längere Zeit auf einem Fahrsträsschen. Gut so, bald ist da zur Rechten ein unheimlicher Abgrund. Tief unten ist das Ofenloch zu erahnen, aus dem der Necker entspringt; davon ein andermal mehr.

Bei der Alp Ellbogen beginnt der rampenartige Aufstieg zum Hinterfallenchopf, einem ziemlich unbekannten Aussichtspunkt. Rundum gupft es grün, mancherorts freilich zerschneidet eine Nagelfluh-Wand scharf den Samt. Oben Sehglück: Säntis, Stockberg, Speer und so weiter und so fort. Man erlaube mir, keine weiteren Gipfel aufzuzählen, sonst ist die Kolumne frühzeitig am Ende, weil ihr Platz ausgeschöpft ist.

Wir steigen wieder ab zur Hinteren Chlosteralp, steigen wieder auf, es kommt ein zweiter, genauso schöner und dabei ebenso unbekannter Aussichtspunkt, die Gössigenhöchi. Das Bänkli lädt zum Verweilen und Schauen, doch leider hat sich der Himmel verdüstert. Mindestens die Mistelegg wollen wir trockenen Fusses erreichen, dort unten im engen Tal des jungen Neckers gibt es eine Wirtschaft, in der ich schon als Kind war.

Also weiter. Die nächsten Kilometer geht es eigentlich nur abwärts vorbei an verwitterten Hemetli durch Wiesen und Wald in seltener Harmonie. Der Alpsteinriegel verhüllt sich nach und nach. Doch wir erreichen die Mistelegg rechtzeitig. Hinten sichtbar am nahen Horizont das Kretendorf Hemberg. Aber zuvor soll eingekehrt werden.

Wie der Vater, so der Sohn

Das Alpstöbli in der Mistelegg ist eine alte Bauernwirtschaft, wie ich sie liebe. Echt, unaffektiert, gemütlich mit einer Stube in Holz. Wirt Markus Nef, der im Winter übrigens auch Schneeschuhtouren anbietet, begrüsst uns. Als ich in den Siebzigerjahren mit den Eltern hier war, wirtete sein Vater, der Nationalrat Georg Nef. Nun also der Sohn. Gute Spätzli macht er.

Während wir essen, setzt draussen kraftvoll der Regen ein. Josephine hat keine Lust auf 50 Minuten Aufstieg nach Hemberg; sie fragt den Wirt, ob er nicht mit dem Auto… Ja, sagt er. Wir anderen verzichten heroisch, wir wollen konsequent zu Fuss gehen. In Hemberg bei der Post sind wir triefnass, im Postauto nach Wattwil laufen Wasserrinnsale über den Boden. Wir sind klamm und schlottern, Josephine hats gemütlich. Draussen ist alles grau, von der Schönheit der Landschaft nichts mehr zu sehen. Macht nichts, sie ist nun in uns als Erinnerung.

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Route: Schwägalp-Passhöhe (Bus ab Bahnhof Nesslau-Neu St. Johann oder ab Bahnhof Urnäsch) - Chräzerenpass - Horn - Ellbogen - Hinterfallenchopf - Hintere Chlosteralp - Gössigenhöchi - Chochiwees - Ritteren - Grundlosen - Geeren - Mistelegg - Alpstöbli (Restaurant) - Eggli - Hemberg Post.

Wanderzeit: 51/4 Stunden.

Höhendifferenz: 640 Meter auf-, 980 abwärts.

Wanderkarte: 227 T Appenzell, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Von Hemberg mit dem Postauto zum Bahnhof Wattwil.

Kürzer: Keine sinnvollen Kurzvarianten.

Charakter: Wandern im Vorland des westlichen Alpsteins, später im Neckertal. Je länger man wandert, desto einsamer. Herrliche Bergblicke.

Höhepunkte: Der Tiefblick ins Ofenloch vom sicheren Fahrsträsschen vor der Alp Ellbogen. Die Eroberung des Hinterfallenchopfs und die Aussicht rundum. Dito die Eroberung der Gössigenhöchi und die Aussicht rundum. Die Einkehr im Alpstöbli in der Mistelegg.

Kinder: Vorsicht zwischen Horn und Ellbogen auf der Höhe der Ofenlochschlucht. Der Wanderweg verläuft auf einem breiten Fahrsträsschen. Rechts der Strasse fällt das Gelände senkrecht ab. Kinder im Auge behalten.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Am Anfang und am Schluss. Sowie eine knappe Stunde vor Wanderende im Alpstöbli. Mi, Do Ruhetag.

Rückkehr zum Ausgangspunkt: SBB-Fahrplan konsultieren.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Wir und die Nacktwanderer

Diese Woche von Horw via Rotenflue ins Eigental LU/NW

Als wir in Horw aus dem Zug stiegen, «Horb» ausgesprochen, einem Vorort Luzerns, strahlte die Sonne. Freilich blies auch eine scharfe Bise. Ich schloss meine Wanderjacke bis unters Kinn und dachte: Jetzt nackt sein wäre lebensgefährlich. Mindestens einen Nierenschaden würde es setzen. Oder eine Lungenentzündung.

Einige Zeit zuvor hatte ich in der Zeitung gelesen, dass im Vorjahr am Schwendelberg oberhalb von Horw neun Nacktwanderer unterwegs gewesen waren. Oberhalb des gleichnamigen Restaurants brieten sie, allesamt junge Männer, an einem Waldrand Würste. Die Männer hätten, erzählte ein Restaurantgast in dem Artikel, bloss Hüte und Schuhe getragen. Das dann doch. Inkonsequentes Volk!

Der Mayatempel von Horw

Von Horws Station waren wir schnell am Siedlungsrand, passierten zuvor noch eine Art Kamin, der dick und gedrungen war. Ein Abluftkamin? Eine steile Treppe führte vom Vorplatz an seinen Fuss. An der einen, die Treppe begrenzenden Seitenwand wucherte grünes Blattwerk hoch. Das Ganze erinnerte an einen Mayatempel.

Mit dem Hang begann die Strapaze. Oben beim Schwendelberg schwitzten wir, genossen gleichzeitig vor dem Restaurant, einem beliebten Ausflugslokal, die Sicht auf den tiefblauen Vierwaldstättersee, in dem der Bürgenstock wie eine Insel hockte. Nachdem wir noch höher gestiegen waren und dabei die Buholzerschwändi geschätzt hatten, eine Wiesenlichtung von grünstem Grün, war die Sicht bei der Roteflue noch besser: Sie offerierte dasselbe Sensationsszenario bei noch mehr Seefläche. Gut, dass es einen Zaun gab, zu unseren Füssen fiel das Gelände brutal steil ab.

Via Schönenboden kamen wir zur Trämelegg, stiegen und stiegen, der Waldboden war wurzeldurchsetzt und von Buschwerk überwuchert. Dazwischen machten moorige Senken das Gehen schwer. Meine Karte zeigte an, dass wir zeitweilig knapp nicht mehr im Kanton Luzern, sondern in Nidwalden unterwegs waren. Nacktwanderer waren nicht auszumachen, kein Mensch weit und  breit. Endlich senkte sich der Pfad wieder, wir hatten den Kulminationspunkt unserer Route auf etwas unter 1300 Metern hinter uns, uff.

Wir unterquerten die Gondelbahn von Kriens zur Fräkmüntegg; weiss jeder, dass «Fräkmünt» von lateinisch fractus mons kommt? «Zerborstener Berg» hiess einst der Pilatus, der im weissen Wintergewand unser Grüpplein überragte.

Hernach ein Ort namens Mülimäs. Keine Ahnung, wie der Flurname zu erklären ist; freilich fiel mir ein, dass ich als kleines Kind statt «Mayonnaise» immer «Meiermäs» verstand und sagte. Ich meinte, die Ware aus der Tube komme von einem Herrn Meier.

Ötziwear

Nach dem stillen Wald der Dornegg und einer kleinen Gegensteigung langten wir beim Chräigütsch an, einer Art Minipass, dem Seiteneinstieg ins knapp 100 Meter unter uns sich erstreckende Eigental. Das letzte Stück war ein zufriedenes Auslaufen; wir erblickten von oben das Hotel-Restaurant Hammer, bewunderten bald darauf die Wallfahrtskapelle des Tals, liefen im Eigenthalerhof ein, in dem ich reserviert hatte.

Beim Essen fielen mir wieder die Nacktwanderer ein. Was für ein absurdes Tun! Schon der Alpenwanderer Ötzi trug vor mehr als 5000 Jahren Kleider. Leggins aus Schaffell, eine Schaffelljacke und eine Mütze aus Wolfsfell.

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Route: Horw, Station - Schwendelberg - Buholzerschwändi - Roteflue - Schönenboden - Mülimäs - Dornegg - Rosshütte - Chräigütsch - Eigental, Kapelle - Eigenthalerhof.

Wanderzeit: 41/2 Stunden.

Höhendifferenz: 1004 Meter aufwärts, 425 Meter abwärts.

Wanderkarte: 235 T Rotkreuz und 245 T Stans, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Bus von der Haltestelle beim Eigenthalerhof direkt zum Bahnhof Luzern.

Charakter: Ziemlich steil. Zum Teil Moorboden, feucht und dreckig. Unglaublich aussichtsreich. Nach einsamen Partien hat es am Schluss im Eigental meist viel Volk.

Höhepunkte: Der Blick von der Roteflue, einem der schönsten Panoramen der Schweiz. Die Einkehr im Eigenthalerhof.

Kinder: Vorsicht auf der Roteflue!

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Schwendelberg. April bis September täglich offen ab 11 Uhr. Eigenthalerhof. Mo/Di Ruhetag. Alternative im Eigental: Hotel-Restaurant Hammer.

Rückkehr zum Ausgangspunkt: Bus nach Luzern, S-Bahn nach Horw.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Und zum Schluss die Dinosaurier

Diese Woche von Biel über die Chasseralkrete nach La Heutte

Ein neuer Führer mit 50 Schweizer Routen erfreut mich. Er stammt vom «Tierwelt»-Wanderkolumnisten René P. Moor, einem Mann mit Sinn für das Skurrile. Nur ein Beispiel: Moors Visite in Moskau. Wie der Weiler im Schaffhauser Grenzdorf Ramsen zu seinem originellen Namen kam – man lese es nach in «Rucksacktage».

Und damit zur Route der Woche. Lang ist sie, aber auch kurzweilig – und wer sich die ersten fast vier Stunden sparen will, nimmt einfach von Biel den Bus nach Les Prés-d’Orvin. Wir gingen zu Fuss, genossen vom Aussichtspunkt Pavillon den Blick über den Bielersee, nahmen im Zickzack die steile Halde mit dem Magglingen-Bähnchen.

Diesmal nicht, Chasse!

«End der Welt» in einem Winkel von Magglingen stellte sich als sportiver Ort heraus: Junge beim Fussballspielen, Turnhallen. Hernach der Abstieg in die Geländesenke von Jorat und der nächste Aufstieg nach Les Prés-d’Orvin, dem feinen Skigebiet der Bieler; unvergesslich eine frühere Wanderung, die uns von dort zur «Weinprobe» im Obelixweiler Schafis geführt hatte, einem bacchantischen Fest.

Auf den Juraweiden von Les Prés-d’Orvin hatten wir die gewaltige Antenne des Chasseral vor Augen. Nein, diesmal nicht! Wir erstiegen uns zwar die Chasseralkrete, folgten ihr aber nicht zum Gipfel, sondern hielten auf der anderen Seite wieder hinab – und waren nun gleich am Ziel unserer Fantasien. Es wimmelt am Chasseral von Métairies, wie man die jurassischen Bauernwirtschaften nennt.

Wir machten halt in der Métairie du Bois Raiguel, zu Deutsch: Rägiswald. In der Stube neben der Küche assen wir, ich hatte ein Kotelett mit einer Rösti, wie ich sie in meinem röstireichen Leben nie zuvor buttriger gehabt hatte. Am Schluss nahm ich einen Jänzenen-Schnaps. Und weil auf dem Hof gekäst wird, kauften wir Käse. Herrlich und rezent roch es aus meinem Rucksack, sodass sich viel später bei der Heimfahrt in der ziemlich vollen Forchbahn von Zürich-Stadelhofen nach Zollikerberg niemand neben mich setzte.

Als wir die Métairie unseres Herzens verliessen, war der Himmel weit und von Kinowolken überzogen. Wir kamen über Weiden, durchsetzt vom Gelben Enzian, dessen schnapsgewordene Wurzel ich eben getrunken hatte. Ich grüsste jede Pflanze einzeln mit den Worten: «Lieber Freund, du bist ein kleines Wunder.» Das andere Wunder waren die Trockenmäuerchen, zum Teil alt, zum Teil liebevoll restauriert.

Le Graben

Nach Le Graben gerieten wir in die im bilinguen Flurnamen angedeutete Geländerinne. Eine Mutterkuh und ihre Kälblein ignorierten mich und Ronja, die gelassen an ihnen vorbeigingen und dabei schamanisch summten, während der Rest des Grüppleins hasenfüssig hoch in den Hang geeilt war, um die Tiere zu umgehen. Weiter unten der höllische Einschnitt der Porte des Enfers. Danach hätten wir die Direttissima nach La Heutte nehmen können.

Stattdessen leisteten wir uns eine weite Spitzkehre durch die Forêt de l’Envers, bevor die Wanderung an der tristen Station von La Heutte endete. Wir taten es mit Bedacht. In diesem Wald gibt es direkt am Wanderweg in einer durch die Gebirgsfaltung senkrecht gestellten Wand Trittsiegel von Dinosauriern. 145 Millionen Jahre alt sind sie, man kann sie aus der Nähe betrachten und berühren. Brachiosaurus, ein Pflanzenfresser, wog 20 Tonnen, war neun Meter hoch. Was für eine monumentale Wanderung!

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Route: Biel Bahnhof – Talstation Magglingen-Standseilbahn – Pavillon – End der Welt – Jorat – Les Prés-d'Orvin, Bellevue – Chasseralkrete auf 1288 m – Métairie du Bois Raiguel/Rägiswald – Métairie de Gléresse – Le Graben – Porte des Enfers – Forêt de l'Envers – Dinosaurierspuren – La Heutte, Station.

Wanderzeit: 8 Stunden.

Höhendifferenz: 1201 m aufwärts, 1032 m abwärts.

Wanderkarte: 232 T Vallon de St-Imier, 1:50'000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Mit dem Zug von La Heutte nach Biel SBB.

Kürzer: Mit dem Bus vom Bahnhof Biel nach Les Prés-d'Orvin, Bellevue und hier beginnen. Das spart 3 Stunden 45 Minuten Gehzeit und 817 Höhenmeter aufwärts sowie 247 abwärts.

Charakter: In den Jura hinein, ins Reich der Trockenmauern, Wiesen mit Gelbenzianstauden, einsamen Höfen. Anstrengend, weit, wunderschön.

Höhepunkte: Das Tälchen von Jorat nach End der Welt. Die Strecke durch die Juraweiden zwischen Les Prés-d'Orvin und der Chasseralkrete. Die grossartige Bauernwirtschaft Bois Raiguel. Die Dinosaurierspuren von La Heutte aus nächster Nähe.

Kinder: Weit.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Biel, Magglingen, Les Prés-d'Orvin. Métairie du Bois Raiguel/Rägiswald: Ruhetag Mo.

Dinosaurier: Artikel von Thomas Widmer aus dem Tages-Anzeiger/Bund; auch La Heutte kommt vor.

Neuerscheinung: René P. Moor, «Rucksacktage». Edition Wanderwerk, bebildert, 246 Seiten, 26 Franken.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Triumph der Geometrie

Diese Woche von Bern via Reichenbach und Schüpberg nach Schüpfen BE

Wir besammeln uns in der Unterführung im Bahnhof Bern, wie immer zieht es grässlich. Doch das ist noch gar nichts. Draussen bläst die Bise.

Vom Bahnhof geht es das Bollwerk hinab zur Lorrainebrücke. Vor der Brücke steht rechts in der Ecke verschupft ein Wanderwegweiser. Wir finden einen steilen Pfad die Halde zur Aare hinab. Unten der Blutturm, uff, was für ein Name! Hexenturm hiess er auch und war Teil der Stadtbefestigung.

Entlang des herzhaft grünen Flusses geht es stadtauswärts, zuerst unter der Eisenbahnbrücke, später unter der Autobahnbrücke hindurch. Wir teilen uns die schöne Passage am Fluss mit Velölern und Joggern. Dann verlassen wir das Wasser zeitweilig und steigen auf zur Station Tiefenau und weiter, einem Kirchturm entgegen.

Viel zu kurze Fährfahrt

Die Matthäuskirche ist noch jung und besteht aus einem Dreieck, der Kirche selber, und einem hohen Rechteck, dem Turm. Daneben ein Kreis im Gras. Es handelt sich um ein spätantikes Amphitheater. Triumph der Geometrie, wie das alles harmoniert.

Wir halten vollends hinein in die grosse Aareschleife nördlich von Bern. Der Reichenbachwald schützt gegen den Giftwind; immer wieder mal lesen wir ein Schild des Archäologiepfades. Die Engehalbinsel ist durchsetzt mit gallorömischen Relikten, mit Wällen zum Beispiel. Sie ist eine Bastion der Natur, nachgerüstet mit den Mitteln des Menschen.

Bei der Reichenbachfähre klingeln wir, die Fährfrau kommt, zwei Franken kostet die Fahrt pro Person und ist leider viel zu kurz. Die Fähre entstand, nachdem sich zur Mitte des 18. Jahrhunderts ein britischer Gesandter auf Schloss Reichenbach einquartiert hatte. Der hohe Herr mochte es nicht, zu seinen diplomatischen Geschäften in Bern stets einen Umweg nehmen zu müssen. Heute ist die Fähre Teil des öffentlichen Verkehrs mit festen Betriebszeiten.

Auf der anderen Seite sehen wir ein Gartenrestaurant; leider ist es zu früh für Fisch. Schloss Reichenbach zur Linken enttäuscht uns, es ist sozusagen mit einer gewaltigen Brauerei zusammengewachsen. Wir halten den Stutz hinauf, biegen oben links ab, sind nun eingespurt Richtung Kirchlindach. Herrlich das offene Land und die weiten Felder. Unherrlich, dass wir auch auf diesem Abschnitt zeitweise auf Asphalt gehen.

Roland, der Geh-Twitterer

Im Weiler Niederlindach steht ein menschenhohes Sudoku. Die Zahlen würden zweimal pro Monat ausgewechselt, sagt das Schild daneben. Kirchlindach queren wir später speditiv, denn wir haben Hunger. Noch etwas mehr Höhe ist zu gewinnen, noch etwas mehr Sicht erlangen wir damit. Dann der Schüpberg, ein Bauernweiler. Sein Restaurant, das Schüpbärg-Beizli, ist weitum bekannt.

Gut, haben wir reserviert! Auf unserem Tisch ein Schiefertäfelchen, darauf steht: «Herzlich willkommen! Widmer». An den Wänden Riesenfotos des Kochs beim Bereiten spektakulärer Häppchen – gastronomischer Personenkult. Das Essen ist aber sehr gut, meine Bauernbratwurst eine Riesenkurve und die Rösti knusprig, wie sie sein soll.

Es folgt der Schlussakt: Abstieg nach Schüpfen, wo Alt-Bundesrat Rudolf Minger seinen Hof hatte. Unsere Wanderung endet am Bahnhof, und man ist sich einig, dass sie toll war. Auch wenn die Bise blies. Und dem Asphalt zum Trotz. Ein zusätzliches Happy End: Roland hat sein Handy verloren und es nach kurzer Suche wiedergefunden. Gut so, er braucht es heftig. Manchmal twittert er sogar im Gehen.

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Route: Bern Bahnhof - Brückenkopf Lorrainebrücke mit Wanderwegweiser rechts in der Ecke vor der Brücke - Blutturm an der Aare - Aaregg - Tiefenau - Matthäuskirche mit Amphitheater - Reichenbachwald - Reichenbach-Fähre - Schloss Reichenbach - Riederenwald, Abzweiger beim Büsselimoos - Niederlindach - Kirchlindach - Chuerain - Kalewart - Schüpberg - Lindenwald - Schüpfen Bahnhof.

Wanderzeit: 41/4 Stunden, davon 3/4 Stunden nach dem Essen auf dem Schüpberg.

Höhendifferenz: 290 Meter aufwärts, 310 abwärts.

Wanderkarte: 243 T Bern und 233 T Solothurn, 1:50 000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Direkt mit der S 3 von Schüpfen nach Bern.

Charakter: Äusserst abwechslungsreiche Tour mittlerer Länge. Viel Archäologie und Geschichte im ersten Drittel. Danach Bauernland. Längere Abschnitte auf Hartbelag.

Höhepunkte: Der finstere Blutturm gleich nach dem Start. Das Amphitheater aus der Spätantike. Die Fährfahrt. Der Zmittag auf dem Schüpberg.

Kinder: Gut, weil abwechslungsreich. Vorsicht am Aareufer, kein Geländer, reissender Fluss!

Hund: Gut.

Einkehr: Mehrere Möglichkeiten. Schüpbärg-Beizli: Di, Mi Ruhetag. Betriebsferien 2015: 7. Juli bis 23. Juli und 22. September bis 30. September.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Wo ist hier bitte die Passhöhe?

Diese Woche von Peist via Faninpass und Arflinafurgga nach Fideris GR


Peist empfängt uns kühl: wildes Wolkentreiben, keine Sonne. Der Optimist im Widmer dreht die Sache ins Positive und findet das gut. Wir werden weniger schwitzen auf den vielen Höhenmetern hinauf zum Faninpass und der Arflinafurgga.

Der Baum in der Ecke des Bahnhofplatzes wirkt ein wenig verschupft. Ein Schild kennzeichnet ihn als «Esche, Baum-Riese». Die Peister Esche ist berühmt, sie besitzt auch einen Wikipedia-Eintrag. Um 1660 wurde sie gepflanzt, hat an der dicksten Stelle einen Umfang von etwas mehr als neun Metern und soll «europaweit die älteste ihrer Art» sein. Skepsis ist allerdings bei Superlativen angebracht. Wer weiss, ob nicht irgendwo in Siebenbürgen oder so eine noch ältere Esche steht, die keinen Wikipedia-Gönner hat. Aber eindrücklich ist der Baum von Peist auf jeden Fall.

Wir gehen hinauf ins Dorf, queren die gefährliche Strasse von Chur nach Langwies und Arosa, spuren ein Richtung Pass. Schön die Poesie der Flurnamen am Hang: Chegelboden, Nigg, Tarnatel. Und Maselfa, was klingt, wie wenn ein amerikanischer Ghetto-Hip-Hopper das Wort «myself» daherrappt.

Eine Zeit lang gehen wir auf einer Alpstrasse. Dann wieder Naturboden, moorig, braunrot, federnd, ein Gelenkfest. Endlich der Faninpass. Er ist oben flach, also Antidrama, der Wanderer denkt nicht «Juhee, ich bin oben!», sondern eher «Wo ist hier bitte die Passhöhe?». Kurz darauf sind wir bei der leicht höheren Arflinafurgga, Scheitelpunkt der Route vom Schanfigg ins Prättigau.

Bei der Furgga sitzt Ronja in ihrer hellgelben Regenjacke am Weg und liest in einem Wirtschaftsbuch. Sie hat auf uns gewartet, lächelt uns zu, steht auf, schliesst sich wieder an. Sie ist einfach schneller unterwegs als der Rest von uns. Eine unerklärliche Fitness wohnt in ihr.

Grossartig das Wetter nicht erst auf dem Kamm. Den ganzen Aufstieg über nebelte es immer wieder aus den Tiefen der Täler und Tobel. Die tieferen Berge vermochten sich nicht zu wehren und sind im Grau ertrunken. Höhere aber wie das nahe Mattjisch-Horn schauen stolz aus dem Dunst.

Wir steigen ab zu den Fideriser Heubergen, freuen uns an den Seelein direkt unter uns. Die warme Jahreszeit ist nicht die vorteilhafteste dieses weiten Kessels: Skiliftmasten, Chalets und weiteres Menschenwerk der groben Art und kein veredelnder Schnee. Das Berghaus Arflina ist auch keine Schönheit. Und doch freuen wir uns, dass es da ist und offen hat. Wir kehren ein. Mein Hamburger ist grässlich verbrannt, ich retourniere, er kommt besser zurück, okay, danke!

Nun geht es abwärts, zuerst auf dem Hartbelag des Strässchens, das im Winter als Schlittelpiste dient, später durch Wald und Wiese. Geradeaus haben wir am Gegenhang Pany und weiter hinten St. Antönien, gute Wandererinnerungen steigen auf. Zu unserer Rechten klafft bös ein Tobel mit erodiert-kahlen Wänden. Ein Mann vor einem Haus, mit dem wir ins Gespräch kommen, erzählt uns, dass er ab und zu hinabsteigt, als Pilzler und Jäger. Der hat Mumm!

Fideris, Wanderschluss. Bis der Bus kommt und uns hinab zum Bahnhof Schiers trägt, sehen wir uns um. Schön geschlossen ist das Dorf mit seinen uralten Häusern. Im frühen Mittelalter sprach man Rätoromanisch. Dann kamen die Walser, Siedler deutscher Zunge. Der Ort germanisierte sich und hatte seine Latinität schon zur Zeit der Reformation verloren. Fadrein hiess er einst.

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Route: Peist, Station – Peist – Unter Maiensäss – Chegelboden – Nigg – Tarnatel – Maselfa – Faninpass – Arflinafurgga – Fideriser Heuberge/Berghaus Arflina – Tschess – Val Maladersch – Valsigg – Caschnaus – Almeindli – Fideris.

Wanderzeit: 6 Stunden.

Höhendifferenz: 1000 Meter auf-, 1350 abwärts.

Wanderkarte: 248 T Prättigau, 1:50’000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Bus von Fideris nach Schiers Bahnhof.

Charakter: Einfache Bergwanderung, keine gefährlichen oder ausgesetzten Stellen. Viel Aussicht. Auf beiden Seiten gibt es Teilstücke auf Asphalt.

Höhepunkte: Der Rückblick auf das herzige Hangdorf Peist. Der federnde Moorboden im Aufstieg zur Arflinafurgga. Der Blick von der Furgga zum dominanten Mattjisch-Horn. Das schöne Dorf Fideris am Ende.

Kinder: Keine Probleme.

Hund: Keine Probleme.

Einkehr: Berghaus Arflina, durchgehend offen.

Rückkehr zum Ausgangspunkt: Fideris bis Bahnhof Schiers per Bus. Dann per Zug nach Landquart, Chur, Peist Station.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Augenschmaus von A bis Z

Diese Woche von Kaiserstuhl via Sanzenberg und Stadlerberg nach Steinmaur (AG/ZH)

Kaiserstuhl ist zu schön, es zu ignorieren. Leisten wir uns daher vor der Wanderung einen Schlender-Abstecher in den Ort hinein. Vom Bahnhof halten wir hinüber zum massiven Wehrturm. Von ihm als Scheitelpunkt weitet sich die winzige Stadt die steile Halde hinab zu einem Dreieck.

Was wir sehen, während wir abwärtsgehen, ist begeisternd: mittelalterliche Gassen, weitgehend unbebaute Rheinufer und Schloss Rötteln auf der deutschen Seite. Das deutsche Hoheitsgebiet wird auf der Rheinbrücke angezeigt durch das Bundeswappen mit dem Adler, den schon Friedrich Barbarossa im 12. Jahrhundert verwendete.

Das Einzige, das nervt: die Autofahrer und ihr Gekarre. Viele sind Schweizer auf Shoppingtour in Deutschland. Die beste Medizin gegen aufkeimende Aggression ist eine Einkehr in der Fischbeiz direkt am Rhein. Man isst hier nicht billig, aber es lohnt sich: Was für schöne Teller serviert werden! Obwohl der Tropfen eigentlich zu stark ist für den Fisch, sei zum Essen trotzdem der «Edelblut» empfohlen, ein Pinot noir aus dem Barrique vom Weingut Baumgartner in Tegerfelden, unglaublich würzig.

Zur Helvetierschanze

Nach dem Abstecher halten wir vom Bahnhof über die Ebene nach Fisibach. Dieser Abschnitt, der eine Viertelstunde dauert, ist der einzige unstimmige der Route, wir gehen auf dem Trottoir der viel befahrenen Strasse. Bald ist das aber vorbei. Auf mässig steilen Wegen erobern wir uns den Sanzenberg, einen wuchtigen Waldhöhenzug. Bei der Spitzfluh treten wir an die Kante und geniessen den Tiefblick, uns zu Füssen liegt das Bachsertal samt dem Fisibach.

Meist im Wald, ziehen wir vorwärts zum Stadlerberg. Wir erreichen ihn in einer exaltierten Linkskurve via Müliboden und Haggenberg und gehen dabei kurz abwärts, dann wieder aufwärts. Nicht verpassen sollten wir die Tafel zur «Helvetierschanze». Einst legten Menschen auf dem Stadlerberg eine Fluchtburg oder Höhensiedlung an. Sie ist offenbar noch nicht richtig untersucht. Gut sichtbar sind die Wälle und Gräben. Vergleichbare Erdwerke der Region entstammten der späten Bronzezeit oder gar der Jungsteinzeit, sagt die Tafel.

Der Holzturm auf dem Stadlerberg, 25 Meter hoch, ist garantiert Neuzeit. Auf ihm bietet sich ein Panorama. Vor allem aber sind da die anfliegenden Flugzeuge, die wir schon in Kaiserstuhl gehört haben. Über unseren Köpfen halten sie Richtung Kloten und den Flughafen Zürich, die befeuerte Landepiste ist in einiger Distanz zu sehen.

Nette Schlusspartie

Wir sind noch lange nicht am Ende. Bachs am Fusse des Bergs ist das nächste Ziel, auf dem Wegweiser nahe dem Turm ist es nicht angeschrieben – Karte studieren! Im Südteil des Dorfes können wir im Neuhof im Garten essen und trinken, wenn wir nicht schon in Kaiserstuhl zugeschlagen haben. Es folgt ein letzter, weniger hoher Waldhügel. Und eine nette Schlusspartie von der Egg hinab zur Station Steinmaur. Direkt vor Augen haben wir den langen Grat der Lägern mit dem kugelförmigen Radom und auf ihrem linken Ausläufer gegen Dielsdorf das Adelsstädtchen Regensberg. Doch, diese Wanderung erfreut das Auge von Anfang bis Ende.

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Route: Kaiserstuhl. Vor der eigentlichen Wanderung macht man einen Abstecher von Kaiserstuhl Bahnhof (hierher mit dem Zug oder Bus) ins alte Städtchen. Danach: Kaiserstuhl – Fisibach – Sanzenberg – Haggen – Stadlerberg – Bachs – Hochrüti – Stockacher – Egg – Steinmaur, Station.

Wanderzeit: 41/2 Stunden ohne den Abstecher am Anfang.

Höhendifferenz: 420 Meter auf-, 336 abwärts.

Wanderkarte: 215 T Baden, 1:50’000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Von der Station Steinmaur mit der S-Bahn nach Oerlikon und Zürich.

Charakter: Das Land als Garten. Nicht allzu schlimme Steigungen. Herrlicher Rhein am Anfang. Hernach viel Aussicht von der Spitzfluh auf dem Sanzenberg und vom Stadlerberg-Turm.

Höhepunkte: Der Rhein in Kaiserstuhl mit weitgehend unbebauten Ufern. Die Sicht von der Spitzfluh auf das Bachsertal. Flugzeugschauen und Panoramagenuss vom Turm auf dem Stadlerberg.

Kinder: Vorsicht auf der Spitzfluh!

Hund: Perfekt.

Einkehr: Ganz zu Beginn die Fischbeiz in Kaiserstuhl (Di/Mi geschlossen, am Sonntag durchgehend warme Küche). Oder nach zwei Dritteln der Neuhof in Bachs (kein Ruhetag, aber aussergewöhnliche Öffnungszeiten).

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Kurzbesuch auf dem Mars

Diese Woche auf den Berg La Dôle im Waadtländer Jura

Ich schrieb in dieser Kolumne vor langer Zeit, dass gewisse Berge halt einfach ins Portefeuille des Schweizer Wanderers gehören, der Grosse Mythen etwa, der Säntis, der Niesen. La Dôle im Waadtländer Jura gehört auch dazu. Die weisse Kugel macht es aus. Von weitem ist sie sichtbar und markiert den Berg und macht ihn zum Objekt des Begehrens. Wenn man von Lausanne nach Genf fährt und auf der Höhe von Nyon nach rechts blickt, merkt man jedesmal auf.

Man will da hinauf. Die Kugel lockt.

Eine schwierige Wanderung ist das nicht. Sie beginnt mit einem dreiviertelstündigen Fahrspass. Ein Schmalspurbähnchen zuckelt von Nyon Richtung St-Cergue und noch etwas weiter zur Haltestelle La Givrine, trägt einen also aus der dicht bebauten Gegend des Genfersees direkt ins Reich der einsamen Weiden und Kalkkämme.

Mad Max war hier

In La Givrine, gut anderthalb Kilometer östlich des gleichnamigen Passes gelegen, ist gut starten; vorerst wird einem Flachheit gegönnt, man geniesst die kurze Komfortstrecke und kann sich einlaufen. Vorbei an Glotzkühen geht es, allmählich dann doch aufwärts, nach La Trélasse und zum Chaletrestaurant Cuvaloup de Crans, einem Fondue- und Käseschnitten-Stützpunkt. Bereits hat man etliche der jura-typischen Trockenmäuerchen gesehen.

Der eigentliche Aufstieg führt nun durch einen Hang, der einem entseelt vorkommt. Im Sommer zeigen sich die Schäden des Skitourismus brutal, das Gelände ist von Mad-Max-Pistenfahrzeug-Spuren durchzogen, das Gras schütter und verkiest, dass es einem wehtut. Und die Forstarbeiter, die dem Wald Gewalt angetan haben, stellt man sich als zweieinhalb Meter grosse Hunnen mit Monstertrucks vor. Für alles aber entschädigt die Kugel, die bald direkt vor einem liegt und immer näher kommt.

Endlich ist man oben – und weiss gar nicht, was mehr fesselt. Zum einen ist da der imperiale Blick über den Genfersee, nichts steht zwischen dem Betrachter und den Alpen Savoyens. Zum anderen steht man in einer Art Technopark. Die Kugel dominiert alles. Sie ist ein Radom, also ein Radardom, eine Schutzhülle gegen Wind und Wetter. In ihrem Inneren kreist unablässig eine Radarantenne, die Firma Skyguide überwacht von hier aus den Flugverkehr. MeteoSchweiz ist ebenfalls präsent und misst das Wetter aus. Ein Swisscom-Radio-Fernseh-Sender ist da auch.

Ebenfalls faszinierend ein Gebäude, das aussieht wie der flügellose Mittelteil eines Flugzeugrumpfes. Dies ist eine Personalunterkunft, denn irgendjemand muss all die Geräte warten. Die Leute, die es tun, gelangen übrigens mit einer privaten Seilbahn auf den Gipfel.

Einblick in den Berg

Der Abstieg fällt wesentlich schöner aus als der Aufstieg. Dem Bergkamm entlang zieht der Pfad sanft abwärts zum Col de Porte und dann durch die Flanke rechterhand. Man gelangt in Gelände, das erfreulicherweise vom Skitourismus nicht versehrt wurde; Kühe weiden, ab und zu passiert man eine Alphütte. Eindrücklich der Rückblick auf den Berg, dessen Textur sich aus diesem Winkel erschliesst, man bekommt einen Einblick in die Schichten, aus denen er gebaut ist. Die Kugel, die einem oben riesig vorkam, ist nun schon wieder geschrumpft.

Unten in St-Cergue, wo die Wanderung endet, darf man sich zufrieden zurücklehnen. Und sich etwas gönnen, zum Beispiel ein Stück Torte im Café der Bäckerei Au Vieux-Château. Es ist schon ein sehr interessantes Bergobjekt, das man der eigenen Kollektion einverleibt hat. Man hat das Gefühl, mal kurz auf dem Mars gewesen zu sein.
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Route: La Givrine (Bahnstation der Linie Nyon – La Cure) – La Trélasse – Restaurant Cuvaloup de Crans – La Dôle – Col de Porte – Richtung Châlet de la Dôle – Le Vuarne – La St-Cergue – St-Cergue, Dorf – St-Cergue, Bahnhof.

Wanderzeit: 3 3/4 Stunden.

Höhendifferenz: 535 Meter auf-, 700 abwärts.

Wanderkarte: 260 T St-Cergue, 1: 50 000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Auf der selben Bahnlinie wie bei der Anreise retour nach Nyon.

Varianten: Im An- und Abstieg gibt es Varianten. Karte studieren.

Charakter: Mittelstreng. Im Aufstieg ist das Gelände durch den winterlichen Skisport versehrt, der Abstieg kompensiert das. Aussichtsreich. Vor und nach dem Col de Porte minimale Trittsicherheit nötig.

Höhepunkte: Die schöne Bahnfahrt von Nyon nach La Givrine. Der grandiose Blick auf den Genfersee vom Gipfel. Die schöne Bergflanke unterhalb des Col de Porte mit Blick auf die geologische Textur unseres Berges.

Kinder: Keine Probleme. Um den Col de Porte muss man sie aber im Augen behalten.

Hund: Bestens machbar.

Einkehr: Am Anfang und am Ende. Sowie: Restaurant Cuvaloup de Crans. Montag geschlossen. Sonntags durchgehend warme Küche. Rustikale Küche, es gibt auch Fondue.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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Der See, den es nicht gibt

Diese Woche zum Lagh da Caralin im Bernina-Gebiet GR

Hat jemand eine Wanderkarte 1:50’000 «Poschiavo», die älter als 15 Jahre ist? Weg damit und eine neue kaufen! Unser Wanderziel, den Caralinsee, gibt es erst seit anderthalb Jahrzehnten; ältere Karten zeigen ihn nicht. Er ist sozusagen noch in der Pubertät.

Um dem heiteren Gedanken einen düsteren anzuhängen: Der Caralinsee verdankt seine Geburt dem langsamen Sterben eines anderen Gebirgswesens. Der immer schneller abschmelzende Palügletscher hat ihn geschaffen.

Puschlaver Iglus

Und damit zum Anfang der Wanderung, zur Bahnhaltestelle Ospizio Bernina an der Strecke von Pontresina nach Poschiavo. Es ist dort ein schönes Loswandern mit dem fahlblauen, weiten Lago Bianco vor Augen, dem Berninapass-Stausee. In sanftem Auf und Ab erreichen wir bald seine Südspitze. Gleichermassen leicht gelangen wir hinauf zur Aussichtskanzel von Sassal Mason, denn auf dieser sanften Rampe beginnen die Glückshormone zu wirken. Der Blick ist nun atemberaubend und reicht vorbei an den allerzackigsten Gipfeln Richtung Puschlav und Italien. Aber auch zum nahen Piz Palü. Bei gutem Wetter sieht man an ihm Pünktchen auf dem Weg zum Gipfel. Bergsteiger.

Toll auch, was die Terrasse des Sassal-Mason-Restaurants schmückt. Es sind zwei Crot, runde Iglus aus unverputzten Steinen. In den Crot lagerten die Leute des Puschlavs einst Milch, Käse und dergleichen; heute erfreuen sich an ihnen die Touristen.

Nach Sassal Mason geht es kurz steil abwärts, eine Spitzkehre ist zu bewältigen. Und dann wandern wir bei steter leichter Steigung genau auf den Palügletscher zu und in einen weiten Bergkessel alpinen Gepräges hinein. Der Pfad ist ein Genuss und kann sich schweizweit sehen lassen. Breit ist er, führt sicher durch die steile Felshalde, tief unten liegt der herzförmige Palüsee, den wir viel später tangieren werden. An zwei Orten gibt es am Pfad kurze Tunnel, immer wieder bespritzen uns eisige Bäche. Wir haben schon Türkenbund, Knabenkraut, Enzian gesehen, nun kommt Edelweiss dazu. Edelweiss, zum Berühren nah! Aber nicht zum Ausreissen!

Später ein Geröllfeld und der Abflussbach des Caralinsees, über den eine winters hochklappbare kleine Brücke genial führt. Dann der See selber. Das ihn ermöglichende Wasser des Palügletschers stürzt im Hintergrund über eine steile Fluh, die Seefläche ist von einem arktischen Blau, Eisbrocken treiben, gibt es hier Pinguine und Robben? Eine gute Sache, am Ufer zu ruhen und zu sinnieren über das Werden und das Vergehen. Den Namen hat der See von einem nahen Berg, dem Piz Caral samt der vorgelagerten Nase «Caralin».

Und zum Schluss: Gletschermühlen

Über glatt geschliffene Felsen hinweg nähern wir uns der abrupten Kante zum Palüsee hinab, der Abstieg ist ruppig. Unten ein Sprudelbach, in den man gern die Füsse hält. Schliesslich der Palüsee mit der Alpe Palü. Auf der Terrasse kann man ruhen und einen Käseteller essen. Die Wanderung ist damit noch nicht fertig. Die Steilstufe hinab zur Bahnstation von Cavaglia ist noch zu meistern. Unten können wir vor der Buvette in der Sonne hocken und auf den Zug warten.

Vielleicht schieben wir dieses Schlusserlebnis aber noch ein wenig auf. Wenig entfernt nur warten Gletschermühlen perfekt erschlossen in einem Rundweg. Die geschmirgelten Steine in ihren Felsschlünden, die in allen Spielarten hellgrau bis schwarz koloriert sind, muss man gesehen haben.

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Route: Ospizio Bernina (Haltestelle der Linie Pontresina – Poschiavo) – Sassal Mason – Caralinsee – Geri da Palü – Palüsee – Alpe Palü – Cavaglia (Haltestelle derselben Bahnlinie).

Wanderzeit: 4 Stunden.

Höhendifferenz: 330 Meter aufwärts, 890 abwärts.

Wanderkarte: 249 T Val Poschiavo, 1:50’000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Abstecher: Am Ende der Wanderung empfiehlt sich von der Station Cavaglia aus die Besichtigung der Gletschermühlen. Dafür braucht man (hin, Besichtigung, zurück) eine Stunde zusätzlich. Der Abstecher lohnt sich, die Mühlen sind eindrücklich, in die eine kann man per Leiter sogar absteigen.

Charakter: Insgesamt angenehm. Vor dem Caralinsee ist die Passage über grobes Geröll etwas anspruchsvoller, zudem ist der Abstieg zur Alpe Palü ziemlich steil. Die Wanderung ist äusserst aussichtsreich und hat im Bereich des Caralinsees deutlich alpinen Charakter. Steinschlagrisiko auf der Passage zum Caralinsee.

Höhepunkte: Die Crot von Sassal Mason. Der Tiefblick danach auf den Palüsee. Die vielen raren Pflanzen am Weg inklusive Edelweiss. Der arktisch anmutende Caralinsee unter dem Palügletscher. Der Käseteller auf der Alpe Palü. Die Gletschermühlen von Cavaglia.

Kinder: Dies ist eine gute Familienwanderung. Auf dem Weg von Sassal Mason zum See muss man die Kinder aber im Auge behalten. Der Weg ist nicht ausgesetzt und breit, führt aber doch durch eine steile Felshalde, dies bei Steinschlagrisiko.

Hund: Der Hund wird die Route lieben.

Einkehr: Ospizio Bernina am Anfang, Bahnhofbuffet, täglich offen. Sassal Mason, täglich offen. Alpe Palü. An der Station Cavaglia gibt es einen Kiosk mit Buvette, in der Regel offen.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

Führer: Viele Informationen, auch zum Caralinsee, gibt es in «Das Puschlav» von Corina Lanfranchi, Rotpunkt.

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